da sie nun die Uebertragungen mit ihren eigenthümlichen Ideen durchdrangen, so geschah es, daß sie den Aristote- les, man möchte sagen, theosophirten, daß sie die Astro- nomie zur Sterndeuterei, diese auf die Medicin anwende- ten, daß eben sie zur Bildung jener phantastischen Weltan- sicht vorzüglich beitrugen. Die Italiener dagegen lasen und lernten. Von den Römern gingen sie zu den Griechen fort; in unzähligen Exemplaren verbreitete die Buchdruckerkunst die Originale über die Welt. Der ächte Aristoteles ver- drängte den arabischen: aus den unveränderten Schriften der Alten lernte man die Wissenschaften, Geographie gra- dezu aus dem Ptolemäus, Botanik aus dem Dioskorides, die Wissenschaft der Medicin aus Galen und Hippokrates. Wie ward man da der Einbildungen, die bisher die Welt bevölkert, der Vorurtheile, welche den Geist befingen, so rasch erledigt!
Wir würden indeß zu viel sagen, wenn wir in dieser Zeit nun sofort von der Entwickelung eines selbstthätigen wissenschaftlichen Geistes, von der Entdeckung neuer Wahr- heiten und der Hervorbringung großer Gedanken reden woll- ten; man suchte nur die Alten zu verstehen: man ging nicht über sie hinaus; wirksam waren diese weniger, weil sie eine productive wissenschaftliche Thätigkeit veranlaßt hät- ten, als durch die Nachahmung, die sie hervorriefen.
In dieser Nachahmung liegt eins der wichtigsten Mo- mente für die Entwickelung jener Zeit.
Man wetteiferte mit den Alten in ihrer Sprache. Ein besondrer Gönner dieses Bestrebens war Papst Leo X. Den wohlgeschriebenen Eingang der Geschichte des Jovius las
Kap. II.Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.
da ſie nun die Uebertragungen mit ihren eigenthuͤmlichen Ideen durchdrangen, ſo geſchah es, daß ſie den Ariſtote- les, man moͤchte ſagen, theoſophirten, daß ſie die Aſtro- nomie zur Sterndeuterei, dieſe auf die Medicin anwende- ten, daß eben ſie zur Bildung jener phantaſtiſchen Weltan- ſicht vorzuͤglich beitrugen. Die Italiener dagegen laſen und lernten. Von den Roͤmern gingen ſie zu den Griechen fort; in unzaͤhligen Exemplaren verbreitete die Buchdruckerkunſt die Originale uͤber die Welt. Der aͤchte Ariſtoteles ver- draͤngte den arabiſchen: aus den unveraͤnderten Schriften der Alten lernte man die Wiſſenſchaften, Geographie gra- dezu aus dem Ptolemaͤus, Botanik aus dem Dioskorides, die Wiſſenſchaft der Medicin aus Galen und Hippokrates. Wie ward man da der Einbildungen, die bisher die Welt bevoͤlkert, der Vorurtheile, welche den Geiſt befingen, ſo raſch erledigt!
Wir wuͤrden indeß zu viel ſagen, wenn wir in dieſer Zeit nun ſofort von der Entwickelung eines ſelbſtthaͤtigen wiſſenſchaftlichen Geiſtes, von der Entdeckung neuer Wahr- heiten und der Hervorbringung großer Gedanken reden woll- ten; man ſuchte nur die Alten zu verſtehen: man ging nicht uͤber ſie hinaus; wirkſam waren dieſe weniger, weil ſie eine productive wiſſenſchaftliche Thaͤtigkeit veranlaßt haͤt- ten, als durch die Nachahmung, die ſie hervorriefen.
In dieſer Nachahmung liegt eins der wichtigſten Mo- mente fuͤr die Entwickelung jener Zeit.
Man wetteiferte mit den Alten in ihrer Sprache. Ein beſondrer Goͤnner dieſes Beſtrebens war Papſt Leo X. Den wohlgeſchriebenen Eingang der Geſchichte des Jovius las
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Kap. II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.
da ſie nun die Uebertragungen mit ihren eigenthuͤmlichen
Ideen durchdrangen, ſo geſchah es, daß ſie den Ariſtote-
les, man moͤchte ſagen, theoſophirten, daß ſie die Aſtro-
nomie zur Sterndeuterei, dieſe auf die Medicin anwende-
ten, daß eben ſie zur Bildung jener phantaſtiſchen Weltan-
ſicht vorzuͤglich beitrugen. Die Italiener dagegen laſen und
lernten. Von den Roͤmern gingen ſie zu den Griechen fort;
in unzaͤhligen Exemplaren verbreitete die Buchdruckerkunſt
die Originale uͤber die Welt. Der aͤchte Ariſtoteles ver-
draͤngte den arabiſchen: aus den unveraͤnderten Schriften
der Alten lernte man die Wiſſenſchaften, Geographie gra-
dezu aus dem Ptolemaͤus, Botanik aus dem Dioskorides,
die Wiſſenſchaft der Medicin aus Galen und Hippokrates.
Wie ward man da der Einbildungen, die bisher die Welt
bevoͤlkert, der Vorurtheile, welche den Geiſt befingen, ſo
raſch erledigt!
Wir wuͤrden indeß zu viel ſagen, wenn wir in dieſer
Zeit nun ſofort von der Entwickelung eines ſelbſtthaͤtigen
wiſſenſchaftlichen Geiſtes, von der Entdeckung neuer Wahr-
heiten und der Hervorbringung großer Gedanken reden woll-
ten; man ſuchte nur die Alten zu verſtehen: man ging
nicht uͤber ſie hinaus; wirkſam waren dieſe weniger, weil
ſie eine productive wiſſenſchaftliche Thaͤtigkeit veranlaßt haͤt-
ten, als durch die Nachahmung, die ſie hervorriefen.
In dieſer Nachahmung liegt eins der wichtigſten Mo-
mente fuͤr die Entwickelung jener Zeit.
Man wetteiferte mit den Alten in ihrer Sprache. Ein
beſondrer Goͤnner dieſes Beſtrebens war Papſt Leo X. Den
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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/88>, abgerufen am 27.07.2024.
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