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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Erstes Buch.
mit den kleinen Gefällen seiner Kanzley bestritt er seine
übrigen Bedürfnisse; zuweilen fuhr er mit einem Gespann
Ochsen seine Straße: niemals, er fühlte es selbst, war die
Hoheit des Reiches in niedrigerer Gestalt einhergezogen;
der Inhaber einer Gewalt, welche ihrer Idee nach die
Welt beherrschen sollte, forderte gleichsam das Mitleiden
heraus.

Wollte man es in Deutschland zu etwas bringen, so
mußte man es anders angreifen, von andern Grundlagen
ausgehen, ein andres Ziel ins Auge fassen.

Grundlegung einer neuen Verfassung.

So viel leuchtet auf den ersten Blick ein, daß hier
die Stände selbst die Initiative zu einer Verbesserung er-
greifen mußten. Hatten sie sich den beiden coordinirten
höhern Gewalten gegenüber eine so starke Stellung gegeben,
so mußte sich nun auch zeigen, in wie fern dieselbe für die
allgemeinen Angelegenheiten heilbringend werden könne.

Es kam ihnen hiebei sogar zu Statten, daß der Kai-
ser in eine so mißliche Lage gerathen war.

Nicht als ob sie sich derselben hätten bedienen wol-
len, ihn ganz herabzudrücken oder zu verderben; sie wa-
ren vielmehr entschlossen ihn nicht fallen zu lassen. Was
seit Jahrhunderten nur Einem Kaiser, und zwar auch dem
nur in der Fülle der Macht, nur in Folge sehr bedeuten-
der Begünstigungen gelungen war, seinem Sohn die Nach-
folge zu verschaffen, das erreichte Friedrich III in dem Mo-
mente der tiefsten Erniedrigung und Machtlosigkeit. Die

Erſtes Buch.
mit den kleinen Gefällen ſeiner Kanzley beſtritt er ſeine
übrigen Bedürfniſſe; zuweilen fuhr er mit einem Geſpann
Ochſen ſeine Straße: niemals, er fühlte es ſelbſt, war die
Hoheit des Reiches in niedrigerer Geſtalt einhergezogen;
der Inhaber einer Gewalt, welche ihrer Idee nach die
Welt beherrſchen ſollte, forderte gleichſam das Mitleiden
heraus.

Wollte man es in Deutſchland zu etwas bringen, ſo
mußte man es anders angreifen, von andern Grundlagen
ausgehen, ein andres Ziel ins Auge faſſen.

Grundlegung einer neuen Verfaſſung.

So viel leuchtet auf den erſten Blick ein, daß hier
die Stände ſelbſt die Initiative zu einer Verbeſſerung er-
greifen mußten. Hatten ſie ſich den beiden coordinirten
höhern Gewalten gegenüber eine ſo ſtarke Stellung gegeben,
ſo mußte ſich nun auch zeigen, in wie fern dieſelbe für die
allgemeinen Angelegenheiten heilbringend werden könne.

Es kam ihnen hiebei ſogar zu Statten, daß der Kai-
ſer in eine ſo mißliche Lage gerathen war.

Nicht als ob ſie ſich derſelben hätten bedienen wol-
len, ihn ganz herabzudrücken oder zu verderben; ſie wa-
ren vielmehr entſchloſſen ihn nicht fallen zu laſſen. Was
ſeit Jahrhunderten nur Einem Kaiſer, und zwar auch dem
nur in der Fülle der Macht, nur in Folge ſehr bedeuten-
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folge zu verſchaffen, das erreichte Friedrich III in dem Mo-
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[84/0102] Erſtes Buch. mit den kleinen Gefällen ſeiner Kanzley beſtritt er ſeine übrigen Bedürfniſſe; zuweilen fuhr er mit einem Geſpann Ochſen ſeine Straße: niemals, er fühlte es ſelbſt, war die Hoheit des Reiches in niedrigerer Geſtalt einhergezogen; der Inhaber einer Gewalt, welche ihrer Idee nach die Welt beherrſchen ſollte, forderte gleichſam das Mitleiden heraus. Wollte man es in Deutſchland zu etwas bringen, ſo mußte man es anders angreifen, von andern Grundlagen ausgehen, ein andres Ziel ins Auge faſſen. Grundlegung einer neuen Verfaſſung. So viel leuchtet auf den erſten Blick ein, daß hier die Stände ſelbſt die Initiative zu einer Verbeſſerung er- greifen mußten. Hatten ſie ſich den beiden coordinirten höhern Gewalten gegenüber eine ſo ſtarke Stellung gegeben, ſo mußte ſich nun auch zeigen, in wie fern dieſelbe für die allgemeinen Angelegenheiten heilbringend werden könne. Es kam ihnen hiebei ſogar zu Statten, daß der Kai- ſer in eine ſo mißliche Lage gerathen war. Nicht als ob ſie ſich derſelben hätten bedienen wol- len, ihn ganz herabzudrücken oder zu verderben; ſie wa- ren vielmehr entſchloſſen ihn nicht fallen zu laſſen. Was ſeit Jahrhunderten nur Einem Kaiſer, und zwar auch dem nur in der Fülle der Macht, nur in Folge ſehr bedeuten- der Begünſtigungen gelungen war, ſeinem Sohn die Nach- folge zu verſchaffen, das erreichte Friedrich III in dem Mo- mente der tiefſten Erniedrigung und Machtloſigkeit. Die

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/102>, abgerufen am 24.11.2024.