Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.Geistige Richtung. immer behauptete er das päpstliche Decorum. Zuweilenverließ er Rom zum Schmerze des Ceremonienmeisters, nicht allein ohne Chorhemd, sondern wie dieser in seinem Tage- buche bemerkt hat, "was das Aergste ist, mit Stiefeln an seinen Füßen." Er brachte den Herbst mit ländlichen Vergnügungen zu; der Baize bei Viterbo, der Hirschjagd bei Corneto; der See von Bolsena gewährte das Ver- gnügen des Fischfangs; dann blieb er einige Zeit auf Mal- liana, seinem Lieblingsaufenthalte. Leichte rasche Talente, die jede Stunde zu erheitern vermögen, Improvisatoren, begleiteten ihn auch hier. Gegen den Winter kam man zur Stadt zurück. Sie war in großer Aufnahme. Die Zahl der Einwohner wuchs binnen wenigen Jahren um ein Dritttheil. Das Handwerk fand hier seinen Vortheil, die Kunst ihre Ehre, Jedermann Sicherheit. Nie war der Hof belebter, anmuthiger, geistreicher gewesen; kein Auf- wand für geistliche und weltliche Feste, Spiel und Thea- ter, Geschenke und Gunstbezeugungen war zu groß; nichts ward gespart. Mit Freuden vernahm man, daß Juliano Medici mit seiner jungen Gemahlin seinen Wohnsitz in Rom zu nehmen gedenke. "Gelobt sey Gott," schreibt ihm Car- dinal Bibbiena, "denn hier fehlt uns nichts als ein Hof von Damen." Die Lüste Alexanders VI. muß man ewig verab- Leicht verdeckt das Leben die Gegensätze, aber so wie Geiſtige Richtung. immer behauptete er das paͤpſtliche Decorum. Zuweilenverließ er Rom zum Schmerze des Ceremonienmeiſters, nicht allein ohne Chorhemd, ſondern wie dieſer in ſeinem Tage- buche bemerkt hat, „was das Aergſte iſt, mit Stiefeln an ſeinen Fuͤßen.“ Er brachte den Herbſt mit laͤndlichen Vergnuͤgungen zu; der Baize bei Viterbo, der Hirſchjagd bei Corneto; der See von Bolſena gewaͤhrte das Ver- gnuͤgen des Fiſchfangs; dann blieb er einige Zeit auf Mal- liana, ſeinem Lieblingsaufenthalte. Leichte raſche Talente, die jede Stunde zu erheitern vermoͤgen, Improviſatoren, begleiteten ihn auch hier. Gegen den Winter kam man zur Stadt zuruͤck. Sie war in großer Aufnahme. Die Zahl der Einwohner wuchs binnen wenigen Jahren um ein Dritttheil. Das Handwerk fand hier ſeinen Vortheil, die Kunſt ihre Ehre, Jedermann Sicherheit. Nie war der Hof belebter, anmuthiger, geiſtreicher geweſen; kein Auf- wand fuͤr geiſtliche und weltliche Feſte, Spiel und Thea- ter, Geſchenke und Gunſtbezeugungen war zu groß; nichts ward geſpart. Mit Freuden vernahm man, daß Juliano Medici mit ſeiner jungen Gemahlin ſeinen Wohnſitz in Rom zu nehmen gedenke. „Gelobt ſey Gott,“ ſchreibt ihm Car- dinal Bibbiena, „denn hier fehlt uns nichts als ein Hof von Damen.“ Die Luͤſte Alexanders VI. muß man ewig verab- Leicht verdeckt das Leben die Gegenſaͤtze, aber ſo wie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0097" n="71"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Geiſtige Richtung</hi>.</fw><lb/> immer behauptete er das paͤpſtliche Decorum. Zuweilen<lb/> verließ er Rom zum Schmerze des Ceremonienmeiſters, nicht<lb/> allein ohne Chorhemd, ſondern wie dieſer in ſeinem Tage-<lb/> buche bemerkt hat, „was das Aergſte iſt, mit Stiefeln an<lb/> ſeinen Fuͤßen.“ Er brachte den Herbſt mit laͤndlichen<lb/> Vergnuͤgungen zu; der Baize bei Viterbo, der Hirſchjagd<lb/> bei Corneto; der See von Bolſena gewaͤhrte das Ver-<lb/> gnuͤgen des Fiſchfangs; dann blieb er einige Zeit auf Mal-<lb/> liana, ſeinem Lieblingsaufenthalte. Leichte raſche Talente,<lb/> die jede Stunde zu erheitern vermoͤgen, Improviſatoren,<lb/> begleiteten ihn auch hier. Gegen den Winter kam man<lb/> zur Stadt zuruͤck. Sie war in großer Aufnahme. Die<lb/> Zahl der Einwohner wuchs binnen wenigen Jahren um ein<lb/> Dritttheil. Das Handwerk fand hier ſeinen Vortheil, die<lb/> Kunſt ihre Ehre, Jedermann Sicherheit. Nie war der<lb/> Hof belebter, anmuthiger, geiſtreicher geweſen; kein Auf-<lb/> wand fuͤr geiſtliche und weltliche Feſte, Spiel und Thea-<lb/> ter, Geſchenke und Gunſtbezeugungen war zu groß; nichts<lb/> ward geſpart. Mit Freuden vernahm man, daß Juliano<lb/> Medici mit ſeiner jungen Gemahlin ſeinen Wohnſitz in Rom<lb/> zu nehmen gedenke. „Gelobt ſey Gott,“ ſchreibt ihm Car-<lb/> dinal Bibbiena, „denn hier fehlt uns nichts als ein Hof<lb/> von Damen.“</p><lb/> <p>Die Luͤſte Alexanders <hi rendition="#aq">VI.</hi> muß man ewig verab-<lb/> ſcheuen; den Hofhalt Leo’s koͤnnte man an ſich nicht ta-<lb/> deln. Doch wird man freilich nicht in Abrede ſtellen,<lb/> daß er der Beſtimmung eines Oberhauptes der Kirche nicht<lb/> entſprach.</p><lb/> <p>Leicht verdeckt das Leben die Gegenſaͤtze, aber ſo wie<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [71/0097]
Geiſtige Richtung.
immer behauptete er das paͤpſtliche Decorum. Zuweilen
verließ er Rom zum Schmerze des Ceremonienmeiſters, nicht
allein ohne Chorhemd, ſondern wie dieſer in ſeinem Tage-
buche bemerkt hat, „was das Aergſte iſt, mit Stiefeln an
ſeinen Fuͤßen.“ Er brachte den Herbſt mit laͤndlichen
Vergnuͤgungen zu; der Baize bei Viterbo, der Hirſchjagd
bei Corneto; der See von Bolſena gewaͤhrte das Ver-
gnuͤgen des Fiſchfangs; dann blieb er einige Zeit auf Mal-
liana, ſeinem Lieblingsaufenthalte. Leichte raſche Talente,
die jede Stunde zu erheitern vermoͤgen, Improviſatoren,
begleiteten ihn auch hier. Gegen den Winter kam man
zur Stadt zuruͤck. Sie war in großer Aufnahme. Die
Zahl der Einwohner wuchs binnen wenigen Jahren um ein
Dritttheil. Das Handwerk fand hier ſeinen Vortheil, die
Kunſt ihre Ehre, Jedermann Sicherheit. Nie war der
Hof belebter, anmuthiger, geiſtreicher geweſen; kein Auf-
wand fuͤr geiſtliche und weltliche Feſte, Spiel und Thea-
ter, Geſchenke und Gunſtbezeugungen war zu groß; nichts
ward geſpart. Mit Freuden vernahm man, daß Juliano
Medici mit ſeiner jungen Gemahlin ſeinen Wohnſitz in Rom
zu nehmen gedenke. „Gelobt ſey Gott,“ ſchreibt ihm Car-
dinal Bibbiena, „denn hier fehlt uns nichts als ein Hof
von Damen.“
Die Luͤſte Alexanders VI. muß man ewig verab-
ſcheuen; den Hofhalt Leo’s koͤnnte man an ſich nicht ta-
deln. Doch wird man freilich nicht in Abrede ſtellen,
daß er der Beſtimmung eines Oberhauptes der Kirche nicht
entſprach.
Leicht verdeckt das Leben die Gegenſaͤtze, aber ſo wie
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