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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Reichstag von Lindau 1496.

Wir bemerkten, wie vielen Werth man früher auf die
geistliche Autorisation legte. Der Mangel derselben hatte
jetzt zur Folge, daß die Äbte des Reiches sich weigerten
die Autorität eines so rein weltlichen Gerichts wie das
Kammergericht anzuerkennen.

Andere Stände gab es, an deren Gehorsam sich über-
haupt zweifeln ließ. Der Herzog von Lothringen erklärte,
daß er außerhalb seiner eignen Gerichte vor Niemand
sonst zu Rechte stehe, außer vor dem König allein. Die
Eidgenossen machten zwar dem Reiche seine Oberhoheit
und Gerichtsbarkeit damals noch nicht streitig, aber bei
der ersten Anwendung derselben fühlten sie sich beleidigt
und zum Widerstande gereizt. Der König von Polen er-
klärte, Danzig und Elbing seyen polnische Städte, und
wies alle Anmuthungen zurück, die ihnen von Seiten des
Reiches gemacht wurden. Wie ein energisches Heilmittel
den Organismus zunächst in allgemeine Aufregung setzt,
so kamen indem man das Reich zu organisiren dachte,
vorerst die bisher ruhenden Gegensätze in demselben zur
Sprache.

War nun aber von Seiten der Stände, zu deren
Gunsten die Beschlüsse lauteten, ein so starkes widerstre-
bendes Element vorhanden, was ließ sich von dem König
erwarten, den sie beschränkten, dem sie aufgedrungen wor-
den? Bei der Ausführung derselben war alles auf seine
Theilnahme berechnet: er ließ unaufhörlich fühlen, daß er
mit Widerstreben daran gieng.

Allerdings richtete er das Kammergericht nach seinen
neuen Formen ein. Am 3ten November hielt es seine erste

Reichstag von Lindau 1496.

Wir bemerkten, wie vielen Werth man früher auf die
geiſtliche Autoriſation legte. Der Mangel derſelben hatte
jetzt zur Folge, daß die Äbte des Reiches ſich weigerten
die Autorität eines ſo rein weltlichen Gerichts wie das
Kammergericht anzuerkennen.

Andere Stände gab es, an deren Gehorſam ſich über-
haupt zweifeln ließ. Der Herzog von Lothringen erklärte,
daß er außerhalb ſeiner eignen Gerichte vor Niemand
ſonſt zu Rechte ſtehe, außer vor dem König allein. Die
Eidgenoſſen machten zwar dem Reiche ſeine Oberhoheit
und Gerichtsbarkeit damals noch nicht ſtreitig, aber bei
der erſten Anwendung derſelben fühlten ſie ſich beleidigt
und zum Widerſtande gereizt. Der König von Polen er-
klärte, Danzig und Elbing ſeyen polniſche Städte, und
wies alle Anmuthungen zurück, die ihnen von Seiten des
Reiches gemacht wurden. Wie ein energiſches Heilmittel
den Organismus zunächſt in allgemeine Aufregung ſetzt,
ſo kamen indem man das Reich zu organiſiren dachte,
vorerſt die bisher ruhenden Gegenſätze in demſelben zur
Sprache.

War nun aber von Seiten der Stände, zu deren
Gunſten die Beſchlüſſe lauteten, ein ſo ſtarkes widerſtre-
bendes Element vorhanden, was ließ ſich von dem König
erwarten, den ſie beſchränkten, dem ſie aufgedrungen wor-
den? Bei der Ausführung derſelben war alles auf ſeine
Theilnahme berechnet: er ließ unaufhörlich fühlen, daß er
mit Widerſtreben daran gieng.

Allerdings richtete er das Kammergericht nach ſeinen
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[119/0137] Reichstag von Lindau 1496. Wir bemerkten, wie vielen Werth man früher auf die geiſtliche Autoriſation legte. Der Mangel derſelben hatte jetzt zur Folge, daß die Äbte des Reiches ſich weigerten die Autorität eines ſo rein weltlichen Gerichts wie das Kammergericht anzuerkennen. Andere Stände gab es, an deren Gehorſam ſich über- haupt zweifeln ließ. Der Herzog von Lothringen erklärte, daß er außerhalb ſeiner eignen Gerichte vor Niemand ſonſt zu Rechte ſtehe, außer vor dem König allein. Die Eidgenoſſen machten zwar dem Reiche ſeine Oberhoheit und Gerichtsbarkeit damals noch nicht ſtreitig, aber bei der erſten Anwendung derſelben fühlten ſie ſich beleidigt und zum Widerſtande gereizt. Der König von Polen er- klärte, Danzig und Elbing ſeyen polniſche Städte, und wies alle Anmuthungen zurück, die ihnen von Seiten des Reiches gemacht wurden. Wie ein energiſches Heilmittel den Organismus zunächſt in allgemeine Aufregung ſetzt, ſo kamen indem man das Reich zu organiſiren dachte, vorerſt die bisher ruhenden Gegenſätze in demſelben zur Sprache. War nun aber von Seiten der Stände, zu deren Gunſten die Beſchlüſſe lauteten, ein ſo ſtarkes widerſtre- bendes Element vorhanden, was ließ ſich von dem König erwarten, den ſie beſchränkten, dem ſie aufgedrungen wor- den? Bei der Ausführung derſelben war alles auf ſeine Theilnahme berechnet: er ließ unaufhörlich fühlen, daß er mit Widerſtreben daran gieng. Allerdings richtete er das Kammergericht nach ſeinen neuen Formen ein. Am 3ten November hielt es ſeine erſte

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/137>, abgerufen am 24.11.2024.