entfernte, ward sie nun durch die Ankunft der fremden Ge- lehrten bestärkt. Einige waren katholisch: andere z. B. Isaak Vossius galten geradezu für ungläubig: Bourdelot, der bei ihr um so höher stand, da er sie von einer gefähr- lichen Krankheit glücklich heilte, verspottete alles, Polyhi- historen und Landesreligionen, und galt geradezu für einen Naturalisten.
Allmählig gerieth die junge Fürstin in unauflösliche Zweifel. Es schien ihr, als sey alle positive Religion eine Erfindung der Menschen, als gelte jedes Argument gegen die eine so gut wie gegen die andere: als sey es zuletzt gleichgültig welcher man angehöre.
Indessen ging sie hiebei doch nie bis zu eigentli- cher Irreligiosität fort: es gab auch in ihr einige unerschüt- terliche Ueberzeugungen: in ihrer fürstlichen Einsamkeit auf dem Throne hätte sie doch den Gedanken an Gott nicht entbehren können: ja sie glaubte fast ihm einen Schritt nä- her zu stehn: "du weißt" ruft sie aus, "wie oft ich in einer gemeinen Geistern unbekannten Sprache dich um die Gnade bat mich zu erleuchten, und dir gelobte dir zu ge- horchen, sollte ich auch Leben und Glück darüber aufopfern." Schon verknüpft sie dieß mit ihren übrigen Ideen: "ich verzichtete", sagt sie, "auf alle andere Liebe und widmete mich dieser."
Sollte aber Gott die Menschen ohne die wahre Reli- gion gelassen haben? Besonders machte ein Ausspruch Ci- ceros, daß die wahre Religion nur Eine seyn könne und alle andern falsch seyn müßten, auf sie Eindruck 1).
1)Pallavicini: Vita Alexandri VII. Stelle im Anhang.
BuchVIII.Die Paͤpſte um d. Mitte d. 17. Jahrh.
entfernte, ward ſie nun durch die Ankunft der fremden Ge- lehrten beſtaͤrkt. Einige waren katholiſch: andere z. B. Iſaak Voſſius galten geradezu fuͤr unglaͤubig: Bourdelot, der bei ihr um ſo hoͤher ſtand, da er ſie von einer gefaͤhr- lichen Krankheit gluͤcklich heilte, verſpottete alles, Polyhi- hiſtoren und Landesreligionen, und galt geradezu fuͤr einen Naturaliſten.
Allmaͤhlig gerieth die junge Fuͤrſtin in unaufloͤsliche Zweifel. Es ſchien ihr, als ſey alle poſitive Religion eine Erfindung der Menſchen, als gelte jedes Argument gegen die eine ſo gut wie gegen die andere: als ſey es zuletzt gleichguͤltig welcher man angehoͤre.
Indeſſen ging ſie hiebei doch nie bis zu eigentli- cher Irreligioſitaͤt fort: es gab auch in ihr einige unerſchuͤt- terliche Ueberzeugungen: in ihrer fuͤrſtlichen Einſamkeit auf dem Throne haͤtte ſie doch den Gedanken an Gott nicht entbehren koͤnnen: ja ſie glaubte faſt ihm einen Schritt naͤ- her zu ſtehn: „du weißt“ ruft ſie aus, „wie oft ich in einer gemeinen Geiſtern unbekannten Sprache dich um die Gnade bat mich zu erleuchten, und dir gelobte dir zu ge- horchen, ſollte ich auch Leben und Gluͤck daruͤber aufopfern.“ Schon verknuͤpft ſie dieß mit ihren uͤbrigen Ideen: „ich verzichtete“, ſagt ſie, „auf alle andere Liebe und widmete mich dieſer.“
Sollte aber Gott die Menſchen ohne die wahre Reli- gion gelaſſen haben? Beſonders machte ein Ausſpruch Ci- ceros, daß die wahre Religion nur Eine ſeyn koͤnne und alle andern falſch ſeyn muͤßten, auf ſie Eindruck 1).
1)Pallavicini: Vita Alexandri VII. Stelle im Anhang.
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Buch VIII. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 17. Jahrh.
entfernte, ward ſie nun durch die Ankunft der fremden Ge-
lehrten beſtaͤrkt. Einige waren katholiſch: andere z. B.
Iſaak Voſſius galten geradezu fuͤr unglaͤubig: Bourdelot,
der bei ihr um ſo hoͤher ſtand, da er ſie von einer gefaͤhr-
lichen Krankheit gluͤcklich heilte, verſpottete alles, Polyhi-
hiſtoren und Landesreligionen, und galt geradezu fuͤr einen
Naturaliſten.
Allmaͤhlig gerieth die junge Fuͤrſtin in unaufloͤsliche
Zweifel. Es ſchien ihr, als ſey alle poſitive Religion eine
Erfindung der Menſchen, als gelte jedes Argument gegen
die eine ſo gut wie gegen die andere: als ſey es zuletzt
gleichguͤltig welcher man angehoͤre.
Indeſſen ging ſie hiebei doch nie bis zu eigentli-
cher Irreligioſitaͤt fort: es gab auch in ihr einige unerſchuͤt-
terliche Ueberzeugungen: in ihrer fuͤrſtlichen Einſamkeit auf
dem Throne haͤtte ſie doch den Gedanken an Gott nicht
entbehren koͤnnen: ja ſie glaubte faſt ihm einen Schritt naͤ-
her zu ſtehn: „du weißt“ ruft ſie aus, „wie oft ich in
einer gemeinen Geiſtern unbekannten Sprache dich um die
Gnade bat mich zu erleuchten, und dir gelobte dir zu ge-
horchen, ſollte ich auch Leben und Gluͤck daruͤber aufopfern.“
Schon verknuͤpft ſie dieß mit ihren uͤbrigen Ideen: „ich
verzichtete“, ſagt ſie, „auf alle andere Liebe und widmete
mich dieſer.“
Sollte aber Gott die Menſchen ohne die wahre Reli-
gion gelaſſen haben? Beſonders machte ein Ausſpruch Ci-
ceros, daß die wahre Religion nur Eine ſeyn koͤnne und
alle andern falſch ſeyn muͤßten, auf ſie Eindruck 1).
1) Pallavicini: Vita Alexandri VII. Stelle im Anhang.
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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/100>, abgerufen am 07.07.2024.
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