Sollte aber wohl ein Zustand dieser Art überhaupt behauptet werden können? Er hat etwas Gespanntes, An- gestrengtes, es fehlt ihm das Gleichgewicht der Gesundheit, die Ruhe eines natürlichen und in sich befriedigten Da- seyns. Es ist nicht Neigung zu den Geschäften, daß sie sich so eifrig hineinwirft; Ehrgeiz und fürstliches Selbstgefühl treiben sie dazu an: Vergnügen findet sie daran nicht. Auch liebt sie ihr Vaterland nicht, weder seine Vergnügungen noch seine Gewohnheiten: weder seine geistliche noch seine weltliche Verfassung: auch nicht seine Vergangenheit, von der sie keine Ahndung hat: die Staatsceremonien, die lan- gen Reden, die sie anzuhören verpflichtet ist, jede Function bei der sie persönlich in Anspruch genommen wird, sind ihr geradezu verhaßt: der Kreis von Bildung und Gelehr- samkeit in dem sich ihre Landsleute halten, scheint ihr ver- ächtlich. Hätte sie diesen Thron nicht von Kindheit an besessen, so würde er ihr vielleicht als ein Ziel ihrer Wün- sche erschienen seyn; aber da sie Königin war, so weit sie zurückdenken kann, so haben die begehrenden Kräfte des Gemüthes, welche die Zukunft eines Menschen ihm vor- bereiten, eine von ihrem Lande abgewendete Richtung ge- nommen. Phantasie und Liebe zu dem Ungewöhnlichen fan- gen an, ihr Leben zu beherrschen: sie kennt keine Rücksicht: sie denkt nicht daran, den Eindrücken des Zufalls und des Momentes die Ueberlegenheit des moralischen Ebenmaaßes, welche ihrer Stellung entspräche, entgegenzusetzen; ja sie ist hochgesinnt, muthig, voll Spannkraft und Energie, groß-
ihr hierin um so mehr glauben, da dieses Werk zugleich eine Art von Beichte ist.
Koͤnigin Chriſtine von Schweden.
Sollte aber wohl ein Zuſtand dieſer Art uͤberhaupt behauptet werden koͤnnen? Er hat etwas Geſpanntes, An- geſtrengtes, es fehlt ihm das Gleichgewicht der Geſundheit, die Ruhe eines natuͤrlichen und in ſich befriedigten Da- ſeyns. Es iſt nicht Neigung zu den Geſchaͤften, daß ſie ſich ſo eifrig hineinwirft; Ehrgeiz und fuͤrſtliches Selbſtgefuͤhl treiben ſie dazu an: Vergnuͤgen findet ſie daran nicht. Auch liebt ſie ihr Vaterland nicht, weder ſeine Vergnuͤgungen noch ſeine Gewohnheiten: weder ſeine geiſtliche noch ſeine weltliche Verfaſſung: auch nicht ſeine Vergangenheit, von der ſie keine Ahndung hat: die Staatsceremonien, die lan- gen Reden, die ſie anzuhoͤren verpflichtet iſt, jede Function bei der ſie perſoͤnlich in Anſpruch genommen wird, ſind ihr geradezu verhaßt: der Kreis von Bildung und Gelehr- ſamkeit in dem ſich ihre Landsleute halten, ſcheint ihr ver- aͤchtlich. Haͤtte ſie dieſen Thron nicht von Kindheit an beſeſſen, ſo wuͤrde er ihr vielleicht als ein Ziel ihrer Wuͤn- ſche erſchienen ſeyn; aber da ſie Koͤnigin war, ſo weit ſie zuruͤckdenken kann, ſo haben die begehrenden Kraͤfte des Gemuͤthes, welche die Zukunft eines Menſchen ihm vor- bereiten, eine von ihrem Lande abgewendete Richtung ge- nommen. Phantaſie und Liebe zu dem Ungewoͤhnlichen fan- gen an, ihr Leben zu beherrſchen: ſie kennt keine Ruͤckſicht: ſie denkt nicht daran, den Eindruͤcken des Zufalls und des Momentes die Ueberlegenheit des moraliſchen Ebenmaaßes, welche ihrer Stellung entſpraͤche, entgegenzuſetzen; ja ſie iſt hochgeſinnt, muthig, voll Spannkraft und Energie, groß-
ihr hierin um ſo mehr glauben, da dieſes Werk zugleich eine Art von Beichte iſt.
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Koͤnigin Chriſtine von Schweden.
Sollte aber wohl ein Zuſtand dieſer Art uͤberhaupt
behauptet werden koͤnnen? Er hat etwas Geſpanntes, An-
geſtrengtes, es fehlt ihm das Gleichgewicht der Geſundheit,
die Ruhe eines natuͤrlichen und in ſich befriedigten Da-
ſeyns. Es iſt nicht Neigung zu den Geſchaͤften, daß ſie
ſich ſo eifrig hineinwirft; Ehrgeiz und fuͤrſtliches Selbſtgefuͤhl
treiben ſie dazu an: Vergnuͤgen findet ſie daran nicht. Auch
liebt ſie ihr Vaterland nicht, weder ſeine Vergnuͤgungen
noch ſeine Gewohnheiten: weder ſeine geiſtliche noch ſeine
weltliche Verfaſſung: auch nicht ſeine Vergangenheit, von
der ſie keine Ahndung hat: die Staatsceremonien, die lan-
gen Reden, die ſie anzuhoͤren verpflichtet iſt, jede Function
bei der ſie perſoͤnlich in Anſpruch genommen wird, ſind
ihr geradezu verhaßt: der Kreis von Bildung und Gelehr-
ſamkeit in dem ſich ihre Landsleute halten, ſcheint ihr ver-
aͤchtlich. Haͤtte ſie dieſen Thron nicht von Kindheit an
beſeſſen, ſo wuͤrde er ihr vielleicht als ein Ziel ihrer Wuͤn-
ſche erſchienen ſeyn; aber da ſie Koͤnigin war, ſo weit ſie
zuruͤckdenken kann, ſo haben die begehrenden Kraͤfte des
Gemuͤthes, welche die Zukunft eines Menſchen ihm vor-
bereiten, eine von ihrem Lande abgewendete Richtung ge-
nommen. Phantaſie und Liebe zu dem Ungewoͤhnlichen fan-
gen an, ihr Leben zu beherrſchen: ſie kennt keine Ruͤckſicht:
ſie denkt nicht daran, den Eindruͤcken des Zufalls und des
Momentes die Ueberlegenheit des moraliſchen Ebenmaaßes,
welche ihrer Stellung entſpraͤche, entgegenzuſetzen; ja ſie iſt
hochgeſinnt, muthig, voll Spannkraft und Energie, groß-
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1) ihr hierin um ſo mehr glauben, da dieſes Werk zugleich eine Art
von Beichte iſt.
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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/97>, abgerufen am 24.11.2024.
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