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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836.

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Venezianische Irrungen.

Allein auch hiebei hielt man nicht inne: von den un-
mittelbaren Fragen des Streites stieg man zu den allgemei-
nen Grundsätzen auf.

Die Jesuiten hatten schon längst aus ihrer Lehre von
der Gewalt des Papstes die wichtigsten Folgerungen für
das geistliche Recht abgeleitet, und säumten nicht sie zu wie-
derholen.

Der Geist, sagt Bellarmin, leite und zügele das Fleisch:
nicht umgekehrt. Eben so wenig dürfe die weltliche Ge-
walt sich über die geistliche erheben, sie leiten, ihr befehlen,
sie strafen wollen: es würde dieß eine Rebellion, eine heid-
nische Tyrannei seyn 1). Die Priesterschaft habe ihren
Fürsten, der ihr nicht allein in geistlichen sondern auch in
weltlichen Angelegenheiten befehle; unmöglich könne sie
noch einen besondern weltlichen Obern anerkennen, Nie-
mand könne zweien Herren dienen. Der Priester habe über
den Kaiser zu richten, der Kaiser nicht über den Priester:
es würde absurd seyn, wenn das Schaf den Hirten richten
wollte 2). Auch dürfe der Fürst keine Auflagen von geist-

1) Risposta del Cl Bellarmino ad una lettera senza nome
dell' autore
(Flugschrift von 1606). La raggione indrizza e regge
e comanda alla carne e talvolta la castiga con digiuni e vigilie,
ma la carne non indrizza ne regge ne comanda ne punisce la
ragione: cosi la potesta spirituale e superiore alla secolare
e pero la puo e deve drizzare e reggere e comandarli e pu-
nirla quando si porta male; ma la potesta secolare non e su-
periore alla spirituale ne la puo drizzare ne reggere ne gli puo
comandare ne punirla se non di fatto per ribellione e tiran-
nide, come hanno fatto talvolta li principi gentili o heretici.
2) Bellarminus de clericis I, c. 30. Respondeo, principem
quidem ovem ac spiritualem filium pontificis esse, sed sacerdo-
tum nullo modo filium vel ovem principis dici posse, quoniam
Venezianiſche Irrungen.

Allein auch hiebei hielt man nicht inne: von den un-
mittelbaren Fragen des Streites ſtieg man zu den allgemei-
nen Grundſaͤtzen auf.

Die Jeſuiten hatten ſchon laͤngſt aus ihrer Lehre von
der Gewalt des Papſtes die wichtigſten Folgerungen fuͤr
das geiſtliche Recht abgeleitet, und ſaͤumten nicht ſie zu wie-
derholen.

Der Geiſt, ſagt Bellarmin, leite und zuͤgele das Fleiſch:
nicht umgekehrt. Eben ſo wenig duͤrfe die weltliche Ge-
walt ſich uͤber die geiſtliche erheben, ſie leiten, ihr befehlen,
ſie ſtrafen wollen: es wuͤrde dieß eine Rebellion, eine heid-
niſche Tyrannei ſeyn 1). Die Prieſterſchaft habe ihren
Fuͤrſten, der ihr nicht allein in geiſtlichen ſondern auch in
weltlichen Angelegenheiten befehle; unmoͤglich koͤnne ſie
noch einen beſondern weltlichen Obern anerkennen, Nie-
mand koͤnne zweien Herren dienen. Der Prieſter habe uͤber
den Kaiſer zu richten, der Kaiſer nicht uͤber den Prieſter:
es wuͤrde abſurd ſeyn, wenn das Schaf den Hirten richten
wollte 2). Auch duͤrfe der Fuͤrſt keine Auflagen von geiſt-

1) Risposta del Cl Bellarmino ad una lettera senza nome
dell’ autore
(Flugſchrift von 1606). La raggione indrizza e regge
e comanda alla carne e talvolta la castiga con digiuni e vigilie,
ma la carne non indrizza nè regge nè comanda nè punisce la
ragione: così la potestà spirituale è superiore alla secolare
e però la può e deve drizzare e reggere e comandarli e pu-
nirla quando si porta male; ma la potestà secolare non è su-
periore alla spirituale nè la può drizzare nè reggere nè gli può
comandare nè punirla se non di fatto per ribellione e tiran-
nide, come hanno fatto talvolta li principi gentili o heretici.
2) Bellarminus de clericis I, c. 30. Respondeo, principem
quidem ovem ac spiritualem filium pontificis esse, sed sacerdo-
tum nullo modo filium vel ovem principis dici posse, quoniam
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[333/0345] Venezianiſche Irrungen. Allein auch hiebei hielt man nicht inne: von den un- mittelbaren Fragen des Streites ſtieg man zu den allgemei- nen Grundſaͤtzen auf. Die Jeſuiten hatten ſchon laͤngſt aus ihrer Lehre von der Gewalt des Papſtes die wichtigſten Folgerungen fuͤr das geiſtliche Recht abgeleitet, und ſaͤumten nicht ſie zu wie- derholen. Der Geiſt, ſagt Bellarmin, leite und zuͤgele das Fleiſch: nicht umgekehrt. Eben ſo wenig duͤrfe die weltliche Ge- walt ſich uͤber die geiſtliche erheben, ſie leiten, ihr befehlen, ſie ſtrafen wollen: es wuͤrde dieß eine Rebellion, eine heid- niſche Tyrannei ſeyn 1). Die Prieſterſchaft habe ihren Fuͤrſten, der ihr nicht allein in geiſtlichen ſondern auch in weltlichen Angelegenheiten befehle; unmoͤglich koͤnne ſie noch einen beſondern weltlichen Obern anerkennen, Nie- mand koͤnne zweien Herren dienen. Der Prieſter habe uͤber den Kaiſer zu richten, der Kaiſer nicht uͤber den Prieſter: es wuͤrde abſurd ſeyn, wenn das Schaf den Hirten richten wollte 2). Auch duͤrfe der Fuͤrſt keine Auflagen von geiſt- 1) Risposta del Cl Bellarmino ad una lettera senza nome dell’ autore (Flugſchrift von 1606). La raggione indrizza e regge e comanda alla carne e talvolta la castiga con digiuni e vigilie, ma la carne non indrizza nè regge nè comanda nè punisce la ragione: così la potestà spirituale è superiore alla secolare e però la può e deve drizzare e reggere e comandarli e pu- nirla quando si porta male; ma la potestà secolare non è su- periore alla spirituale nè la può drizzare nè reggere nè gli può comandare nè punirla se non di fatto per ribellione e tiran- nide, come hanno fatto talvolta li principi gentili o heretici. 2) Bellarminus de clericis I, c. 30. Respondeo, principem quidem ovem ac spiritualem filium pontificis esse, sed sacerdo- tum nullo modo filium vel ovem principis dici posse, quoniam

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/345>, abgerufen am 27.11.2024.