Kampfes seine Hände zu Gott zu erheben, wie Moses; aber weder Ermahnung noch Bitte noch Beispiel vermochte etwas über diese Zeitgenossen. Mit jenem jugendlichen Ge- fühl eines ritterlichen Christenthums war es vorüber; kein Papst vermochte es wieder aufzuwecken.
Andre Interessen bewegten die damalige Welt. Es war die Periode, in welcher die europäischen Reiche nach langen inneren Kämpfen sich endlich consolidirten. Den centralen Gewalten gelang es, die Factionen zu überwinden, welche bisher die Throne gefährdet. Eine Tendenz, die sofort auch die Päpste berühren mußte. Unendlich größere Ansprüche als bisher machte das Fürstenthum. Man denkt sich oft das Papstthum bis zur Reformation hin fast unumschränkt; in der That aber hatten während des funfzehnten, im An- fange des sechszehnten Jahrhunderts die Staaten bereits einen nicht geringen Antheil an den geistlichen Rechten und Befugnissen an sich gebracht.
Wie sehr beschränkte in Frankreich die pragmatische Sanction, welche über ein halbes Jahrhundert als ein Palladium des Reiches angesehen ward, die Ausübung päpstlicher Gerechtsame! Zwar ließ sich Ludwig XI. durch eine falsche Religiosität, -- der er um so mehr ergeben war, je mehr es ihm an der wahren fehlte, -- zur Nachgiebigkeit in diesem Stücke fortreißen; allein seine Nachfolger kamen ohne viel Bedenken auf jenes ihr Gesetz zurück. Wenn dann Franz I. sein Concordat mit Leo X. schloß, so hat man wohl behauptet, der römische Hof sey hierdurch neuer- dings zu dem alten Uebergewicht gelangt. Auch ist es wahr, daß der Papst die Annaten wieder bekam. Allein er
Kap. I. Epochen des Papſtthums.
Kampfes ſeine Haͤnde zu Gott zu erheben, wie Moſes; aber weder Ermahnung noch Bitte noch Beiſpiel vermochte etwas uͤber dieſe Zeitgenoſſen. Mit jenem jugendlichen Ge- fuͤhl eines ritterlichen Chriſtenthums war es voruͤber; kein Papſt vermochte es wieder aufzuwecken.
Andre Intereſſen bewegten die damalige Welt. Es war die Periode, in welcher die europaͤiſchen Reiche nach langen inneren Kaͤmpfen ſich endlich conſolidirten. Den centralen Gewalten gelang es, die Factionen zu uͤberwinden, welche bisher die Throne gefaͤhrdet. Eine Tendenz, die ſofort auch die Paͤpſte beruͤhren mußte. Unendlich groͤßere Anſpruͤche als bisher machte das Fuͤrſtenthum. Man denkt ſich oft das Papſtthum bis zur Reformation hin faſt unumſchraͤnkt; in der That aber hatten waͤhrend des funfzehnten, im An- fange des ſechszehnten Jahrhunderts die Staaten bereits einen nicht geringen Antheil an den geiſtlichen Rechten und Befugniſſen an ſich gebracht.
Wie ſehr beſchraͤnkte in Frankreich die pragmatiſche Sanction, welche uͤber ein halbes Jahrhundert als ein Palladium des Reiches angeſehen ward, die Ausuͤbung paͤpſtlicher Gerechtſame! Zwar ließ ſich Ludwig XI. durch eine falſche Religioſitaͤt, — der er um ſo mehr ergeben war, je mehr es ihm an der wahren fehlte, — zur Nachgiebigkeit in dieſem Stuͤcke fortreißen; allein ſeine Nachfolger kamen ohne viel Bedenken auf jenes ihr Geſetz zuruͤck. Wenn dann Franz I. ſein Concordat mit Leo X. ſchloß, ſo hat man wohl behauptet, der roͤmiſche Hof ſey hierdurch neuer- dings zu dem alten Uebergewicht gelangt. Auch iſt es wahr, daß der Papſt die Annaten wieder bekam. Allein er
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0064"n="38"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Kap. <hirendition="#aq">I.</hi> Epochen des Papſtthums</hi>.</fw><lb/>
Kampfes ſeine Haͤnde zu Gott zu erheben, wie Moſes;<lb/>
aber weder Ermahnung noch Bitte noch Beiſpiel vermochte<lb/>
etwas uͤber dieſe Zeitgenoſſen. Mit jenem jugendlichen Ge-<lb/>
fuͤhl eines ritterlichen Chriſtenthums war es voruͤber; kein<lb/>
Papſt vermochte es wieder aufzuwecken.</p><lb/><p>Andre Intereſſen bewegten die damalige Welt. Es war<lb/>
die Periode, in welcher die europaͤiſchen Reiche nach langen<lb/>
inneren Kaͤmpfen ſich endlich conſolidirten. Den centralen<lb/>
Gewalten gelang es, die Factionen zu uͤberwinden, welche<lb/>
bisher die Throne gefaͤhrdet. Eine Tendenz, die ſofort auch<lb/>
die Paͤpſte beruͤhren mußte. Unendlich groͤßere Anſpruͤche<lb/>
als bisher machte das Fuͤrſtenthum. Man denkt ſich oft<lb/>
das Papſtthum bis zur Reformation hin faſt unumſchraͤnkt;<lb/>
in der That aber hatten waͤhrend des funfzehnten, im An-<lb/>
fange des ſechszehnten Jahrhunderts die Staaten bereits<lb/>
einen nicht geringen Antheil an den geiſtlichen Rechten und<lb/>
Befugniſſen an ſich gebracht.</p><lb/><p>Wie ſehr beſchraͤnkte in Frankreich die pragmatiſche<lb/>
Sanction, welche uͤber ein halbes Jahrhundert als ein<lb/>
Palladium des Reiches angeſehen ward, die Ausuͤbung<lb/>
paͤpſtlicher Gerechtſame! Zwar ließ ſich Ludwig <hirendition="#aq">XI.</hi> durch<lb/>
eine falſche Religioſitaͤt, — der er um ſo mehr ergeben war,<lb/>
je mehr es ihm an der wahren fehlte, — zur Nachgiebigkeit<lb/>
in dieſem Stuͤcke fortreißen; allein ſeine Nachfolger kamen<lb/>
ohne viel Bedenken auf jenes ihr Geſetz zuruͤck. Wenn<lb/>
dann Franz <hirendition="#aq">I.</hi>ſein Concordat mit Leo <hirendition="#aq">X.</hi>ſchloß, ſo hat<lb/>
man wohl behauptet, der roͤmiſche Hof ſey hierdurch neuer-<lb/>
dings zu dem alten Uebergewicht gelangt. Auch iſt es<lb/>
wahr, daß der Papſt die Annaten wieder bekam. Allein er<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[38/0064]
Kap. I. Epochen des Papſtthums.
Kampfes ſeine Haͤnde zu Gott zu erheben, wie Moſes;
aber weder Ermahnung noch Bitte noch Beiſpiel vermochte
etwas uͤber dieſe Zeitgenoſſen. Mit jenem jugendlichen Ge-
fuͤhl eines ritterlichen Chriſtenthums war es voruͤber; kein
Papſt vermochte es wieder aufzuwecken.
Andre Intereſſen bewegten die damalige Welt. Es war
die Periode, in welcher die europaͤiſchen Reiche nach langen
inneren Kaͤmpfen ſich endlich conſolidirten. Den centralen
Gewalten gelang es, die Factionen zu uͤberwinden, welche
bisher die Throne gefaͤhrdet. Eine Tendenz, die ſofort auch
die Paͤpſte beruͤhren mußte. Unendlich groͤßere Anſpruͤche
als bisher machte das Fuͤrſtenthum. Man denkt ſich oft
das Papſtthum bis zur Reformation hin faſt unumſchraͤnkt;
in der That aber hatten waͤhrend des funfzehnten, im An-
fange des ſechszehnten Jahrhunderts die Staaten bereits
einen nicht geringen Antheil an den geiſtlichen Rechten und
Befugniſſen an ſich gebracht.
Wie ſehr beſchraͤnkte in Frankreich die pragmatiſche
Sanction, welche uͤber ein halbes Jahrhundert als ein
Palladium des Reiches angeſehen ward, die Ausuͤbung
paͤpſtlicher Gerechtſame! Zwar ließ ſich Ludwig XI. durch
eine falſche Religioſitaͤt, — der er um ſo mehr ergeben war,
je mehr es ihm an der wahren fehlte, — zur Nachgiebigkeit
in dieſem Stuͤcke fortreißen; allein ſeine Nachfolger kamen
ohne viel Bedenken auf jenes ihr Geſetz zuruͤck. Wenn
dann Franz I. ſein Concordat mit Leo X. ſchloß, ſo hat
man wohl behauptet, der roͤmiſche Hof ſey hierdurch neuer-
dings zu dem alten Uebergewicht gelangt. Auch iſt es
wahr, daß der Papſt die Annaten wieder bekam. Allein er
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/64>, abgerufen am 12.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.