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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

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Kap. II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.
liche Fabel geistlich heroischen Inhaltes zum Stoff: die
vornehmsten Gestalten, mit wenig großen und starken, all-
gemeinen Zügen waren gegeben: bedeutende Situationen,
wiewohl wenig entwickelt, fand man vor; die Form des
Ausdrucks war vorhanden, unmittelbar aus der Unterhal-
tung des Volkes war sie hervorgegangen. Dazu kam nun
die Tendenz des Jahrhunderts, sich an die Antike anzu-
schließen. Gestaltend, bildend, vermenschlichend tritt sie
ein. Welch ein andrer ist der Rinald Bojardo's, edel, be-
scheiden, voll freudiger Thatenlust, als der entsetzliche Hay-
monssohn der alten Sage. Wie ward das Gewaltige, Fa-
belhafte, Gigantische, das die alte Darstellung hatte, zu
dem Begreiflichen, Anmuthigen, Reizenden umgebildet.
Auch die ungeschmückten alten Erzählungen haben in ihrer
Einfachheit etwas Anziehendes, Angenehmes; welch ein
anderer Genuß aber ist es, sich von dem Wohllaut ario-
stischer Stanzen umspielen zu lassen, und in der Gesell-
schaft eines gebildeten heiteren Geistes von Anschauung zu
Anschauung fortzueilen. Das Unschöne und Gestaltlose
hat sich zu Umriß und Form und Musik durchgebildet 1).

Wenige Zeiten sind für die reine Schönheit der Form
empfänglich; nur die begünstigtsten glücklichsten Perioden brin-
gen sie hervor. Das Ende des funfzehnten, der Anfang
des sechszehnten Jahrhunderts war eine solche. Wie könnte
ich die Fülle von Kunstbestreben und Kunstübung, die darin
lebte, auch nur im Umriß andeuten? Man kann kühnlich

1) Ich habe dieß in einer besondern Abhandlung auszuführen
gesucht, die ich in der K. Akademie der Wissenschaften vorgetragen
habe.

Kap. II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.
liche Fabel geiſtlich heroiſchen Inhaltes zum Stoff: die
vornehmſten Geſtalten, mit wenig großen und ſtarken, all-
gemeinen Zuͤgen waren gegeben: bedeutende Situationen,
wiewohl wenig entwickelt, fand man vor; die Form des
Ausdrucks war vorhanden, unmittelbar aus der Unterhal-
tung des Volkes war ſie hervorgegangen. Dazu kam nun
die Tendenz des Jahrhunderts, ſich an die Antike anzu-
ſchließen. Geſtaltend, bildend, vermenſchlichend tritt ſie
ein. Welch ein andrer iſt der Rinald Bojardo’s, edel, be-
ſcheiden, voll freudiger Thatenluſt, als der entſetzliche Hay-
monsſohn der alten Sage. Wie ward das Gewaltige, Fa-
belhafte, Gigantiſche, das die alte Darſtellung hatte, zu
dem Begreiflichen, Anmuthigen, Reizenden umgebildet.
Auch die ungeſchmuͤckten alten Erzaͤhlungen haben in ihrer
Einfachheit etwas Anziehendes, Angenehmes; welch ein
anderer Genuß aber iſt es, ſich von dem Wohllaut ario-
ſtiſcher Stanzen umſpielen zu laſſen, und in der Geſell-
ſchaft eines gebildeten heiteren Geiſtes von Anſchauung zu
Anſchauung fortzueilen. Das Unſchoͤne und Geſtaltloſe
hat ſich zu Umriß und Form und Muſik durchgebildet 1).

Wenige Zeiten ſind fuͤr die reine Schoͤnheit der Form
empfaͤnglich; nur die beguͤnſtigtſten gluͤcklichſten Perioden brin-
gen ſie hervor. Das Ende des funfzehnten, der Anfang
des ſechszehnten Jahrhunderts war eine ſolche. Wie koͤnnte
ich die Fuͤlle von Kunſtbeſtreben und Kunſtuͤbung, die darin
lebte, auch nur im Umriß andeuten? Man kann kuͤhnlich

1) Ich habe dieß in einer beſondern Abhandlung auszufuͤhren
geſucht, die ich in der K. Akademie der Wiſſenſchaften vorgetragen
habe.
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[66/0092] Kap. II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh. liche Fabel geiſtlich heroiſchen Inhaltes zum Stoff: die vornehmſten Geſtalten, mit wenig großen und ſtarken, all- gemeinen Zuͤgen waren gegeben: bedeutende Situationen, wiewohl wenig entwickelt, fand man vor; die Form des Ausdrucks war vorhanden, unmittelbar aus der Unterhal- tung des Volkes war ſie hervorgegangen. Dazu kam nun die Tendenz des Jahrhunderts, ſich an die Antike anzu- ſchließen. Geſtaltend, bildend, vermenſchlichend tritt ſie ein. Welch ein andrer iſt der Rinald Bojardo’s, edel, be- ſcheiden, voll freudiger Thatenluſt, als der entſetzliche Hay- monsſohn der alten Sage. Wie ward das Gewaltige, Fa- belhafte, Gigantiſche, das die alte Darſtellung hatte, zu dem Begreiflichen, Anmuthigen, Reizenden umgebildet. Auch die ungeſchmuͤckten alten Erzaͤhlungen haben in ihrer Einfachheit etwas Anziehendes, Angenehmes; welch ein anderer Genuß aber iſt es, ſich von dem Wohllaut ario- ſtiſcher Stanzen umſpielen zu laſſen, und in der Geſell- ſchaft eines gebildeten heiteren Geiſtes von Anſchauung zu Anſchauung fortzueilen. Das Unſchoͤne und Geſtaltloſe hat ſich zu Umriß und Form und Muſik durchgebildet 1). Wenige Zeiten ſind fuͤr die reine Schoͤnheit der Form empfaͤnglich; nur die beguͤnſtigtſten gluͤcklichſten Perioden brin- gen ſie hervor. Das Ende des funfzehnten, der Anfang des ſechszehnten Jahrhunderts war eine ſolche. Wie koͤnnte ich die Fuͤlle von Kunſtbeſtreben und Kunſtuͤbung, die darin lebte, auch nur im Umriß andeuten? Man kann kuͤhnlich 1) Ich habe dieß in einer beſondern Abhandlung auszufuͤhren geſucht, die ich in der K. Akademie der Wiſſenſchaften vorgetragen habe.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/92>, abgerufen am 12.12.2024.