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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836.

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Innere Gährungen.
setzen sie ihre Idee sogleich ins Werk; in Utrecht entstand
eine erzbischöfliche Kirche, die sich im Allgemeinen katho-
lisch, aber dabei in voller Unabhängigkeit von Rom hielt,
und der jesuitisch-ultramontanen Richtung unaufhörlich den
Krieg machte. Es wäre wohl der Mühe werth, der Entwicke-
lung, Verbreitung und Wirksamkeit dieser Meinungen über
ganz Europa hin nachzuforschen. In Frankreich wurden
die Jansenisten bedrängt, verfolgt, von den Stellen ausge-
schlossen; aber, wie es zu geschehen pflegt, in der Haupt-
sache schadete ihnen das nicht: während der Verfolgungen
erklärte sich ein großer Theil des Publicums für sie. Hät-
ten sie nur nicht durch ihre wundergläubigen Uebertreibun-
gen auch ihre begründeten Lehren in Mißcredit gesetzt. Aber
auf jeden Fall behielten sie ein enges Verhältniß zu reine-
rer Sittlichkeit und tieferem Glauben, das ihnen allenthal-
ben Bahn machte. Wir finden ihre Spuren in Wien und
in Brüssel, in Spanien und Portugal 1), in ganz Ita-
lien 2). Durch die gesammte katholische Christenheit brei-
teten sich ihre Lehren aus: zuweilen öffentlich, häufiger ins-
geheim.

Ohne Zweifel war es unter andern auch diese Ent-
zweiung der Geistlichkeit, welche der Erhebung noch einer
weit gefährlichern Gesinnung den Weg bahnte.

Es ist ein auf ewig merkwürdiges Phänomen, wel-

1) Man findet bei Llorente Histoire de l'inquisition III, 93
bis 97, wie viel die Inquisition unter Carl III. und Carl IV. mit
wahren oder angeblichen Jansenisten zu schaffen hatte.
2) Z. B. sehr früh in Neapel; schon 1715 glaubte man, in Nea-
pel sey die Hälfte von den einigermaßen nachdenkenden Leuten Jan-
senisten. Keyßler Reisen p. 780.

Innere Gaͤhrungen.
ſetzen ſie ihre Idee ſogleich ins Werk; in Utrecht entſtand
eine erzbiſchoͤfliche Kirche, die ſich im Allgemeinen katho-
liſch, aber dabei in voller Unabhaͤngigkeit von Rom hielt,
und der jeſuitiſch-ultramontanen Richtung unaufhoͤrlich den
Krieg machte. Es waͤre wohl der Muͤhe werth, der Entwicke-
lung, Verbreitung und Wirkſamkeit dieſer Meinungen uͤber
ganz Europa hin nachzuforſchen. In Frankreich wurden
die Janſeniſten bedraͤngt, verfolgt, von den Stellen ausge-
ſchloſſen; aber, wie es zu geſchehen pflegt, in der Haupt-
ſache ſchadete ihnen das nicht: waͤhrend der Verfolgungen
erklaͤrte ſich ein großer Theil des Publicums fuͤr ſie. Haͤt-
ten ſie nur nicht durch ihre wunderglaͤubigen Uebertreibun-
gen auch ihre begruͤndeten Lehren in Mißcredit geſetzt. Aber
auf jeden Fall behielten ſie ein enges Verhaͤltniß zu reine-
rer Sittlichkeit und tieferem Glauben, das ihnen allenthal-
ben Bahn machte. Wir finden ihre Spuren in Wien und
in Bruͤſſel, in Spanien und Portugal 1), in ganz Ita-
lien 2). Durch die geſammte katholiſche Chriſtenheit brei-
teten ſich ihre Lehren aus: zuweilen oͤffentlich, haͤufiger ins-
geheim.

Ohne Zweifel war es unter andern auch dieſe Ent-
zweiung der Geiſtlichkeit, welche der Erhebung noch einer
weit gefaͤhrlichern Geſinnung den Weg bahnte.

Es iſt ein auf ewig merkwuͤrdiges Phaͤnomen, wel-

1) Man findet bei Llorente Histoire de l’inquisition III, 93
bis 97, wie viel die Inquiſition unter Carl III. und Carl IV. mit
wahren oder angeblichen Janſeniſten zu ſchaffen hatte.
2) Z. B. ſehr fruͤh in Neapel; ſchon 1715 glaubte man, in Nea-
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ſeniſten. Keyßler Reiſen p. 780.
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[187/0199] Innere Gaͤhrungen. ſetzen ſie ihre Idee ſogleich ins Werk; in Utrecht entſtand eine erzbiſchoͤfliche Kirche, die ſich im Allgemeinen katho- liſch, aber dabei in voller Unabhaͤngigkeit von Rom hielt, und der jeſuitiſch-ultramontanen Richtung unaufhoͤrlich den Krieg machte. Es waͤre wohl der Muͤhe werth, der Entwicke- lung, Verbreitung und Wirkſamkeit dieſer Meinungen uͤber ganz Europa hin nachzuforſchen. In Frankreich wurden die Janſeniſten bedraͤngt, verfolgt, von den Stellen ausge- ſchloſſen; aber, wie es zu geſchehen pflegt, in der Haupt- ſache ſchadete ihnen das nicht: waͤhrend der Verfolgungen erklaͤrte ſich ein großer Theil des Publicums fuͤr ſie. Haͤt- ten ſie nur nicht durch ihre wunderglaͤubigen Uebertreibun- gen auch ihre begruͤndeten Lehren in Mißcredit geſetzt. Aber auf jeden Fall behielten ſie ein enges Verhaͤltniß zu reine- rer Sittlichkeit und tieferem Glauben, das ihnen allenthal- ben Bahn machte. Wir finden ihre Spuren in Wien und in Bruͤſſel, in Spanien und Portugal 1), in ganz Ita- lien 2). Durch die geſammte katholiſche Chriſtenheit brei- teten ſich ihre Lehren aus: zuweilen oͤffentlich, haͤufiger ins- geheim. Ohne Zweifel war es unter andern auch dieſe Ent- zweiung der Geiſtlichkeit, welche der Erhebung noch einer weit gefaͤhrlichern Geſinnung den Weg bahnte. Es iſt ein auf ewig merkwuͤrdiges Phaͤnomen, wel- 1) Man findet bei Llorente Histoire de l’inquisition III, 93 bis 97, wie viel die Inquiſition unter Carl III. und Carl IV. mit wahren oder angeblichen Janſeniſten zu ſchaffen hatte. 2) Z. B. ſehr fruͤh in Neapel; ſchon 1715 glaubte man, in Nea- pel ſey die Haͤlfte von den einigermaßen nachdenkenden Leuten Jan- ſeniſten. Keyßler Reiſen p. 780.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/199>, abgerufen am 25.11.2024.