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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836.

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Venezianische Irrungen.
welchem die mancherlei Fehler dieses Autors von der Hand
des Fra Paolo verbessert waren: man hatte daselbst einen
kleinen Aufsatz von ihm über den Ursprung und Untergang
der Meinungen in den Menschen, der, nach den Auszügen
die Foscarini daraus mittheilt zu urtheilen, eine Theorie
des Erkenntnißvermögens enthielt, welche Sensation und
Reflexion zu ihrer Grundlage nahm, und mit der Lockischen
viel Aehnlichkeit hatte 1), wenn sie ihr auch nicht so ganz
entsprochen haben sollte, wie man behauptet hat. -- Fra
Paolo schrieb nur so viel als nothwendig war; Neigung
zur Production hatte er nicht von Natur: er las immer,
eignete sich an, beobachtete: sein Geist war nüchtern und
umfassend, methodisch und kühn: auf den Bahnen freier For-
schung ging er einher.

Mit diesen Kräften nun kam er an die theologischen und
kirchenrechtlichen Fragen.

Man hat gesagt, er sey insgeheim Protestant gewe-
sen; doch schwerlich ging sein Protestantismus über die
ersten einfachen Sätze der augsburgischen Confession hinaus:
wenn er ja noch diese festhielt. Wenigstens hat Fra Paolo
sein Lebenlang alle Tage Messe gelesen. Das Bekenntniß

1) Besonders auffallend wäre die Erklärung der Substanz.
Paolo Sarpi bei Foscarini und Griselini leitet die Substanz aus
der Vielheit der Ideen her, ohne daß man den Grund auf wel-
chem sie ruhen, erkennen kann, und in diesem Grunde, sagt er, be-
stehe eigentlich das wir Substanz nennen. Griselini I, p. 46 d. Ueb.
Locke: Humane understanding B. II, ch. 23. Not imagining
how the simple ideas can subsist by themselves, we accustom
ourselves to suppose some substratum wherein they do subsist
and from which they do result, which therefore we call sub-
stance.
Päpste* 22

Venezianiſche Irrungen.
welchem die mancherlei Fehler dieſes Autors von der Hand
des Fra Paolo verbeſſert waren: man hatte daſelbſt einen
kleinen Aufſatz von ihm uͤber den Urſprung und Untergang
der Meinungen in den Menſchen, der, nach den Auszuͤgen
die Foscarini daraus mittheilt zu urtheilen, eine Theorie
des Erkenntnißvermoͤgens enthielt, welche Senſation und
Reflexion zu ihrer Grundlage nahm, und mit der Lockiſchen
viel Aehnlichkeit hatte 1), wenn ſie ihr auch nicht ſo ganz
entſprochen haben ſollte, wie man behauptet hat. — Fra
Paolo ſchrieb nur ſo viel als nothwendig war; Neigung
zur Production hatte er nicht von Natur: er las immer,
eignete ſich an, beobachtete: ſein Geiſt war nuͤchtern und
umfaſſend, methodiſch und kuͤhn: auf den Bahnen freier For-
ſchung ging er einher.

Mit dieſen Kraͤften nun kam er an die theologiſchen und
kirchenrechtlichen Fragen.

Man hat geſagt, er ſey insgeheim Proteſtant gewe-
ſen; doch ſchwerlich ging ſein Proteſtantismus uͤber die
erſten einfachen Saͤtze der augsburgiſchen Confeſſion hinaus:
wenn er ja noch dieſe feſthielt. Wenigſtens hat Fra Paolo
ſein Lebenlang alle Tage Meſſe geleſen. Das Bekenntniß

1) Beſonders auffallend waͤre die Erklaͤrung der Subſtanz.
Paolo Sarpi bei Foscarini und Griſelini leitet die Subſtanz aus
der Vielheit der Ideen her, ohne daß man den Grund auf wel-
chem ſie ruhen, erkennen kann, und in dieſem Grunde, ſagt er, be-
ſtehe eigentlich das wir Subſtanz nennen. Griselini I, p. 46 d. Ueb.
Locke: Humane understanding B. II, ch. 23. Not imagining
how the simple ideas can subsist by themselves, we accustom
ourselves to suppose some substratum wherein they do subsist
and from which they do result, which therefore we call sub-
stance.
Päpſte* 22
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[337/0349] Venezianiſche Irrungen. welchem die mancherlei Fehler dieſes Autors von der Hand des Fra Paolo verbeſſert waren: man hatte daſelbſt einen kleinen Aufſatz von ihm uͤber den Urſprung und Untergang der Meinungen in den Menſchen, der, nach den Auszuͤgen die Foscarini daraus mittheilt zu urtheilen, eine Theorie des Erkenntnißvermoͤgens enthielt, welche Senſation und Reflexion zu ihrer Grundlage nahm, und mit der Lockiſchen viel Aehnlichkeit hatte 1), wenn ſie ihr auch nicht ſo ganz entſprochen haben ſollte, wie man behauptet hat. — Fra Paolo ſchrieb nur ſo viel als nothwendig war; Neigung zur Production hatte er nicht von Natur: er las immer, eignete ſich an, beobachtete: ſein Geiſt war nuͤchtern und umfaſſend, methodiſch und kuͤhn: auf den Bahnen freier For- ſchung ging er einher. Mit dieſen Kraͤften nun kam er an die theologiſchen und kirchenrechtlichen Fragen. Man hat geſagt, er ſey insgeheim Proteſtant gewe- ſen; doch ſchwerlich ging ſein Proteſtantismus uͤber die erſten einfachen Saͤtze der augsburgiſchen Confeſſion hinaus: wenn er ja noch dieſe feſthielt. Wenigſtens hat Fra Paolo ſein Lebenlang alle Tage Meſſe geleſen. Das Bekenntniß 1) Beſonders auffallend waͤre die Erklaͤrung der Subſtanz. Paolo Sarpi bei Foscarini und Griſelini leitet die Subſtanz aus der Vielheit der Ideen her, ohne daß man den Grund auf wel- chem ſie ruhen, erkennen kann, und in dieſem Grunde, ſagt er, be- ſtehe eigentlich das wir Subſtanz nennen. Griselini I, p. 46 d. Ueb. Locke: Humane understanding B. II, ch. 23. Not imagining how the simple ideas can subsist by themselves, we accustom ourselves to suppose some substratum wherein they do subsist and from which they do result, which therefore we call sub- stance. Päpſte* 22

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/349>, abgerufen am 22.11.2024.