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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836.

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Venezianische Irrungen.
von St. Veit nach Venedig gewandert, und einer Mutter
aus einem venezianischen Geschlechte das die Privilegien
der Cittadinanza genoß, aus dem Hause Morelli. Der Va-
ter war ein kleiner, schwarzer, ungestümer, händelsüchtiger
Mann, der durch falsche Speculationen unglücklich wurde.
Die Mutter war eine von den schönen venezianischen Blon-
dinen, wie man ihnen dort nicht selten begegnet, groß von
Gestalt, bescheiden und vernünftig. Der Sohn glich ihr
in den Zügen des Gesichtes 1).

Ein Bruder der Mutter nun, Ambrosio Morelli, stand
damals an der Spitze einer Schule, die sich eines beson-
dern Rufes erfreute, und vornehmlich zur Erziehung des
jungen Adels diente. Es ergab sich von selbst, daß auch
der Neffe des Lehrers an dem Unterrichte Theil nahm. Nic-
colo Contarini, Andrea Morosini waren seine Mitschüler,
und wurden sehr vertraut mit ihm. Gleich an der Schwelle
seines Lebens trat er in die wichtigsten Verbindungen.

Jedoch ließ er sich weder durch die Mutter, noch durch
den Oheim, noch durch diese Verbindungen abhalten sei-
nem Hange zur Einsamkeit zu folgen und bereits in seinem
14ten oder 15ten Jahre in ein Servitenkloster zu treten.

Er sprach wenig: er war immer ernsthaft. Niemals
aß er Fleisch: bis zu seinem dreißigsten Jahre trank er kei-
nen Wein: er haßte anstößige Gespräche: "da kommt die
Jungfer," sagten seine Cameraden, wenn er erschien, "re-
den wir von etwas Anderm." Alles, was Verlangen, Nei-

1) Sarpi geb. 14. Aug. 1552. Sein Vater Franz, seine Mut-
ter Elisabeth. Fra Fulgentio: Vita di Paolo Sarpi. Griselini:
Memorie di Fra Paolo Sarpi,
deutsch von Lebret p. 13.

Venezianiſche Irrungen.
von St. Veit nach Venedig gewandert, und einer Mutter
aus einem venezianiſchen Geſchlechte das die Privilegien
der Cittadinanza genoß, aus dem Hauſe Morelli. Der Va-
ter war ein kleiner, ſchwarzer, ungeſtuͤmer, haͤndelſuͤchtiger
Mann, der durch falſche Speculationen ungluͤcklich wurde.
Die Mutter war eine von den ſchoͤnen venezianiſchen Blon-
dinen, wie man ihnen dort nicht ſelten begegnet, groß von
Geſtalt, beſcheiden und vernuͤnftig. Der Sohn glich ihr
in den Zuͤgen des Geſichtes 1).

Ein Bruder der Mutter nun, Ambroſio Morelli, ſtand
damals an der Spitze einer Schule, die ſich eines beſon-
dern Rufes erfreute, und vornehmlich zur Erziehung des
jungen Adels diente. Es ergab ſich von ſelbſt, daß auch
der Neffe des Lehrers an dem Unterrichte Theil nahm. Nic-
colo Contarini, Andrea Moroſini waren ſeine Mitſchuͤler,
und wurden ſehr vertraut mit ihm. Gleich an der Schwelle
ſeines Lebens trat er in die wichtigſten Verbindungen.

Jedoch ließ er ſich weder durch die Mutter, noch durch
den Oheim, noch durch dieſe Verbindungen abhalten ſei-
nem Hange zur Einſamkeit zu folgen und bereits in ſeinem
14ten oder 15ten Jahre in ein Servitenkloſter zu treten.

Er ſprach wenig: er war immer ernſthaft. Niemals
aß er Fleiſch: bis zu ſeinem dreißigſten Jahre trank er kei-
nen Wein: er haßte anſtoͤßige Geſpraͤche: „da kommt die
Jungfer,“ ſagten ſeine Cameraden, wenn er erſchien, „re-
den wir von etwas Anderm.“ Alles, was Verlangen, Nei-

1) Sarpi geb. 14. Aug. 1552. Sein Vater Franz, ſeine Mut-
ter Eliſabeth. Fra Fulgentio: Vita di Paolo Sarpi. Griselini:
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deutſch von Lebret p. 13.
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[335/0347] Venezianiſche Irrungen. von St. Veit nach Venedig gewandert, und einer Mutter aus einem venezianiſchen Geſchlechte das die Privilegien der Cittadinanza genoß, aus dem Hauſe Morelli. Der Va- ter war ein kleiner, ſchwarzer, ungeſtuͤmer, haͤndelſuͤchtiger Mann, der durch falſche Speculationen ungluͤcklich wurde. Die Mutter war eine von den ſchoͤnen venezianiſchen Blon- dinen, wie man ihnen dort nicht ſelten begegnet, groß von Geſtalt, beſcheiden und vernuͤnftig. Der Sohn glich ihr in den Zuͤgen des Geſichtes 1). Ein Bruder der Mutter nun, Ambroſio Morelli, ſtand damals an der Spitze einer Schule, die ſich eines beſon- dern Rufes erfreute, und vornehmlich zur Erziehung des jungen Adels diente. Es ergab ſich von ſelbſt, daß auch der Neffe des Lehrers an dem Unterrichte Theil nahm. Nic- colo Contarini, Andrea Moroſini waren ſeine Mitſchuͤler, und wurden ſehr vertraut mit ihm. Gleich an der Schwelle ſeines Lebens trat er in die wichtigſten Verbindungen. Jedoch ließ er ſich weder durch die Mutter, noch durch den Oheim, noch durch dieſe Verbindungen abhalten ſei- nem Hange zur Einſamkeit zu folgen und bereits in ſeinem 14ten oder 15ten Jahre in ein Servitenkloſter zu treten. Er ſprach wenig: er war immer ernſthaft. Niemals aß er Fleiſch: bis zu ſeinem dreißigſten Jahre trank er kei- nen Wein: er haßte anſtoͤßige Geſpraͤche: „da kommt die Jungfer,“ ſagten ſeine Cameraden, wenn er erſchien, „re- den wir von etwas Anderm.“ Alles, was Verlangen, Nei- 1) Sarpi geb. 14. Aug. 1552. Sein Vater Franz, ſeine Mut- ter Eliſabeth. Fra Fulgentio: Vita di Paolo Sarpi. Griselini: Memorie di Fra Paolo Sarpi, deutſch von Lebret p. 13.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/347>, abgerufen am 23.11.2024.