stolze Gebäude der deutschen Kirche endlich völlig umge- stürzt wurde, ihre Besitzthümer und Herrschaften an die weltlichen Fürsten, gleichviel ob an die protestantischen oder katholischen, gelangten. Am römischen Hofe war man dop- pelt und dreifach betroffen. "Nach den alten Decretalen habe die Ketzerei den Verlust der Güter nach sich gezogen, jetzt müsse die Kirche zusehen, daß ihre eigenen Güter an die Ketzer vertheilt würden." 1).
Und indeß war auch für Italien ein Concordat im Sinne des französischen entworfen; der Papst mußte auch hier den Verkauf der geistlichen Güter genehmigen, die Be- setzung der Stellen der weltlichen Gewalt überlassen; ja diesem Uebereinkommen wurden sogleich so viel neue be- schränkende Bestimmungen einseitig hinzugefügt, daß Pius VII. unter diesen Umständen sich weigerte es zu publi- ciren 2).
Vor allem aber machte Napoleon in Frankreich selbst die Rechte der Staatsgewalt gegen die Kirche auf das eif- rigste geltend; die Declaration von 1682 betrachtete er als ein Grundgesetz des Reiches, und ließ sie in den Schulen erläutern; auch er wollte keine Gelübde, keine Mönche; die Verordnungen über die Ehe, welche für sein bürgerliches Ge- setzbuch angenommen wurden, widerstritten den katholischen Principien über ihre sacramentale Bedeutung; die organi- schen Artikel, die er dem Concordat von allem Anfang hin- zufügte, waren durchaus in antirömischem Sinne.
1) Instruction an einen Nuntius zu Wien -- leider ohne Da- tum, wahrscheinlich von 1803 -- bei Daunou: Essai II, p. 318.
2)Coppi: Annali d'Italia tom. III, p. 120.
BuchVIII.Spaͤtere Epochen.
ſtolze Gebaͤude der deutſchen Kirche endlich voͤllig umge- ſtuͤrzt wurde, ihre Beſitzthuͤmer und Herrſchaften an die weltlichen Fuͤrſten, gleichviel ob an die proteſtantiſchen oder katholiſchen, gelangten. Am roͤmiſchen Hofe war man dop- pelt und dreifach betroffen. „Nach den alten Decretalen habe die Ketzerei den Verluſt der Guͤter nach ſich gezogen, jetzt muͤſſe die Kirche zuſehen, daß ihre eigenen Guͤter an die Ketzer vertheilt wuͤrden.“ 1).
Und indeß war auch fuͤr Italien ein Concordat im Sinne des franzoͤſiſchen entworfen; der Papſt mußte auch hier den Verkauf der geiſtlichen Guͤter genehmigen, die Be- ſetzung der Stellen der weltlichen Gewalt uͤberlaſſen; ja dieſem Uebereinkommen wurden ſogleich ſo viel neue be- ſchraͤnkende Beſtimmungen einſeitig hinzugefuͤgt, daß Pius VII. unter dieſen Umſtaͤnden ſich weigerte es zu publi- ciren 2).
Vor allem aber machte Napoleon in Frankreich ſelbſt die Rechte der Staatsgewalt gegen die Kirche auf das eif- rigſte geltend; die Declaration von 1682 betrachtete er als ein Grundgeſetz des Reiches, und ließ ſie in den Schulen erlaͤutern; auch er wollte keine Geluͤbde, keine Moͤnche; die Verordnungen uͤber die Ehe, welche fuͤr ſein buͤrgerliches Ge- ſetzbuch angenommen wurden, widerſtritten den katholiſchen Principien uͤber ihre ſacramentale Bedeutung; die organi- ſchen Artikel, die er dem Concordat von allem Anfang hin- zufuͤgte, waren durchaus in antiroͤmiſchem Sinne.
1) Inſtruction an einen Nuntius zu Wien — leider ohne Da- tum, wahrſcheinlich von 1803 — bei Daunou: Essai II, p. 318.
2)Coppi: Annali d’Italia tom. III, p. 120.
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Buch VIII. Spaͤtere Epochen.
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weltlichen Fuͤrſten, gleichviel ob an die proteſtantiſchen oder
katholiſchen, gelangten. Am roͤmiſchen Hofe war man dop-
pelt und dreifach betroffen. „Nach den alten Decretalen
habe die Ketzerei den Verluſt der Guͤter nach ſich gezogen,
jetzt muͤſſe die Kirche zuſehen, daß ihre eigenen Guͤter an
die Ketzer vertheilt wuͤrden.“ 1).
Und indeß war auch fuͤr Italien ein Concordat im
Sinne des franzoͤſiſchen entworfen; der Papſt mußte auch
hier den Verkauf der geiſtlichen Guͤter genehmigen, die Be-
ſetzung der Stellen der weltlichen Gewalt uͤberlaſſen; ja
dieſem Uebereinkommen wurden ſogleich ſo viel neue be-
ſchraͤnkende Beſtimmungen einſeitig hinzugefuͤgt, daß Pius
VII. unter dieſen Umſtaͤnden ſich weigerte es zu publi-
ciren 2).
Vor allem aber machte Napoleon in Frankreich ſelbſt
die Rechte der Staatsgewalt gegen die Kirche auf das eif-
rigſte geltend; die Declaration von 1682 betrachtete er als
ein Grundgeſetz des Reiches, und ließ ſie in den Schulen
erlaͤutern; auch er wollte keine Geluͤbde, keine Moͤnche; die
Verordnungen uͤber die Ehe, welche fuͤr ſein buͤrgerliches Ge-
ſetzbuch angenommen wurden, widerſtritten den katholiſchen
Principien uͤber ihre ſacramentale Bedeutung; die organi-
ſchen Artikel, die er dem Concordat von allem Anfang hin-
zufuͤgte, waren durchaus in antiroͤmiſchem Sinne.
1) Inſtruction an einen Nuntius zu Wien — leider ohne Da-
tum, wahrſcheinlich von 1803 — bei Daunou: Essai II, p. 318.
2) Coppi: Annali d’Italia tom. III, p. 120.
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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/224>, abgerufen am 16.02.2025.
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