symbolische Bedeutung, seine Anwendung auf Gemüth und Religion hat vielleicht nie ein Musiker geistiger auf- gefaßt.
Wenn irgend ein Mensch geeignet war, zu versuchen, ob diese Methode auch auf das umfassende Werk einer Messe angewendet werden könne, so war es dieser Meister: die Commission trug es ihm auf.
Palestrina fühlte ganz, daß es ein Versuch war, auf dem so zu sagen Leben und Tod der großen Musik der Messen beruhte; mit selbstbewußter Anstrengung ging er daran: auf seiner Handschrift hat man die Worte gefun- den: Herr, erleuchte meine Augen.
Nicht sogleich gelang es ihm: die beiden ersten Arbei- ten mißriethen: endlich aber in glücklichen Momenten brachte er die Messe zu Stande, die unter dem Namen der Messe des Papstes Marcellus bekannt ist, mit der er jede Erwartung übertraf. Sie ist voll einfacher Melodie und kann sich doch in Mannichfaltigkeit mit früheren Mes- sen vergleichen: Chöre trennen sich und vereinigen sich wie- der: unübertrefflich ist der Sinn des Textes ausgedrückt: das Kyrie ist Unterwerfung, das Agnus Demuth, das Credo Majestät. Papst Pius IV., vor dem sie aufgeführt wurde, war hingerissen. Er verglich sie mit den himmli- schen Melodien, wie sie der Apostel Johannes in der Ent- zückung gehört haben möge.
Durch dieß Eine große Beispiel war nun die Frage auf immer entschieden; eine Bahn war eröffnet, auf der die schönsten, auch für die Andersgläubigen rührendsten Werke hervorgebracht worden sind. Wer kann sie hören
BuchIV.Staat und Hof.
ſymboliſche Bedeutung, ſeine Anwendung auf Gemuͤth und Religion hat vielleicht nie ein Muſiker geiſtiger auf- gefaßt.
Wenn irgend ein Menſch geeignet war, zu verſuchen, ob dieſe Methode auch auf das umfaſſende Werk einer Meſſe angewendet werden koͤnne, ſo war es dieſer Meiſter: die Commiſſion trug es ihm auf.
Paleſtrina fuͤhlte ganz, daß es ein Verſuch war, auf dem ſo zu ſagen Leben und Tod der großen Muſik der Meſſen beruhte; mit ſelbſtbewußter Anſtrengung ging er daran: auf ſeiner Handſchrift hat man die Worte gefun- den: Herr, erleuchte meine Augen.
Nicht ſogleich gelang es ihm: die beiden erſten Arbei- ten mißriethen: endlich aber in gluͤcklichen Momenten brachte er die Meſſe zu Stande, die unter dem Namen der Meſſe des Papſtes Marcellus bekannt iſt, mit der er jede Erwartung uͤbertraf. Sie iſt voll einfacher Melodie und kann ſich doch in Mannichfaltigkeit mit fruͤheren Meſ- ſen vergleichen: Choͤre trennen ſich und vereinigen ſich wie- der: unuͤbertrefflich iſt der Sinn des Textes ausgedruͤckt: das Kyrie iſt Unterwerfung, das Agnus Demuth, das Credo Majeſtaͤt. Papſt Pius IV., vor dem ſie aufgefuͤhrt wurde, war hingeriſſen. Er verglich ſie mit den himmli- ſchen Melodien, wie ſie der Apoſtel Johannes in der Ent- zuͤckung gehoͤrt haben moͤge.
Durch dieß Eine große Beiſpiel war nun die Frage auf immer entſchieden; eine Bahn war eroͤffnet, auf der die ſchoͤnſten, auch fuͤr die Andersglaͤubigen ruͤhrendſten Werke hervorgebracht worden ſind. Wer kann ſie hoͤren
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0524"n="498"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Buch</hi><hirendition="#aq">IV.</hi><hirendition="#g">Staat und Hof</hi>.</fw><lb/>ſymboliſche Bedeutung, ſeine Anwendung auf Gemuͤth<lb/>
und Religion hat vielleicht nie ein Muſiker geiſtiger auf-<lb/>
gefaßt.</p><lb/><p>Wenn irgend ein Menſch geeignet war, zu verſuchen,<lb/>
ob dieſe Methode auch auf das umfaſſende Werk einer<lb/>
Meſſe angewendet werden koͤnne, ſo war es dieſer Meiſter:<lb/>
die Commiſſion trug es ihm auf.</p><lb/><p>Paleſtrina fuͤhlte ganz, daß es ein Verſuch war, auf<lb/>
dem ſo zu ſagen Leben und Tod der großen Muſik der<lb/>
Meſſen beruhte; mit ſelbſtbewußter Anſtrengung ging er<lb/>
daran: auf ſeiner Handſchrift hat man die Worte gefun-<lb/>
den: Herr, erleuchte meine Augen.</p><lb/><p>Nicht ſogleich gelang es ihm: die beiden erſten Arbei-<lb/>
ten mißriethen: endlich aber in gluͤcklichen Momenten<lb/>
brachte er die Meſſe zu Stande, die unter dem Namen<lb/>
der Meſſe des Papſtes Marcellus bekannt iſt, mit der er<lb/>
jede Erwartung uͤbertraf. Sie iſt voll einfacher Melodie<lb/>
und kann ſich doch in Mannichfaltigkeit mit fruͤheren Meſ-<lb/>ſen vergleichen: Choͤre trennen ſich und vereinigen ſich wie-<lb/>
der: unuͤbertrefflich iſt der Sinn des Textes ausgedruͤckt:<lb/>
das Kyrie iſt Unterwerfung, das Agnus Demuth, das<lb/>
Credo Majeſtaͤt. Papſt Pius <hirendition="#aq">IV.</hi>, vor dem ſie aufgefuͤhrt<lb/>
wurde, war hingeriſſen. Er verglich ſie mit den himmli-<lb/>ſchen Melodien, wie ſie der Apoſtel Johannes in der Ent-<lb/>
zuͤckung gehoͤrt haben moͤge.</p><lb/><p>Durch dieß Eine große Beiſpiel war nun die Frage<lb/>
auf immer entſchieden; eine Bahn war eroͤffnet, auf der<lb/>
die ſchoͤnſten, auch fuͤr die Andersglaͤubigen ruͤhrendſten<lb/>
Werke hervorgebracht worden ſind. Wer kann ſie hoͤren<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[498/0524]
Buch IV. Staat und Hof.
ſymboliſche Bedeutung, ſeine Anwendung auf Gemuͤth
und Religion hat vielleicht nie ein Muſiker geiſtiger auf-
gefaßt.
Wenn irgend ein Menſch geeignet war, zu verſuchen,
ob dieſe Methode auch auf das umfaſſende Werk einer
Meſſe angewendet werden koͤnne, ſo war es dieſer Meiſter:
die Commiſſion trug es ihm auf.
Paleſtrina fuͤhlte ganz, daß es ein Verſuch war, auf
dem ſo zu ſagen Leben und Tod der großen Muſik der
Meſſen beruhte; mit ſelbſtbewußter Anſtrengung ging er
daran: auf ſeiner Handſchrift hat man die Worte gefun-
den: Herr, erleuchte meine Augen.
Nicht ſogleich gelang es ihm: die beiden erſten Arbei-
ten mißriethen: endlich aber in gluͤcklichen Momenten
brachte er die Meſſe zu Stande, die unter dem Namen
der Meſſe des Papſtes Marcellus bekannt iſt, mit der er
jede Erwartung uͤbertraf. Sie iſt voll einfacher Melodie
und kann ſich doch in Mannichfaltigkeit mit fruͤheren Meſ-
ſen vergleichen: Choͤre trennen ſich und vereinigen ſich wie-
der: unuͤbertrefflich iſt der Sinn des Textes ausgedruͤckt:
das Kyrie iſt Unterwerfung, das Agnus Demuth, das
Credo Majeſtaͤt. Papſt Pius IV., vor dem ſie aufgefuͤhrt
wurde, war hingeriſſen. Er verglich ſie mit den himmli-
ſchen Melodien, wie ſie der Apoſtel Johannes in der Ent-
zuͤckung gehoͤrt haben moͤge.
Durch dieß Eine große Beiſpiel war nun die Frage
auf immer entſchieden; eine Bahn war eroͤffnet, auf der
die ſchoͤnſten, auch fuͤr die Andersglaͤubigen ruͤhrendſten
Werke hervorgebracht worden ſind. Wer kann ſie hoͤren
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/524>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.