Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Innere Gährung.
mit ihren Beschwerden nicht zurück. Sie fanden es un-
erträglich, daß der Richter die fiscalischen Gefälle genieße;
sie trugen auf Bestrafung der verdorbenen Leute an, von
denen manche Stadt ohne alles Verschulden am Gericht
umgetrieben werde; im Jahr 1512 forderten sie aufs neue
die Aufnahme zwei städtischer Beisitzer: 1 natürlich alles
vergebens.

Da nun die höchste Gewalt sich so wenig geltend
machen, so wenig Billigung und Anerkennung erwerben
konnte, so erwachte ein allgemeines Streben nach Selb-
ständigkeit auf eigne Hand, eine allgemeine Gewaltsamkeit,
welche diese Zeiten höchst eigenthümlich charakterisirt. Es
ist der Mühe werth, daß wir uns einmal die verschiedenen
Stände aus diesem Gesichtspunct vergegenwärtigen.

I. In den Fürstenthümern machte sich die Landes-
hoheit weitere Bahn. In einzelnen Verordnungen tritt die
Idee einer Landesgesetzgebung hervor, vor welcher die lo-
calen Einungen, Weisthümer und Bräuche verschwinden;
einer Landesaufsicht, welche alle Zweige der Verwaltung
umfaßt; unter andern hat Churfürst Berthold auch hierin
sehr merkwürdige Anordnungen in seinem Erzstift getrof-
fen. 2 An einigen Orten kam es zu engern Vereinbarun-
gen der Stände mit den Fürsten, z. B. in den märkischen
sowohl wie in den fränkischen Besitzungen von Branden-
denburg; die Stände übernehmen Schulden, bewilligen

1 Jacob Heller an die Stadt Frankfurt 11 Juni. "Wir
Stett sein der Meinung, auch anzubringen zween Assessores daran
zu setzen auch Gebrechen und Mangel der Versammlung fürzutragen."
2 Bodmann Rheingauische Alterthümer II, 535.

Innere Gaͤhrung.
mit ihren Beſchwerden nicht zurück. Sie fanden es un-
erträglich, daß der Richter die fiscaliſchen Gefälle genieße;
ſie trugen auf Beſtrafung der verdorbenen Leute an, von
denen manche Stadt ohne alles Verſchulden am Gericht
umgetrieben werde; im Jahr 1512 forderten ſie aufs neue
die Aufnahme zwei ſtädtiſcher Beiſitzer: 1 natürlich alles
vergebens.

Da nun die höchſte Gewalt ſich ſo wenig geltend
machen, ſo wenig Billigung und Anerkennung erwerben
konnte, ſo erwachte ein allgemeines Streben nach Selb-
ſtändigkeit auf eigne Hand, eine allgemeine Gewaltſamkeit,
welche dieſe Zeiten höchſt eigenthümlich charakteriſirt. Es
iſt der Mühe werth, daß wir uns einmal die verſchiedenen
Stände aus dieſem Geſichtspunct vergegenwärtigen.

I. In den Fürſtenthümern machte ſich die Landes-
hoheit weitere Bahn. In einzelnen Verordnungen tritt die
Idee einer Landesgeſetzgebung hervor, vor welcher die lo-
calen Einungen, Weisthümer und Bräuche verſchwinden;
einer Landesaufſicht, welche alle Zweige der Verwaltung
umfaßt; unter andern hat Churfürſt Berthold auch hierin
ſehr merkwürdige Anordnungen in ſeinem Erzſtift getrof-
fen. 2 An einigen Orten kam es zu engern Vereinbarun-
gen der Stände mit den Fürſten, z. B. in den märkiſchen
ſowohl wie in den fränkiſchen Beſitzungen von Branden-
denburg; die Stände übernehmen Schulden, bewilligen

1 Jacob Heller an die Stadt Frankfurt 11 Juni. „Wir
Stett ſein der Meinung, auch anzubringen zween Aſſeſſores daran
zu ſetzen auch Gebrechen und Mangel der Verſammlung fuͤrzutragen.“
2 Bodmann Rheingauiſche Alterthuͤmer II, 535.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0221" n="203"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Innere Ga&#x0364;hrung</hi>.</fw><lb/>
mit ihren Be&#x017F;chwerden nicht zurück. Sie fanden es un-<lb/>
erträglich, daß der Richter die fiscali&#x017F;chen Gefälle genieße;<lb/>
&#x017F;ie trugen auf Be&#x017F;trafung der verdorbenen Leute an, von<lb/>
denen manche Stadt ohne alles Ver&#x017F;chulden am Gericht<lb/>
umgetrieben werde; im Jahr 1512 forderten &#x017F;ie aufs neue<lb/>
die Aufnahme zwei &#x017F;tädti&#x017F;cher Bei&#x017F;itzer: <note place="foot" n="1">Jacob Heller an die Stadt Frankfurt 11 Juni. &#x201E;Wir<lb/>
Stett &#x017F;ein der Meinung, auch anzubringen zween A&#x017F;&#x017F;e&#x017F;&#x017F;ores daran<lb/>
zu &#x017F;etzen auch Gebrechen und Mangel der Ver&#x017F;ammlung fu&#x0364;rzutragen.&#x201C;</note> natürlich alles<lb/>
vergebens.</p><lb/>
          <p>Da nun die höch&#x017F;te Gewalt &#x017F;ich &#x017F;o wenig geltend<lb/>
machen, &#x017F;o wenig Billigung und Anerkennung erwerben<lb/>
konnte, &#x017F;o erwachte ein allgemeines Streben nach Selb-<lb/>
&#x017F;tändigkeit auf eigne Hand, eine allgemeine Gewalt&#x017F;amkeit,<lb/>
welche die&#x017F;e Zeiten höch&#x017F;t eigenthümlich charakteri&#x017F;irt. Es<lb/>
i&#x017F;t der Mühe werth, daß wir uns einmal die ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Stände aus die&#x017F;em Ge&#x017F;ichtspunct vergegenwärtigen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#aq">I.</hi> In den Für&#x017F;tenthümern machte &#x017F;ich die Landes-<lb/>
hoheit weitere Bahn. In einzelnen Verordnungen tritt die<lb/>
Idee einer Landesge&#x017F;etzgebung hervor, vor welcher die lo-<lb/>
calen Einungen, Weisthümer und Bräuche ver&#x017F;chwinden;<lb/>
einer Landesauf&#x017F;icht, welche alle Zweige der Verwaltung<lb/>
umfaßt; unter andern hat Churfür&#x017F;t Berthold auch hierin<lb/>
&#x017F;ehr merkwürdige Anordnungen in &#x017F;einem Erz&#x017F;tift getrof-<lb/>
fen. <note place="foot" n="2">Bodmann Rheingaui&#x017F;che Alterthu&#x0364;mer <hi rendition="#aq">II,</hi> 535.</note> An einigen Orten kam es zu engern Vereinbarun-<lb/>
gen der Stände mit den Für&#x017F;ten, z. B. in den märki&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;owohl wie in den fränki&#x017F;chen Be&#x017F;itzungen von Branden-<lb/>
denburg; die Stände übernehmen Schulden, bewilligen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[203/0221] Innere Gaͤhrung. mit ihren Beſchwerden nicht zurück. Sie fanden es un- erträglich, daß der Richter die fiscaliſchen Gefälle genieße; ſie trugen auf Beſtrafung der verdorbenen Leute an, von denen manche Stadt ohne alles Verſchulden am Gericht umgetrieben werde; im Jahr 1512 forderten ſie aufs neue die Aufnahme zwei ſtädtiſcher Beiſitzer: 1 natürlich alles vergebens. Da nun die höchſte Gewalt ſich ſo wenig geltend machen, ſo wenig Billigung und Anerkennung erwerben konnte, ſo erwachte ein allgemeines Streben nach Selb- ſtändigkeit auf eigne Hand, eine allgemeine Gewaltſamkeit, welche dieſe Zeiten höchſt eigenthümlich charakteriſirt. Es iſt der Mühe werth, daß wir uns einmal die verſchiedenen Stände aus dieſem Geſichtspunct vergegenwärtigen. I. In den Fürſtenthümern machte ſich die Landes- hoheit weitere Bahn. In einzelnen Verordnungen tritt die Idee einer Landesgeſetzgebung hervor, vor welcher die lo- calen Einungen, Weisthümer und Bräuche verſchwinden; einer Landesaufſicht, welche alle Zweige der Verwaltung umfaßt; unter andern hat Churfürſt Berthold auch hierin ſehr merkwürdige Anordnungen in ſeinem Erzſtift getrof- fen. 2 An einigen Orten kam es zu engern Vereinbarun- gen der Stände mit den Fürſten, z. B. in den märkiſchen ſowohl wie in den fränkiſchen Beſitzungen von Branden- denburg; die Stände übernehmen Schulden, bewilligen 1 Jacob Heller an die Stadt Frankfurt 11 Juni. „Wir Stett ſein der Meinung, auch anzubringen zween Aſſeſſores daran zu ſetzen auch Gebrechen und Mangel der Verſammlung fuͤrzutragen.“ 2 Bodmann Rheingauiſche Alterthuͤmer II, 535.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/221
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/221>, abgerufen am 23.11.2024.