Grabens kam", sagt Pallavicini, "und mit den Augen die Größe des Sprunges maß, hielt er inne und war nicht weiter vorwärts zu bringen."
Aber nicht der gesammte Hof theilte diese Bedenklichkei- ten. Unmittelbar zur Seite des Papstes stand ein Staats- secretär, der Cardinal Chigi, der ihn unaufhörlich anfeuerte. Noch in Cöln hatte Chigi das Buch zu Handen bekommen und gelesen: schon damals hatte ihn jene Stelle mit de- voter Entrüstung erfüllt, so daß er es von sich warf; von einigen deutschen Ordensgeistlichen war er in seinem Wi- derwillen bestärkt worden: an der Prüfungscongregation hatte er thätigen Antheil genommen und zum Resultate der- selben das Seine beigetragen; jetzt drang er in den Papst nicht zu schweigen: schweigen würde dießmal heißen erlau- ben: er dürfe die Lehre der päpstlichen Unfehlbarkeit nicht in Mißcredit gerathen lassen: eben das sey eine Hauptbe- stimmung des apostolischen Sitzes, in den Zweifeln der Gläubigen eine Entscheidung zu geben 1).
Nun war Innocenz, wie wir wissen, ein Mann der sich von plötzlichen Eindrücken leiten ließ. In einer un- glücklichen Stunde überwältigte ihn die Vorstellung von der Gefahr der päpstlichen Infallibilität. Er nahm das um so mehr für höhere Eingebung, da es am Tage des h. Athanasius war. Am 1. Juni 1653 erließ er seine Bulle, in welcher er jene fünf Sätze verdammte, als ketze- risch, blasphemisch, fluchbeladen. Er erklärt, hiemit hoffe er den Frieden der Kirche herzustellen; nichts liege ihm mehr am Herzen als daß das Schiff der Kirche wie im
1) Mittheilungen Pallavicinis.
BuchVIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 17. Jahrh.
Grabens kam“, ſagt Pallavicini, „und mit den Augen die Groͤße des Sprunges maß, hielt er inne und war nicht weiter vorwaͤrts zu bringen.“
Aber nicht der geſammte Hof theilte dieſe Bedenklichkei- ten. Unmittelbar zur Seite des Papſtes ſtand ein Staats- ſecretaͤr, der Cardinal Chigi, der ihn unaufhoͤrlich anfeuerte. Noch in Coͤln hatte Chigi das Buch zu Handen bekommen und geleſen: ſchon damals hatte ihn jene Stelle mit de- voter Entruͤſtung erfuͤllt, ſo daß er es von ſich warf; von einigen deutſchen Ordensgeiſtlichen war er in ſeinem Wi- derwillen beſtaͤrkt worden: an der Pruͤfungscongregation hatte er thaͤtigen Antheil genommen und zum Reſultate der- ſelben das Seine beigetragen; jetzt drang er in den Papſt nicht zu ſchweigen: ſchweigen wuͤrde dießmal heißen erlau- ben: er duͤrfe die Lehre der paͤpſtlichen Unfehlbarkeit nicht in Mißcredit gerathen laſſen: eben das ſey eine Hauptbe- ſtimmung des apoſtoliſchen Sitzes, in den Zweifeln der Glaͤubigen eine Entſcheidung zu geben 1).
Nun war Innocenz, wie wir wiſſen, ein Mann der ſich von ploͤtzlichen Eindruͤcken leiten ließ. In einer un- gluͤcklichen Stunde uͤberwaͤltigte ihn die Vorſtellung von der Gefahr der paͤpſtlichen Infallibilitaͤt. Er nahm das um ſo mehr fuͤr hoͤhere Eingebung, da es am Tage des h. Athanaſius war. Am 1. Juni 1653 erließ er ſeine Bulle, in welcher er jene fuͤnf Saͤtze verdammte, als ketze- riſch, blasphemiſch, fluchbeladen. Er erklaͤrt, hiemit hoffe er den Frieden der Kirche herzuſtellen; nichts liege ihm mehr am Herzen als daß das Schiff der Kirche wie im
1) Mittheilungen Pallavicinis.
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Buch VIII. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 17. Jahrh.
Grabens kam“, ſagt Pallavicini, „und mit den Augen
die Groͤße des Sprunges maß, hielt er inne und war nicht
weiter vorwaͤrts zu bringen.“
Aber nicht der geſammte Hof theilte dieſe Bedenklichkei-
ten. Unmittelbar zur Seite des Papſtes ſtand ein Staats-
ſecretaͤr, der Cardinal Chigi, der ihn unaufhoͤrlich anfeuerte.
Noch in Coͤln hatte Chigi das Buch zu Handen bekommen
und geleſen: ſchon damals hatte ihn jene Stelle mit de-
voter Entruͤſtung erfuͤllt, ſo daß er es von ſich warf; von
einigen deutſchen Ordensgeiſtlichen war er in ſeinem Wi-
derwillen beſtaͤrkt worden: an der Pruͤfungscongregation
hatte er thaͤtigen Antheil genommen und zum Reſultate der-
ſelben das Seine beigetragen; jetzt drang er in den Papſt
nicht zu ſchweigen: ſchweigen wuͤrde dießmal heißen erlau-
ben: er duͤrfe die Lehre der paͤpſtlichen Unfehlbarkeit nicht
in Mißcredit gerathen laſſen: eben das ſey eine Hauptbe-
ſtimmung des apoſtoliſchen Sitzes, in den Zweifeln der
Glaͤubigen eine Entſcheidung zu geben 1).
Nun war Innocenz, wie wir wiſſen, ein Mann der
ſich von ploͤtzlichen Eindruͤcken leiten ließ. In einer un-
gluͤcklichen Stunde uͤberwaͤltigte ihn die Vorſtellung von
der Gefahr der paͤpſtlichen Infallibilitaͤt. Er nahm das
um ſo mehr fuͤr hoͤhere Eingebung, da es am Tage des
h. Athanaſius war. Am 1. Juni 1653 erließ er ſeine
Bulle, in welcher er jene fuͤnf Saͤtze verdammte, als ketze-
riſch, blasphemiſch, fluchbeladen. Er erklaͤrt, hiemit hoffe
er den Frieden der Kirche herzuſtellen; nichts liege ihm
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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/160>, abgerufen am 24.11.2024.
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