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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

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Die Curie.
in ein paar Jahren auf 70000, unter Sixtus V. bis über
100000. Das Merkwürdige war, daß die Angesessenen
zu einer so großen Anzahl in keinem Verhältniß standen.
Es war mehr ein langes Beisammenwohnen, als ein Ein-
gebürgertseyn; man konnte es mit einer Messe, mit einem
Reichstag vergleichen; ohne Bleiben und Festigkeit, ohne
zusammenhaltende Blutsverwandtschaften. Wie Viele wand-
ten sich hierher, weil sie in ihrem Vaterlande kein Fort-
kommen finden konnten. Gekränkter Stolz trieb die Ei-
nen, schrankenloser Ehrgeiz die Andern an. Viele fanden,
daß man hier am freiesten sey. Ein jeder suchte auf seine
Weise emporzusteigen.

Noch war nicht alles so sehr in Einen Körper zusam-
mengewachsen: die Landsmannschaften waren noch so zahl-
reich und so gesondert, daß man die Verschiedenheit der
nationalen und provinzialen Character sehr wohl bemerkte.
Neben dem aufmerksamen gelehrigen Lombarden unterschied
man den Genueser, der alles mit seinem Geld durchsetzen zu
können glaubte, den Venezianer, der fremde Geheimnisse
zu entdecken beflissen war. Man sah den sparsamen, viel-
redenden Florentiner: den Romanesken, der mit instinct-
artiger Klugheit nie seinen Vortheil aus den Augen ver-
lor: den anspruchvollen und cerimoniösen Neapolitaner.
Die Nordländer zeigten sich einfach und suchten zu genie-
ßen, selbst unser Clavius mußte sich über sein doppeltes
allemal sehr gut besetztes Frühstück verspotten lassen; die
Franzosen hielten sich abgesondert, und gaben ihre vater-
ländischen Sitten am schwersten auf; in seine Sottana und
seinen Mantel gehüllt trat der Spanier einher, voll von

Die Curie.
in ein paar Jahren auf 70000, unter Sixtus V. bis uͤber
100000. Das Merkwuͤrdige war, daß die Angeſeſſenen
zu einer ſo großen Anzahl in keinem Verhaͤltniß ſtanden.
Es war mehr ein langes Beiſammenwohnen, als ein Ein-
gebuͤrgertſeyn; man konnte es mit einer Meſſe, mit einem
Reichstag vergleichen; ohne Bleiben und Feſtigkeit, ohne
zuſammenhaltende Blutsverwandtſchaften. Wie Viele wand-
ten ſich hierher, weil ſie in ihrem Vaterlande kein Fort-
kommen finden konnten. Gekraͤnkter Stolz trieb die Ei-
nen, ſchrankenloſer Ehrgeiz die Andern an. Viele fanden,
daß man hier am freieſten ſey. Ein jeder ſuchte auf ſeine
Weiſe emporzuſteigen.

Noch war nicht alles ſo ſehr in Einen Koͤrper zuſam-
mengewachſen: die Landsmannſchaften waren noch ſo zahl-
reich und ſo geſondert, daß man die Verſchiedenheit der
nationalen und provinzialen Character ſehr wohl bemerkte.
Neben dem aufmerkſamen gelehrigen Lombarden unterſchied
man den Genueſer, der alles mit ſeinem Geld durchſetzen zu
koͤnnen glaubte, den Venezianer, der fremde Geheimniſſe
zu entdecken befliſſen war. Man ſah den ſparſamen, viel-
redenden Florentiner: den Romanesken, der mit inſtinct-
artiger Klugheit nie ſeinen Vortheil aus den Augen ver-
lor: den anſpruchvollen und cerimonioͤſen Neapolitaner.
Die Nordlaͤnder zeigten ſich einfach und ſuchten zu genie-
ßen, ſelbſt unſer Clavius mußte ſich uͤber ſein doppeltes
allemal ſehr gut beſetztes Fruͤhſtuͤck verſpotten laſſen; die
Franzoſen hielten ſich abgeſondert, und gaben ihre vater-
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[507/0533] Die Curie. in ein paar Jahren auf 70000, unter Sixtus V. bis uͤber 100000. Das Merkwuͤrdige war, daß die Angeſeſſenen zu einer ſo großen Anzahl in keinem Verhaͤltniß ſtanden. Es war mehr ein langes Beiſammenwohnen, als ein Ein- gebuͤrgertſeyn; man konnte es mit einer Meſſe, mit einem Reichstag vergleichen; ohne Bleiben und Feſtigkeit, ohne zuſammenhaltende Blutsverwandtſchaften. Wie Viele wand- ten ſich hierher, weil ſie in ihrem Vaterlande kein Fort- kommen finden konnten. Gekraͤnkter Stolz trieb die Ei- nen, ſchrankenloſer Ehrgeiz die Andern an. Viele fanden, daß man hier am freieſten ſey. Ein jeder ſuchte auf ſeine Weiſe emporzuſteigen. Noch war nicht alles ſo ſehr in Einen Koͤrper zuſam- mengewachſen: die Landsmannſchaften waren noch ſo zahl- reich und ſo geſondert, daß man die Verſchiedenheit der nationalen und provinzialen Character ſehr wohl bemerkte. Neben dem aufmerkſamen gelehrigen Lombarden unterſchied man den Genueſer, der alles mit ſeinem Geld durchſetzen zu koͤnnen glaubte, den Venezianer, der fremde Geheimniſſe zu entdecken befliſſen war. Man ſah den ſparſamen, viel- redenden Florentiner: den Romanesken, der mit inſtinct- artiger Klugheit nie ſeinen Vortheil aus den Augen ver- lor: den anſpruchvollen und cerimonioͤſen Neapolitaner. Die Nordlaͤnder zeigten ſich einfach und ſuchten zu genie- ßen, ſelbſt unſer Clavius mußte ſich uͤber ſein doppeltes allemal ſehr gut beſetztes Fruͤhſtuͤck verſpotten laſſen; die Franzoſen hielten ſich abgeſondert, und gaben ihre vater- laͤndiſchen Sitten am ſchwerſten auf; in ſeine Sottana und ſeinen Mantel gehuͤllt trat der Spanier einher, voll von

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 507. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/533>, abgerufen am 27.11.2024.