Einschaltung. Ueber einige Geschichtschreiber des Jesuiterordens.
Selbstgefühl und Muße veranlaßten allmählig die meisten Or- den ihre Geschichten ausführlich aufzuzeichnen.
Keiner von allen hat das aber wohl so systematisch gethan wie der jesuitische. Er sah es darauf ab, der Welt eine zusammen- hangende und umfassende Historie seiner Wirksamkeit auch selber zu überliefern.
In der That ist die Historia societatis Jesu, die man unter dem Namen des Orlandinus und seiner Fortsetzer kennt, ein für den Orden, ja wir dürfen sagen für die Geschichte des Jahrhun- derts überhaupt höchst bedeutendes Werk.
Nicolaus Orlandinus, aus Florenz gebürtig, hatte eine Zeit lang dem Collegium zu Nola, den Novizen von Neapel vorgestan- den, als er 1598 von Acquaviva nach Rom berufen und zum Ge- schichtschreiber des Ordens ernannt ward. Er war wie in den Ge- schäften des Lebens, so auch in seinem Styl sorgfältig, sehr genau und bedachtsam: aber sehr kränklich. Mit Mühe brachte er sein Werk bis zum Tode des Ignatius. Er starb 1606.
Sein Nachfolger in diesem Geschäfte war Franciscus Sacchi- nus, aus dem Gebiete von Perugia, von den jesuitischen Historikern überhaupt wohl der ausgezeichnetste. Er war der Sohn eines Bauern: zuweilen besuchte ihn sein Vater in dem Collegium Roma- num, wo er Rhetorik lehrte, und es wird ihm zum Ruhme ange- rechnet, daß er sich seiner Herkunft nicht geschämt habe. Achtzehn Jahre lang widmete er sich hierauf der Abfassung seiner Geschichte, in dem Probationshause auf dem Quirinal zu Rom, das er fast niemals verließ. Aber er lebte nichts desto minder in der Anschauung der großen Interessen der Welt. Die Restauration des Katholicismus war noch im- mer im größten Fortgang. Was kann für einen Historiker reizender seyn, als die Origines eines Ereignisses zu beschreiben, dessen Entwicke- lung und Wirkungen er lebendig vor sich hat? Sacchinus fühlte sehr wohl die einzige Eigenthümlichkeit seines Gegenstandes; -- diesen Welt- kampf, vollbracht im Enthusiasmus der Orthodoxie. "Kriege be- schreibe ich", sagt er, "nicht der Völker unter einander, sondern des menschlichen Geschlechtes mit den Ungeheuern und den Gewal- ten der Hölle, Kriege die nicht einzelne Provinzen, sondern alle Län- der und Meere umfassen, Kriege endlich, in denen nicht die irdische Gewalt, sondern das himmlische Reich der Kampfpreis ist." In diesem Sinne jesuitischer Begeisterung hat er nun die Regierung des Lainez 1556--1564, des Borgia bis 1572, des Everardus Mercu- rianus bis 1580, jede in einem Bande von acht Büchern, und die ersten zehn Jahre Acquavivas in eben so viel Büchern beschrieben. Es sind das vier ziemlich starke und enggedruckte Foliobände; nichts desto minder entschuldigt er sich, daß er so kurz sey. Auch könnte
Geſchichtſchreiber des Jeſuiterordens.
Einſchaltung. Ueber einige Geſchichtſchreiber des Jeſuiterordens.
Selbſtgefuͤhl und Muße veranlaßten allmaͤhlig die meiſten Or- den ihre Geſchichten ausfuͤhrlich aufzuzeichnen.
Keiner von allen hat das aber wohl ſo ſyſtematiſch gethan wie der jeſuitiſche. Er ſah es darauf ab, der Welt eine zuſammen- hangende und umfaſſende Hiſtorie ſeiner Wirkſamkeit auch ſelber zu uͤberliefern.
In der That iſt die Historia societatis Jesu, die man unter dem Namen des Orlandinus und ſeiner Fortſetzer kennt, ein fuͤr den Orden, ja wir duͤrfen ſagen fuͤr die Geſchichte des Jahrhun- derts uͤberhaupt hoͤchſt bedeutendes Werk.
Nicolaus Orlandinus, aus Florenz gebuͤrtig, hatte eine Zeit lang dem Collegium zu Nola, den Novizen von Neapel vorgeſtan- den, als er 1598 von Acquaviva nach Rom berufen und zum Ge- ſchichtſchreiber des Ordens ernannt ward. Er war wie in den Ge- ſchaͤften des Lebens, ſo auch in ſeinem Styl ſorgfaͤltig, ſehr genau und bedachtſam: aber ſehr kraͤnklich. Mit Muͤhe brachte er ſein Werk bis zum Tode des Ignatius. Er ſtarb 1606.
Sein Nachfolger in dieſem Geſchaͤfte war Franciscus Sacchi- nus, aus dem Gebiete von Perugia, von den jeſuitiſchen Hiſtorikern uͤberhaupt wohl der ausgezeichnetſte. Er war der Sohn eines Bauern: zuweilen beſuchte ihn ſein Vater in dem Collegium Roma- num, wo er Rhetorik lehrte, und es wird ihm zum Ruhme ange- rechnet, daß er ſich ſeiner Herkunft nicht geſchaͤmt habe. Achtzehn Jahre lang widmete er ſich hierauf der Abfaſſung ſeiner Geſchichte, in dem Probationshauſe auf dem Quirinal zu Rom, das er faſt niemals verließ. Aber er lebte nichts deſto minder in der Anſchauung der großen Intereſſen der Welt. Die Reſtauration des Katholicismus war noch im- mer im groͤßten Fortgang. Was kann fuͤr einen Hiſtoriker reizender ſeyn, als die Origines eines Ereigniſſes zu beſchreiben, deſſen Entwicke- lung und Wirkungen er lebendig vor ſich hat? Sacchinus fuͤhlte ſehr wohl die einzige Eigenthuͤmlichkeit ſeines Gegenſtandes; — dieſen Welt- kampf, vollbracht im Enthuſiasmus der Orthodoxie. „Kriege be- ſchreibe ich“, ſagt er, „nicht der Voͤlker unter einander, ſondern des menſchlichen Geſchlechtes mit den Ungeheuern und den Gewal- ten der Hoͤlle, Kriege die nicht einzelne Provinzen, ſondern alle Laͤn- der und Meere umfaſſen, Kriege endlich, in denen nicht die irdiſche Gewalt, ſondern das himmliſche Reich der Kampfpreis iſt.“ In dieſem Sinne jeſuitiſcher Begeiſterung hat er nun die Regierung des Lainez 1556—1564, des Borgia bis 1572, des Everardus Mercu- rianus bis 1580, jede in einem Bande von acht Buͤchern, und die erſten zehn Jahre Acquavivas in eben ſo viel Buͤchern beſchrieben. Es ſind das vier ziemlich ſtarke und enggedruckte Foliobaͤnde; nichts deſto minder entſchuldigt er ſich, daß er ſo kurz ſey. Auch koͤnnte
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Geſchichtſchreiber des Jeſuiterordens.
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den ihre Geſchichten ausfuͤhrlich aufzuzeichnen.
Keiner von allen hat das aber wohl ſo ſyſtematiſch gethan
wie der jeſuitiſche. Er ſah es darauf ab, der Welt eine zuſammen-
hangende und umfaſſende Hiſtorie ſeiner Wirkſamkeit auch ſelber zu
uͤberliefern.
In der That iſt die Historia societatis Jesu, die man unter
dem Namen des Orlandinus und ſeiner Fortſetzer kennt, ein fuͤr
den Orden, ja wir duͤrfen ſagen fuͤr die Geſchichte des Jahrhun-
derts uͤberhaupt hoͤchſt bedeutendes Werk.
Nicolaus Orlandinus, aus Florenz gebuͤrtig, hatte eine Zeit
lang dem Collegium zu Nola, den Novizen von Neapel vorgeſtan-
den, als er 1598 von Acquaviva nach Rom berufen und zum Ge-
ſchichtſchreiber des Ordens ernannt ward. Er war wie in den Ge-
ſchaͤften des Lebens, ſo auch in ſeinem Styl ſorgfaͤltig, ſehr genau
und bedachtſam: aber ſehr kraͤnklich. Mit Muͤhe brachte er ſein
Werk bis zum Tode des Ignatius. Er ſtarb 1606.
Sein Nachfolger in dieſem Geſchaͤfte war Franciscus Sacchi-
nus, aus dem Gebiete von Perugia, von den jeſuitiſchen Hiſtorikern
uͤberhaupt wohl der ausgezeichnetſte. Er war der Sohn eines
Bauern: zuweilen beſuchte ihn ſein Vater in dem Collegium Roma-
num, wo er Rhetorik lehrte, und es wird ihm zum Ruhme ange-
rechnet, daß er ſich ſeiner Herkunft nicht geſchaͤmt habe. Achtzehn
Jahre lang widmete er ſich hierauf der Abfaſſung ſeiner Geſchichte, in
dem Probationshauſe auf dem Quirinal zu Rom, das er faſt niemals
verließ. Aber er lebte nichts deſto minder in der Anſchauung der großen
Intereſſen der Welt. Die Reſtauration des Katholicismus war noch im-
mer im groͤßten Fortgang. Was kann fuͤr einen Hiſtoriker reizender ſeyn,
als die Origines eines Ereigniſſes zu beſchreiben, deſſen Entwicke-
lung und Wirkungen er lebendig vor ſich hat? Sacchinus fuͤhlte ſehr
wohl die einzige Eigenthuͤmlichkeit ſeines Gegenſtandes; — dieſen Welt-
kampf, vollbracht im Enthuſiasmus der Orthodoxie. „Kriege be-
ſchreibe ich“, ſagt er, „nicht der Voͤlker unter einander, ſondern
des menſchlichen Geſchlechtes mit den Ungeheuern und den Gewal-
ten der Hoͤlle, Kriege die nicht einzelne Provinzen, ſondern alle Laͤn-
der und Meere umfaſſen, Kriege endlich, in denen nicht die irdiſche
Gewalt, ſondern das himmliſche Reich der Kampfpreis iſt.“ In
dieſem Sinne jeſuitiſcher Begeiſterung hat er nun die Regierung des
Lainez 1556—1564, des Borgia bis 1572, des Everardus Mercu-
rianus bis 1580, jede in einem Bande von acht Buͤchern, und die
erſten zehn Jahre Acquavivas in eben ſo viel Buͤchern beſchrieben.
Es ſind das vier ziemlich ſtarke und enggedruckte Foliobaͤnde; nichts
deſto minder entſchuldigt er ſich, daß er ſo kurz ſey. Auch koͤnnte
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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/393>, abgerufen am 24.11.2024.
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