lichen Leben nur mit Schwierigkeit ausdrückte, aber so wie er die Kanzel bestieg, eine hinreißende Beredsamkeit ent- wickelte 1). Diejenigen die sich am eifrigsten zu ihm hiel- ten, schickte er nach Portroyal, wo man sie gern auf- nahm. Es waren junge Geistliche und Gelehrte, wohl- habende Kaufleute, Männer aus den angesehensten Fami- lien, Aerzte, die schon eine bedeutende Stellung hatten, Mitglieder anderer Orden, jedoch alles Leute, die nur in- nerer Trieb und entschiedenes Einverständniß zu diesem Schritte vermochten.
Und in dieser Einsamkeit nun, gleichsam einem freiwil- ligen und durch keine Verpflichtung zusammengehaltenen Kloster, gab es allerdings viel religiöse Uebungen; man be- suchte die Kirche fleißig: man betete viel, gemeinschaftlich oder allein: auch wurden ländliche Arbeiten, von Einem oder dem Andern ward ein Handwerk getrieben; allein hauptsächlich widmete man sich literarischen Beschäftigun- gen: die Gesellschaft von Portroyal war zugleich eine Art von Akademie.
Während die Jesuiten in unübersehbaren Folianten Gelehrsamkeit aufspeicherten, oder sich in die widerwärtige Scholastik künstlicher Systeme der Moral und der Dogma- tik verloren, wandten sich die Jansenisten an die Nation.
Sie fingen an zu übersetzen: die h. Schrift, Kirchen- väter, lateinische Gebetbücher: glücklich wußten sie hiebei die altfränkischen Formen zu vermeiden, die bisher Arbei- ten dieser Art geschadet hatten, und sich mit anziehender Verständlichkeit auszudrücken. Eine Unterrichtsanstalt, die
1)Memoires de Fontaine II, p. 283.
Janſeniſten.
lichen Leben nur mit Schwierigkeit ausdruͤckte, aber ſo wie er die Kanzel beſtieg, eine hinreißende Beredſamkeit ent- wickelte 1). Diejenigen die ſich am eifrigſten zu ihm hiel- ten, ſchickte er nach Portroyal, wo man ſie gern auf- nahm. Es waren junge Geiſtliche und Gelehrte, wohl- habende Kaufleute, Maͤnner aus den angeſehenſten Fami- lien, Aerzte, die ſchon eine bedeutende Stellung hatten, Mitglieder anderer Orden, jedoch alles Leute, die nur in- nerer Trieb und entſchiedenes Einverſtaͤndniß zu dieſem Schritte vermochten.
Und in dieſer Einſamkeit nun, gleichſam einem freiwil- ligen und durch keine Verpflichtung zuſammengehaltenen Kloſter, gab es allerdings viel religioͤſe Uebungen; man be- ſuchte die Kirche fleißig: man betete viel, gemeinſchaftlich oder allein: auch wurden laͤndliche Arbeiten, von Einem oder dem Andern ward ein Handwerk getrieben; allein hauptſaͤchlich widmete man ſich literariſchen Beſchaͤftigun- gen: die Geſellſchaft von Portroyal war zugleich eine Art von Akademie.
Waͤhrend die Jeſuiten in unuͤberſehbaren Folianten Gelehrſamkeit aufſpeicherten, oder ſich in die widerwaͤrtige Scholaſtik kuͤnſtlicher Syſteme der Moral und der Dogma- tik verloren, wandten ſich die Janſeniſten an die Nation.
Sie fingen an zu uͤberſetzen: die h. Schrift, Kirchen- vaͤter, lateiniſche Gebetbuͤcher: gluͤcklich wußten ſie hiebei die altfraͤnkiſchen Formen zu vermeiden, die bisher Arbei- ten dieſer Art geſchadet hatten, und ſich mit anziehender Verſtaͤndlichkeit auszudruͤcken. Eine Unterrichtsanſtalt, die
1)Mémoires de Fontaine II, p. 283.
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Janſeniſten.
lichen Leben nur mit Schwierigkeit ausdruͤckte, aber ſo wie
er die Kanzel beſtieg, eine hinreißende Beredſamkeit ent-
wickelte 1). Diejenigen die ſich am eifrigſten zu ihm hiel-
ten, ſchickte er nach Portroyal, wo man ſie gern auf-
nahm. Es waren junge Geiſtliche und Gelehrte, wohl-
habende Kaufleute, Maͤnner aus den angeſehenſten Fami-
lien, Aerzte, die ſchon eine bedeutende Stellung hatten,
Mitglieder anderer Orden, jedoch alles Leute, die nur in-
nerer Trieb und entſchiedenes Einverſtaͤndniß zu dieſem
Schritte vermochten.
Und in dieſer Einſamkeit nun, gleichſam einem freiwil-
ligen und durch keine Verpflichtung zuſammengehaltenen
Kloſter, gab es allerdings viel religioͤſe Uebungen; man be-
ſuchte die Kirche fleißig: man betete viel, gemeinſchaftlich
oder allein: auch wurden laͤndliche Arbeiten, von Einem
oder dem Andern ward ein Handwerk getrieben; allein
hauptſaͤchlich widmete man ſich literariſchen Beſchaͤftigun-
gen: die Geſellſchaft von Portroyal war zugleich eine Art
von Akademie.
Waͤhrend die Jeſuiten in unuͤberſehbaren Folianten
Gelehrſamkeit aufſpeicherten, oder ſich in die widerwaͤrtige
Scholaſtik kuͤnſtlicher Syſteme der Moral und der Dogma-
tik verloren, wandten ſich die Janſeniſten an die Nation.
Sie fingen an zu uͤberſetzen: die h. Schrift, Kirchen-
vaͤter, lateiniſche Gebetbuͤcher: gluͤcklich wußten ſie hiebei
die altfraͤnkiſchen Formen zu vermeiden, die bisher Arbei-
ten dieſer Art geſchadet hatten, und ſich mit anziehender
Verſtaͤndlichkeit auszudruͤcken. Eine Unterrichtsanſtalt, die
1) Mémoires de Fontaine II, p. 283.
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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/155>, abgerufen am 16.07.2024.
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