chen Einfluß die religiösen Bestrebungen Ludwigs XIV. auf den französischen, ja auf den europäischen Geist überhaupt her- vorgebracht haben. Er hatte die äußerste Gewalt angewandt, göttliche und menschliche Gesetze verletzt, um den Protestan- tismus auszurotten, und selbst alle abweichenden Meinun- gen innerhalb des Katholicismus zu vernichten; sein gan- zes Bestreben war gewesen, seinem Reiche eine vollkommen und orthodox katholische Haltung zu geben. Kaum hatte er aber die Augen geschlossen, als alles umschlug. Der reprimirte Geist warf sich in eine zügellose Bewegung.
Gerade der Abscheu gegen das Verfahren Ludwigs XIV. bewirkte, daß sich eine Meinung erhob, die dem Katholi- cismus, ja aller positiven Religion überhaupt den Krieg erklärte. Von Jahr zu Jahr nahm sie an innerer Kraft und Verbreitung nach außen zu. Die südeuropäischen Reiche waren auf die innigste Verbindung der Kirche und des Staa- tes gegründet. Hier bildete sich eine Gesinnung aus, welche den Widerwillen gegen Kirche und Religion zu einem System entwickelte, in welchem sie alle Vorstellungen von Gott und Welt, alle Principien des Staates und der Gesellschaft, alle Wissenschaften systematisch begriff, eine Literatur der Opposition, welche die Geister unwillkührlich an sich riß und mit unauflöslichen Banden fesselte.
Es liegt am Tage, wie wenig diese Tendenzen mit einander übereinstimmten: die reformirende war ihrer Natur nach monarchisch: was man von der philosophischen nicht sagen kann, die sich gar bald auch dem Staate entgegen- setzte: die jansenistische hielt an Ueberzeugungen fest, welche der einen wie der andern gleichgültig wo nicht verhaßt
BuchVIII.Spaͤtere Epochen.
chen Einfluß die religioͤſen Beſtrebungen Ludwigs XIV. auf den franzoͤſiſchen, ja auf den europaͤiſchen Geiſt uͤberhaupt her- vorgebracht haben. Er hatte die aͤußerſte Gewalt angewandt, goͤttliche und menſchliche Geſetze verletzt, um den Proteſtan- tismus auszurotten, und ſelbſt alle abweichenden Meinun- gen innerhalb des Katholicismus zu vernichten; ſein gan- zes Beſtreben war geweſen, ſeinem Reiche eine vollkommen und orthodox katholiſche Haltung zu geben. Kaum hatte er aber die Augen geſchloſſen, als alles umſchlug. Der reprimirte Geiſt warf ſich in eine zuͤgelloſe Bewegung.
Gerade der Abſcheu gegen das Verfahren Ludwigs XIV. bewirkte, daß ſich eine Meinung erhob, die dem Katholi- cismus, ja aller poſitiven Religion uͤberhaupt den Krieg erklaͤrte. Von Jahr zu Jahr nahm ſie an innerer Kraft und Verbreitung nach außen zu. Die ſuͤdeuropaͤiſchen Reiche waren auf die innigſte Verbindung der Kirche und des Staa- tes gegruͤndet. Hier bildete ſich eine Geſinnung aus, welche den Widerwillen gegen Kirche und Religion zu einem Syſtem entwickelte, in welchem ſie alle Vorſtellungen von Gott und Welt, alle Principien des Staates und der Geſellſchaft, alle Wiſſenſchaften ſyſtematiſch begriff, eine Literatur der Oppoſition, welche die Geiſter unwillkuͤhrlich an ſich riß und mit unaufloͤslichen Banden feſſelte.
Es liegt am Tage, wie wenig dieſe Tendenzen mit einander uͤbereinſtimmten: die reformirende war ihrer Natur nach monarchiſch: was man von der philoſophiſchen nicht ſagen kann, die ſich gar bald auch dem Staate entgegen- ſetzte: die janſeniſtiſche hielt an Ueberzeugungen feſt, welche der einen wie der andern gleichguͤltig wo nicht verhaßt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0200"n="188"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Buch</hi><hirendition="#aq">VIII.</hi><hirendition="#g">Spaͤtere Epochen</hi>.</fw><lb/>
chen Einfluß die religioͤſen Beſtrebungen Ludwigs <hirendition="#aq">XIV.</hi> auf<lb/>
den franzoͤſiſchen, ja auf den europaͤiſchen Geiſt uͤberhaupt her-<lb/>
vorgebracht haben. Er hatte die aͤußerſte Gewalt angewandt,<lb/>
goͤttliche und menſchliche Geſetze verletzt, um den Proteſtan-<lb/>
tismus auszurotten, und ſelbſt alle abweichenden Meinun-<lb/>
gen innerhalb des Katholicismus zu vernichten; ſein gan-<lb/>
zes Beſtreben war geweſen, ſeinem Reiche eine vollkommen<lb/>
und orthodox katholiſche Haltung zu geben. Kaum hatte<lb/>
er aber die Augen geſchloſſen, als alles umſchlug. Der<lb/>
reprimirte Geiſt warf ſich in eine zuͤgelloſe Bewegung.</p><lb/><p>Gerade der Abſcheu gegen das Verfahren Ludwigs <hirendition="#aq">XIV.</hi><lb/>
bewirkte, daß ſich eine Meinung erhob, die dem Katholi-<lb/>
cismus, ja aller poſitiven Religion uͤberhaupt den Krieg<lb/>
erklaͤrte. Von Jahr zu Jahr nahm ſie an innerer Kraft<lb/>
und Verbreitung nach außen zu. Die ſuͤdeuropaͤiſchen Reiche<lb/>
waren auf die innigſte Verbindung der Kirche und des Staa-<lb/>
tes gegruͤndet. Hier bildete ſich eine Geſinnung aus, welche<lb/>
den Widerwillen gegen Kirche und Religion zu einem Syſtem<lb/>
entwickelte, in welchem ſie alle Vorſtellungen von Gott<lb/>
und Welt, alle Principien des Staates und der Geſellſchaft,<lb/>
alle Wiſſenſchaften ſyſtematiſch begriff, eine Literatur der<lb/>
Oppoſition, welche die Geiſter unwillkuͤhrlich an ſich riß<lb/>
und mit unaufloͤslichen Banden feſſelte.</p><lb/><p>Es liegt am Tage, wie wenig dieſe Tendenzen mit<lb/>
einander uͤbereinſtimmten: die reformirende war ihrer Natur<lb/>
nach monarchiſch: was man von der philoſophiſchen nicht<lb/>ſagen kann, die ſich gar bald auch dem Staate entgegen-<lb/>ſetzte: die janſeniſtiſche hielt an Ueberzeugungen feſt, welche<lb/>
der einen wie der andern gleichguͤltig wo nicht verhaßt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[188/0200]
Buch VIII. Spaͤtere Epochen.
chen Einfluß die religioͤſen Beſtrebungen Ludwigs XIV. auf
den franzoͤſiſchen, ja auf den europaͤiſchen Geiſt uͤberhaupt her-
vorgebracht haben. Er hatte die aͤußerſte Gewalt angewandt,
goͤttliche und menſchliche Geſetze verletzt, um den Proteſtan-
tismus auszurotten, und ſelbſt alle abweichenden Meinun-
gen innerhalb des Katholicismus zu vernichten; ſein gan-
zes Beſtreben war geweſen, ſeinem Reiche eine vollkommen
und orthodox katholiſche Haltung zu geben. Kaum hatte
er aber die Augen geſchloſſen, als alles umſchlug. Der
reprimirte Geiſt warf ſich in eine zuͤgelloſe Bewegung.
Gerade der Abſcheu gegen das Verfahren Ludwigs XIV.
bewirkte, daß ſich eine Meinung erhob, die dem Katholi-
cismus, ja aller poſitiven Religion uͤberhaupt den Krieg
erklaͤrte. Von Jahr zu Jahr nahm ſie an innerer Kraft
und Verbreitung nach außen zu. Die ſuͤdeuropaͤiſchen Reiche
waren auf die innigſte Verbindung der Kirche und des Staa-
tes gegruͤndet. Hier bildete ſich eine Geſinnung aus, welche
den Widerwillen gegen Kirche und Religion zu einem Syſtem
entwickelte, in welchem ſie alle Vorſtellungen von Gott
und Welt, alle Principien des Staates und der Geſellſchaft,
alle Wiſſenſchaften ſyſtematiſch begriff, eine Literatur der
Oppoſition, welche die Geiſter unwillkuͤhrlich an ſich riß
und mit unaufloͤslichen Banden feſſelte.
Es liegt am Tage, wie wenig dieſe Tendenzen mit
einander uͤbereinſtimmten: die reformirende war ihrer Natur
nach monarchiſch: was man von der philoſophiſchen nicht
ſagen kann, die ſich gar bald auch dem Staate entgegen-
ſetzte: die janſeniſtiſche hielt an Ueberzeugungen feſt, welche
der einen wie der andern gleichguͤltig wo nicht verhaßt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/200>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.