Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch VI. Innere Streitigkeiten.
nicht wußte weshalb: da sich die Meinung ausbreitete, die
Jesuiten seyen um einer Ketzerei willen eingezogen worden.

Die Inquisition hätte jedoch nur eine Strafe verhän-
gen, keine Aenderung vorschreiben können. Wie es so weit
war, wandten sich die Mißvergnügten auch an den Kö-
nig. Mit weitläuftigen Klageschriften über die Mängel in
ihrer Verfassung bestürmten sie ihn. Philipp dem II. hatte
diese Verfassung niemals gefallen: er pflegte zu sagen, alle
andern Orden durchschaue er, nur den jesuitischen könne er
nicht verstehn: besonders schien ihm einzuleuchten, was man
ihm von dem Mißbrauch der absoluten Gewalt und dem
Unwesen der geheimen Anklagen sagte: in der Mitte des gro-
ßen europäischen Kampfes, in dem er sich befand, widmete
er doch auch dieser Sache seine Aufmerksamkeit: zunächst
beauftragte er den Bischof Manrique von Carthagena be-
sonders mit Hinsicht auf jene Punkte den Orden einer
Visitation zu unterwerfen.

Ein Angriff der, wie man sieht, dem Charakter des
Institutes, dem Oberhaupte selbst galt: um so bedeuten-
der, da er aus eben dem Lande kam, wo die Gesellschaft
entsprungen war und zuerst Fuß gefaßt hatte.

Aquaviva erschrak nicht davor. Er war ein Mann
der hinter einer großen äußern Milde und sanften Sitten
eine innerliche Unerschütterlichkeit verbarg, eine Natur, wie
auch Clemens VIII, und wie sie überhaupt in dieser Zeit
emporkamen, vor allen Dingen besonnen, gemäßigt, klug,
verschwiegen. Er hätte sich nie ein absprechendes Urtheil
erlaubt: er litt nicht daß ein solches auch nur in seiner Gegen-
wart verlautete, am wenigsten über eine ganze Nation: seine

Se-

Buch VI. Innere Streitigkeiten.
nicht wußte weshalb: da ſich die Meinung ausbreitete, die
Jeſuiten ſeyen um einer Ketzerei willen eingezogen worden.

Die Inquiſition haͤtte jedoch nur eine Strafe verhaͤn-
gen, keine Aenderung vorſchreiben koͤnnen. Wie es ſo weit
war, wandten ſich die Mißvergnuͤgten auch an den Koͤ-
nig. Mit weitlaͤuftigen Klageſchriften uͤber die Maͤngel in
ihrer Verfaſſung beſtuͤrmten ſie ihn. Philipp dem II. hatte
dieſe Verfaſſung niemals gefallen: er pflegte zu ſagen, alle
andern Orden durchſchaue er, nur den jeſuitiſchen koͤnne er
nicht verſtehn: beſonders ſchien ihm einzuleuchten, was man
ihm von dem Mißbrauch der abſoluten Gewalt und dem
Unweſen der geheimen Anklagen ſagte: in der Mitte des gro-
ßen europaͤiſchen Kampfes, in dem er ſich befand, widmete
er doch auch dieſer Sache ſeine Aufmerkſamkeit: zunaͤchſt
beauftragte er den Biſchof Manrique von Carthagena be-
ſonders mit Hinſicht auf jene Punkte den Orden einer
Viſitation zu unterwerfen.

Ein Angriff der, wie man ſieht, dem Charakter des
Inſtitutes, dem Oberhaupte ſelbſt galt: um ſo bedeuten-
der, da er aus eben dem Lande kam, wo die Geſellſchaft
entſprungen war und zuerſt Fuß gefaßt hatte.

Aquaviva erſchrak nicht davor. Er war ein Mann
der hinter einer großen aͤußern Milde und ſanften Sitten
eine innerliche Unerſchuͤtterlichkeit verbarg, eine Natur, wie
auch Clemens VIII, und wie ſie uͤberhaupt in dieſer Zeit
emporkamen, vor allen Dingen beſonnen, gemaͤßigt, klug,
verſchwiegen. Er haͤtte ſich nie ein abſprechendes Urtheil
erlaubt: er litt nicht daß ein ſolches auch nur in ſeiner Gegen-
wart verlautete, am wenigſten uͤber eine ganze Nation: ſeine

Se-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0300" n="288"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Buch</hi><hi rendition="#aq">VI.</hi><hi rendition="#g">Innere Streitigkeiten</hi>.</fw><lb/>
nicht wußte weshalb: da &#x017F;ich die Meinung ausbreitete, die<lb/>
Je&#x017F;uiten &#x017F;eyen um einer Ketzerei willen eingezogen worden.</p><lb/>
          <p>Die Inqui&#x017F;ition ha&#x0364;tte jedoch nur eine Strafe verha&#x0364;n-<lb/>
gen, keine Aenderung vor&#x017F;chreiben ko&#x0364;nnen. Wie es &#x017F;o weit<lb/>
war, wandten &#x017F;ich die Mißvergnu&#x0364;gten auch an den Ko&#x0364;-<lb/>
nig. Mit weitla&#x0364;uftigen Klage&#x017F;chriften u&#x0364;ber die Ma&#x0364;ngel in<lb/>
ihrer Verfa&#x017F;&#x017F;ung be&#x017F;tu&#x0364;rmten &#x017F;ie ihn. Philipp dem <hi rendition="#aq">II.</hi> hatte<lb/>
die&#x017F;e Verfa&#x017F;&#x017F;ung niemals gefallen: er pflegte zu &#x017F;agen, alle<lb/>
andern Orden durch&#x017F;chaue er, nur den je&#x017F;uiti&#x017F;chen ko&#x0364;nne er<lb/>
nicht ver&#x017F;tehn: be&#x017F;onders &#x017F;chien ihm einzuleuchten, was man<lb/>
ihm von dem Mißbrauch der ab&#x017F;oluten Gewalt und dem<lb/>
Unwe&#x017F;en der geheimen Anklagen &#x017F;agte: in der Mitte des gro-<lb/>
ßen europa&#x0364;i&#x017F;chen Kampfes, in dem er &#x017F;ich befand, widmete<lb/>
er doch auch die&#x017F;er Sache &#x017F;eine Aufmerk&#x017F;amkeit: zuna&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
beauftragte er den Bi&#x017F;chof Manrique von Carthagena be-<lb/>
&#x017F;onders mit Hin&#x017F;icht auf jene Punkte den Orden einer<lb/>
Vi&#x017F;itation zu unterwerfen.</p><lb/>
          <p>Ein Angriff der, wie man &#x017F;ieht, dem Charakter des<lb/>
In&#x017F;titutes, dem Oberhaupte &#x017F;elb&#x017F;t galt: um &#x017F;o bedeuten-<lb/>
der, da er aus eben dem Lande kam, wo die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
ent&#x017F;prungen war und zuer&#x017F;t Fuß gefaßt hatte.</p><lb/>
          <p>Aquaviva er&#x017F;chrak nicht davor. Er war ein Mann<lb/>
der hinter einer großen a&#x0364;ußern Milde und &#x017F;anften Sitten<lb/>
eine innerliche Uner&#x017F;chu&#x0364;tterlichkeit verbarg, eine Natur, wie<lb/>
auch Clemens <hi rendition="#aq">VIII</hi>, und wie &#x017F;ie u&#x0364;berhaupt in die&#x017F;er Zeit<lb/>
emporkamen, vor allen Dingen be&#x017F;onnen, gema&#x0364;ßigt, klug,<lb/>
ver&#x017F;chwiegen. Er ha&#x0364;tte &#x017F;ich nie ein ab&#x017F;prechendes Urtheil<lb/>
erlaubt: er litt nicht daß ein &#x017F;olches auch nur in &#x017F;einer Gegen-<lb/>
wart verlautete, am wenig&#x017F;ten u&#x0364;ber eine ganze Nation: &#x017F;eine<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Se-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[288/0300] Buch VI. Innere Streitigkeiten. nicht wußte weshalb: da ſich die Meinung ausbreitete, die Jeſuiten ſeyen um einer Ketzerei willen eingezogen worden. Die Inquiſition haͤtte jedoch nur eine Strafe verhaͤn- gen, keine Aenderung vorſchreiben koͤnnen. Wie es ſo weit war, wandten ſich die Mißvergnuͤgten auch an den Koͤ- nig. Mit weitlaͤuftigen Klageſchriften uͤber die Maͤngel in ihrer Verfaſſung beſtuͤrmten ſie ihn. Philipp dem II. hatte dieſe Verfaſſung niemals gefallen: er pflegte zu ſagen, alle andern Orden durchſchaue er, nur den jeſuitiſchen koͤnne er nicht verſtehn: beſonders ſchien ihm einzuleuchten, was man ihm von dem Mißbrauch der abſoluten Gewalt und dem Unweſen der geheimen Anklagen ſagte: in der Mitte des gro- ßen europaͤiſchen Kampfes, in dem er ſich befand, widmete er doch auch dieſer Sache ſeine Aufmerkſamkeit: zunaͤchſt beauftragte er den Biſchof Manrique von Carthagena be- ſonders mit Hinſicht auf jene Punkte den Orden einer Viſitation zu unterwerfen. Ein Angriff der, wie man ſieht, dem Charakter des Inſtitutes, dem Oberhaupte ſelbſt galt: um ſo bedeuten- der, da er aus eben dem Lande kam, wo die Geſellſchaft entſprungen war und zuerſt Fuß gefaßt hatte. Aquaviva erſchrak nicht davor. Er war ein Mann der hinter einer großen aͤußern Milde und ſanften Sitten eine innerliche Unerſchuͤtterlichkeit verbarg, eine Natur, wie auch Clemens VIII, und wie ſie uͤberhaupt in dieſer Zeit emporkamen, vor allen Dingen beſonnen, gemaͤßigt, klug, verſchwiegen. Er haͤtte ſich nie ein abſprechendes Urtheil erlaubt: er litt nicht daß ein ſolches auch nur in ſeiner Gegen- wart verlautete, am wenigſten uͤber eine ganze Nation: ſeine Se-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/300
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/300>, abgerufen am 25.11.2024.