Fragen wir dagegen welchem von diesen verschiednen Systemen die meiste innre Kraft beiwohnte, die meiste Be- deutung für die Zukunft des Menschengeschlechts, so läßt sich eben so wenig leugnen, auch noch abgesehen von aller religiösen Überzeugung, daß das die lateinische Christenheit war, die romanisch-germanische Welt des Abendlandes.
Die wichtigste Eigenthümlichkeit derselben lag darin, daß hier eine Reihe von Jahrhunderten hindurch ein nicht unterbrochner, langsamer aber sicherer Fortschritt der Cul- tur Statt gefunden hatte. Während der Orient von gro- ßen Völkerstürmen wie der mongolische von Grundaus um- gewälzt worden, hatte es hier zwar wohl immer Kriege gegeben, in denen die Kräfte sich regten und übten, aber weder waren fremde Volksstämme erobernd eingedrungen noch waren innere Erschütterungen vorgekommen, welche den Grund des in seiner Bildung begriffenen Daseyns ge- fährdet hätten. Daher hatten sich hier alle lebensfähigen Elemente der menschlichen Cultur vereinigt, durchdrungen; die Dinge hatten sich naturgemäß, Schritt für Schritt ent- wickeln können; aus den unaufhörlich genährten innern Trieben hatten Wissenschaften und Künste immer wieder neuen Schwung und Antrieb empfangen und waren im fröh- lichsten Gedeihen; die Freiheit des bürgerlichen Lebens war auf fester Grundlage begründet; wetteifernd erhoben sich consolidirte Staatenbildungen einander gegenüber, deren Bedürfniß sie dahin führte, auch die materiellen Kräfte zusammenzunehmen und zu fördern; die Ordnungen, welche die ewige Vorsicht den menschlichen Dingen eingepflanzt, hatten Raum sich zu vollziehen; das Verkommene ver- fiel, die Keime des frischen Lebens wuchsen in jedem Mo-
Urſprung der religioͤſen Oppoſition.
Fragen wir dagegen welchem von dieſen verſchiednen Syſtemen die meiſte innre Kraft beiwohnte, die meiſte Be- deutung für die Zukunft des Menſchengeſchlechts, ſo läßt ſich eben ſo wenig leugnen, auch noch abgeſehen von aller religiöſen Überzeugung, daß das die lateiniſche Chriſtenheit war, die romaniſch-germaniſche Welt des Abendlandes.
Die wichtigſte Eigenthümlichkeit derſelben lag darin, daß hier eine Reihe von Jahrhunderten hindurch ein nicht unterbrochner, langſamer aber ſicherer Fortſchritt der Cul- tur Statt gefunden hatte. Während der Orient von gro- ßen Völkerſtürmen wie der mongoliſche von Grundaus um- gewälzt worden, hatte es hier zwar wohl immer Kriege gegeben, in denen die Kräfte ſich regten und übten, aber weder waren fremde Volksſtämme erobernd eingedrungen noch waren innere Erſchütterungen vorgekommen, welche den Grund des in ſeiner Bildung begriffenen Daſeyns ge- fährdet hätten. Daher hatten ſich hier alle lebensfähigen Elemente der menſchlichen Cultur vereinigt, durchdrungen; die Dinge hatten ſich naturgemäß, Schritt für Schritt ent- wickeln können; aus den unaufhörlich genährten innern Trieben hatten Wiſſenſchaften und Künſte immer wieder neuen Schwung und Antrieb empfangen und waren im fröh- lichſten Gedeihen; die Freiheit des bürgerlichen Lebens war auf feſter Grundlage begründet; wetteifernd erhoben ſich conſolidirte Staatenbildungen einander gegenüber, deren Bedürfniß ſie dahin führte, auch die materiellen Kräfte zuſammenzunehmen und zu fördern; die Ordnungen, welche die ewige Vorſicht den menſchlichen Dingen eingepflanzt, hatten Raum ſich zu vollziehen; das Verkommene ver- fiel, die Keime des friſchen Lebens wuchſen in jedem Mo-
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Urſprung der religioͤſen Oppoſition.
Fragen wir dagegen welchem von dieſen verſchiednen
Syſtemen die meiſte innre Kraft beiwohnte, die meiſte Be-
deutung für die Zukunft des Menſchengeſchlechts, ſo läßt
ſich eben ſo wenig leugnen, auch noch abgeſehen von aller
religiöſen Überzeugung, daß das die lateiniſche Chriſtenheit
war, die romaniſch-germaniſche Welt des Abendlandes.
Die wichtigſte Eigenthümlichkeit derſelben lag darin,
daß hier eine Reihe von Jahrhunderten hindurch ein nicht
unterbrochner, langſamer aber ſicherer Fortſchritt der Cul-
tur Statt gefunden hatte. Während der Orient von gro-
ßen Völkerſtürmen wie der mongoliſche von Grundaus um-
gewälzt worden, hatte es hier zwar wohl immer Kriege
gegeben, in denen die Kräfte ſich regten und übten, aber
weder waren fremde Volksſtämme erobernd eingedrungen
noch waren innere Erſchütterungen vorgekommen, welche
den Grund des in ſeiner Bildung begriffenen Daſeyns ge-
fährdet hätten. Daher hatten ſich hier alle lebensfähigen
Elemente der menſchlichen Cultur vereinigt, durchdrungen;
die Dinge hatten ſich naturgemäß, Schritt für Schritt ent-
wickeln können; aus den unaufhörlich genährten innern
Trieben hatten Wiſſenſchaften und Künſte immer wieder
neuen Schwung und Antrieb empfangen und waren im fröh-
lichſten Gedeihen; die Freiheit des bürgerlichen Lebens war
auf feſter Grundlage begründet; wetteifernd erhoben ſich
conſolidirte Staatenbildungen einander gegenüber, deren
Bedürfniß ſie dahin führte, auch die materiellen Kräfte
zuſammenzunehmen und zu fördern; die Ordnungen, welche
die ewige Vorſicht den menſchlichen Dingen eingepflanzt,
hatten Raum ſich zu vollziehen; das Verkommene ver-
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/249>, abgerufen am 22.11.2024.
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