In Schule und Literatur mag man kirchliche und politi- sche Geschichte von einander sondern: in dem lebendigen Daseyn sind sie jeden Augenblick verbunden und durchdrin- gen einander.
Wie es überhaupt keine menschliche Thätigkeit von wahrhafter, geistiger Bedeutung geben wird, die nicht in einer tieferen mehr oder minder bewußten Beziehung zu Gott und göttlichen Dingen ihren Ursprung hätte, so läßt sich eine große, des Namens würdige Nation gar nicht denken, deren politisches Leben nicht unaufhörlich von re- ligiösen Ideen erhoben und geleitet würde, welche sie dann weiter auszubilden, zu einem allgemein gültigen Ausdruck und einer öffentlichen Darstellung zu bringen hat.
Nicht zu läugnen ist es, daß die Nationen hiedurch in einen gewissen Widerstreit in sich selbst gerathen. Die Natio- nalität bewegt sich innerhalb ihrer natürlichen, schon durch die Selbständigkeit der Nachbarn festgesetzten Schranken: die Religion, seit einmal diejenige in der Welt erschienen ist, die den Anspruch und das Recht dazu hat, strebt ewig
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In Schule und Literatur mag man kirchliche und politi- ſche Geſchichte von einander ſondern: in dem lebendigen Daſeyn ſind ſie jeden Augenblick verbunden und durchdrin- gen einander.
Wie es überhaupt keine menſchliche Thätigkeit von wahrhafter, geiſtiger Bedeutung geben wird, die nicht in einer tieferen mehr oder minder bewußten Beziehung zu Gott und göttlichen Dingen ihren Urſprung hätte, ſo läßt ſich eine große, des Namens würdige Nation gar nicht denken, deren politiſches Leben nicht unaufhörlich von re- ligiöſen Ideen erhoben und geleitet würde, welche ſie dann weiter auszubilden, zu einem allgemein gültigen Ausdruck und einer öffentlichen Darſtellung zu bringen hat.
Nicht zu läugnen iſt es, daß die Nationen hiedurch in einen gewiſſen Widerſtreit in ſich ſelbſt gerathen. Die Natio- nalität bewegt ſich innerhalb ihrer natürlichen, ſchon durch die Selbſtändigkeit der Nachbarn feſtgeſetzten Schranken: die Religion, ſeit einmal diejenige in der Welt erſchienen iſt, die den Anſpruch und das Recht dazu hat, ſtrebt ewig
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[[3]/0021]
In Schule und Literatur mag man kirchliche und politi-
ſche Geſchichte von einander ſondern: in dem lebendigen
Daſeyn ſind ſie jeden Augenblick verbunden und durchdrin-
gen einander.
Wie es überhaupt keine menſchliche Thätigkeit von
wahrhafter, geiſtiger Bedeutung geben wird, die nicht in
einer tieferen mehr oder minder bewußten Beziehung zu
Gott und göttlichen Dingen ihren Urſprung hätte, ſo läßt
ſich eine große, des Namens würdige Nation gar nicht
denken, deren politiſches Leben nicht unaufhörlich von re-
ligiöſen Ideen erhoben und geleitet würde, welche ſie dann
weiter auszubilden, zu einem allgemein gültigen Ausdruck
und einer öffentlichen Darſtellung zu bringen hat.
Nicht zu läugnen iſt es, daß die Nationen hiedurch in
einen gewiſſen Widerſtreit in ſich ſelbſt gerathen. Die Natio-
nalität bewegt ſich innerhalb ihrer natürlichen, ſchon durch
die Selbſtändigkeit der Nachbarn feſtgeſetzten Schranken:
die Religion, ſeit einmal diejenige in der Welt erſchienen
iſt, die den Anſpruch und das Recht dazu hat, ſtrebt ewig
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/21>, abgerufen am 21.11.2024.
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