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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

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Buch IV. Staat und Hof.
Severino und von dem Kirchenstaat breiten sie sich weiter
in der ganzen katholischen Welt aus. Auch die Päpste
schreiten aufs neue zu Heiligsprechungen, welche sie eine
geraume Zeit unterlassen hatten. Nicht viele Beichtväter
waren so einsichtsvoll wie Filippo Neri; eine dumpfe Werk-
heiligkeit ward begünstigt, die Vorstellung von göttlichen
Dingen vermischte sich mit phantastischem Aberglauben.

Dürfte man nun wenigstens die Ueberzeugung hegen,
daß damit auch in der Menge eine volle Hingebung unter
die Vorschriften der Religion eingetreten sey!

Schon die Natur des Hofes aber brachte es mit sich,
daß sich neben den geistlichen auch die lebendigsten weltli-
chen Bestrebungen regten.

Die Curie war nicht allein ein kirchliches Institut:
sie hatte einen Staat, sie hatte indirect einen großen Theil
der Welt zu beherrschen. In dem Grade, daß Jemand
an dieser Gewalt Antheil nahm, erwarb er Ansehn, Glücks-
güter, Wirksamkeit und alles wonach die Menschen zu be-
gehren pflegen. Die menschliche Natur konnte sich nicht
so verändert haben, daß man nach den Kampfpreisen der
Gesellschaft und des Staates nur auf geistlichem Wege ge-
trachtet hätte. Man griff es hier an, wie im Ganzen an
andern Höfen, nur wieder auf eine diesem Boden entspre-
chende, sehr eigenthümliche Weise.

Von allen Städten der Welt hatte Rom damals
wahrscheinlich die beweglichste Bevölkerung. Unter Leo X.
war sie bereits auf mehr als 80000 Seelen gestiegen, un-
ter Paul IV., vor dessen Strenge alles flüchtete, auf
45000 gesunken; gleich nach ihm erhob sie sich wieder,

Buch IV. Staat und Hof.
Severino und von dem Kirchenſtaat breiten ſie ſich weiter
in der ganzen katholiſchen Welt aus. Auch die Paͤpſte
ſchreiten aufs neue zu Heiligſprechungen, welche ſie eine
geraume Zeit unterlaſſen hatten. Nicht viele Beichtvaͤter
waren ſo einſichtsvoll wie Filippo Neri; eine dumpfe Werk-
heiligkeit ward beguͤnſtigt, die Vorſtellung von goͤttlichen
Dingen vermiſchte ſich mit phantaſtiſchem Aberglauben.

Duͤrfte man nun wenigſtens die Ueberzeugung hegen,
daß damit auch in der Menge eine volle Hingebung unter
die Vorſchriften der Religion eingetreten ſey!

Schon die Natur des Hofes aber brachte es mit ſich,
daß ſich neben den geiſtlichen auch die lebendigſten weltli-
chen Beſtrebungen regten.

Die Curie war nicht allein ein kirchliches Inſtitut:
ſie hatte einen Staat, ſie hatte indirect einen großen Theil
der Welt zu beherrſchen. In dem Grade, daß Jemand
an dieſer Gewalt Antheil nahm, erwarb er Anſehn, Gluͤcks-
guͤter, Wirkſamkeit und alles wonach die Menſchen zu be-
gehren pflegen. Die menſchliche Natur konnte ſich nicht
ſo veraͤndert haben, daß man nach den Kampfpreiſen der
Geſellſchaft und des Staates nur auf geiſtlichem Wege ge-
trachtet haͤtte. Man griff es hier an, wie im Ganzen an
andern Hoͤfen, nur wieder auf eine dieſem Boden entſpre-
chende, ſehr eigenthuͤmliche Weiſe.

Von allen Staͤdten der Welt hatte Rom damals
wahrſcheinlich die beweglichſte Bevoͤlkerung. Unter Leo X.
war ſie bereits auf mehr als 80000 Seelen geſtiegen, un-
ter Paul IV., vor deſſen Strenge alles fluͤchtete, auf
45000 geſunken; gleich nach ihm erhob ſie ſich wieder,

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[506/0532] Buch IV. Staat und Hof. Severino und von dem Kirchenſtaat breiten ſie ſich weiter in der ganzen katholiſchen Welt aus. Auch die Paͤpſte ſchreiten aufs neue zu Heiligſprechungen, welche ſie eine geraume Zeit unterlaſſen hatten. Nicht viele Beichtvaͤter waren ſo einſichtsvoll wie Filippo Neri; eine dumpfe Werk- heiligkeit ward beguͤnſtigt, die Vorſtellung von goͤttlichen Dingen vermiſchte ſich mit phantaſtiſchem Aberglauben. Duͤrfte man nun wenigſtens die Ueberzeugung hegen, daß damit auch in der Menge eine volle Hingebung unter die Vorſchriften der Religion eingetreten ſey! Schon die Natur des Hofes aber brachte es mit ſich, daß ſich neben den geiſtlichen auch die lebendigſten weltli- chen Beſtrebungen regten. Die Curie war nicht allein ein kirchliches Inſtitut: ſie hatte einen Staat, ſie hatte indirect einen großen Theil der Welt zu beherrſchen. In dem Grade, daß Jemand an dieſer Gewalt Antheil nahm, erwarb er Anſehn, Gluͤcks- guͤter, Wirkſamkeit und alles wonach die Menſchen zu be- gehren pflegen. Die menſchliche Natur konnte ſich nicht ſo veraͤndert haben, daß man nach den Kampfpreiſen der Geſellſchaft und des Staates nur auf geiſtlichem Wege ge- trachtet haͤtte. Man griff es hier an, wie im Ganzen an andern Hoͤfen, nur wieder auf eine dieſem Boden entſpre- chende, ſehr eigenthuͤmliche Weiſe. Von allen Staͤdten der Welt hatte Rom damals wahrſcheinlich die beweglichſte Bevoͤlkerung. Unter Leo X. war ſie bereits auf mehr als 80000 Seelen geſtiegen, un- ter Paul IV., vor deſſen Strenge alles fluͤchtete, auf 45000 geſunken; gleich nach ihm erhob ſie ſich wieder,

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/532>, abgerufen am 24.11.2024.