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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Zweites Buch. Erstes Capitel.
Welt vollends darin sehen, daß diese so höchst eigenthümliche,
aus den besondersten Zuständen des Westens hervorgegangene
Entwickelung sich in den entfernten Weltgegenden hätte Bahn
brechen mögen? Man wußte sehr wohl, daß ein Hauptgrund
der Abneigung der Griechen gegen eine Religionsvereini-
gung in der Menge von Satzungen lag, welche bei den
Lateinern eingeführt worden, in der drückenden Alleinherr-
schaft die der römische Stuhl sich angemaßt hatte. 1 Ja,
war nicht in der lateinischen Kirche selbst das Evangelium
tief verborgen? In jenen Zeiten, in denen das scholastische
Dogma sich festgesetzt, war auch die Bibel den Laien, in
der Muttersprache selbst den Priestern verboten worden.
Ohne ernstliche Rücksicht auf den Ursprung, von dem man
ausgegangen -- kein Mensch kann es leugnen -- bilde-
ten sich Lehrmeinungen und Dienste nach dem einmal in
ihnen zur Herrschaft gelangten Prinzip weiter. Man darf
die Tendenzen jener Zeit nicht so völlig den Lehren und
Gebräuchen gleich stellen, welche darnach in dem tri-
dentinischen Concil festgesetzt worden sind; da hatte auch
die katholisch gebliebene Seite die Einwirkungen der Re-
formationsepoche erfahren: und man fieng an sich selber
zu reformiren; da war schon ein Einhalt geschehen. 2 Ein

1 Humbertus de Romania (bei Petrus de Alliaco de re-
form. eccles. c. 2) "dicit quod causa dispositiva schismatis Grae-
corum inter alias una fuit propter gravamina Romanae ecclesiae
in exactionibus excommunicationibus et statutis."
2 Ich halte es für den Grundfehler von Möhlers Symbolik,
daß er das tridentinische Dogma als die Lehre betrachtet von der
die Protestanten abgewichen seyen, da sich dasselbe vielmehr erst durch
eine Rückwirkung des Protestantismus gebildet hat.

Zweites Buch. Erſtes Capitel.
Welt vollends darin ſehen, daß dieſe ſo höchſt eigenthümliche,
aus den beſonderſten Zuſtänden des Weſtens hervorgegangene
Entwickelung ſich in den entfernten Weltgegenden hätte Bahn
brechen mögen? Man wußte ſehr wohl, daß ein Hauptgrund
der Abneigung der Griechen gegen eine Religionsvereini-
gung in der Menge von Satzungen lag, welche bei den
Lateinern eingeführt worden, in der drückenden Alleinherr-
ſchaft die der römiſche Stuhl ſich angemaßt hatte. 1 Ja,
war nicht in der lateiniſchen Kirche ſelbſt das Evangelium
tief verborgen? In jenen Zeiten, in denen das ſcholaſtiſche
Dogma ſich feſtgeſetzt, war auch die Bibel den Laien, in
der Mutterſprache ſelbſt den Prieſtern verboten worden.
Ohne ernſtliche Rückſicht auf den Urſprung, von dem man
ausgegangen — kein Menſch kann es leugnen — bilde-
ten ſich Lehrmeinungen und Dienſte nach dem einmal in
ihnen zur Herrſchaft gelangten Prinzip weiter. Man darf
die Tendenzen jener Zeit nicht ſo völlig den Lehren und
Gebräuchen gleich ſtellen, welche darnach in dem tri-
dentiniſchen Concil feſtgeſetzt worden ſind; da hatte auch
die katholiſch gebliebene Seite die Einwirkungen der Re-
formationsepoche erfahren: und man fieng an ſich ſelber
zu reformiren; da war ſchon ein Einhalt geſchehen. 2 Ein

1 Humbertus de Romania (bei Petrus de Alliaco de re-
form. eccles. c. 2) „dicit quod causa dispositiva schismatis Grae-
corum inter alias una fuit propter gravamina Romanae ecclesiae
in exactionibus excommunicationibus et statutis.“
2 Ich halte es fuͤr den Grundfehler von Moͤhlers Symbolik,
daß er das tridentiniſche Dogma als die Lehre betrachtet von der
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[246/0264] Zweites Buch. Erſtes Capitel. Welt vollends darin ſehen, daß dieſe ſo höchſt eigenthümliche, aus den beſonderſten Zuſtänden des Weſtens hervorgegangene Entwickelung ſich in den entfernten Weltgegenden hätte Bahn brechen mögen? Man wußte ſehr wohl, daß ein Hauptgrund der Abneigung der Griechen gegen eine Religionsvereini- gung in der Menge von Satzungen lag, welche bei den Lateinern eingeführt worden, in der drückenden Alleinherr- ſchaft die der römiſche Stuhl ſich angemaßt hatte. 1 Ja, war nicht in der lateiniſchen Kirche ſelbſt das Evangelium tief verborgen? In jenen Zeiten, in denen das ſcholaſtiſche Dogma ſich feſtgeſetzt, war auch die Bibel den Laien, in der Mutterſprache ſelbſt den Prieſtern verboten worden. Ohne ernſtliche Rückſicht auf den Urſprung, von dem man ausgegangen — kein Menſch kann es leugnen — bilde- ten ſich Lehrmeinungen und Dienſte nach dem einmal in ihnen zur Herrſchaft gelangten Prinzip weiter. Man darf die Tendenzen jener Zeit nicht ſo völlig den Lehren und Gebräuchen gleich ſtellen, welche darnach in dem tri- dentiniſchen Concil feſtgeſetzt worden ſind; da hatte auch die katholiſch gebliebene Seite die Einwirkungen der Re- formationsepoche erfahren: und man fieng an ſich ſelber zu reformiren; da war ſchon ein Einhalt geſchehen. 2 Ein 1 Humbertus de Romania (bei Petrus de Alliaco de re- form. eccles. c. 2) „dicit quod causa dispositiva schismatis Grae- corum inter alias una fuit propter gravamina Romanae ecclesiae in exactionibus excommunicationibus et statutis.“ 2 Ich halte es fuͤr den Grundfehler von Moͤhlers Symbolik, daß er das tridentiniſche Dogma als die Lehre betrachtet von der die Proteſtanten abgewichen ſeyen, da ſich daſſelbe vielmehr erſt durch eine Ruͤckwirkung des Proteſtantismus gebildet hat.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/264>, abgerufen am 24.11.2024.