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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

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Buch IV. Staat und Hof.
der lebendig erfüllt sind, daß ihnen die religiösen Vorstel-
lungen, die sie vergegenwärtigen, wieder etwas bedeuten.

Eben diese Tendenz unterscheidet auch ihre Schüler.
Auf die Erfindung Agostino's, jene Idee des Hieronymus,
wandte Domenichino einen so glücklichen Fleiß, daß er
in Mannichfaltigkeit der Gruppirung und Vollendung des
Ausdrucks den Meister vielleicht noch übertraf. Seinen
Kopf des heiligen Nilus finde ich herrlich, gemischt aus
Schmerz und Nachdenken: seine Prophetinnen voll Jugend,
Unschuld und Tiefsinn. Hauptsächlich liebte er die Freu-
den des Himmels mit der Qual der Erde in Gegensatz zu
stellen: wie so sehr in der Madonna del Rosario die himm-
lische gnadenreiche Mutter mit dem bedürftigen Menschen.

Zuweilen ergreift auch Guido Reni diesen Gegensatz;
wäre es auch nur, daß er die in ewiger Schönheit prangende
Jungfrau abgehärmten mönchischen Heiligen gegenüberstellt.
Guido hat Schwung und eigene Conception. Wie herrlich
ist seine Judith, aufgegangen im Gefühle der gelungenen That
und des Dankes, welchen sie himmlischer Hülfe schuldig ist!
Wer kennt nicht seine Madonna, entzückt, und etwas ver-
schwimmend in ihrem Entzücken? Auch für seine Heili-
gen schuf er sich ein sentimental-schwärmerisches Ideal.

Hiermit haben wir jedoch noch nicht die ganze Eigen-
thümlichkeit dieser Richtung bezeichnet: sie hat noch eine
andere nicht so anziehende Seite. Die Erfindungen dieser
Maler bekommen auch zuweilen etwas Geltsam-Fremdar-
tiges. Die schöne Gruppe der heil. Familie z. B. wird
wohl einmal dahin ausgebildet, daß der St. Johannes
dem Jesukind förmlich den Fuß küßt; oder die Apostel er-

Buch IV. Staat und Hof.
der lebendig erfuͤllt ſind, daß ihnen die religioͤſen Vorſtel-
lungen, die ſie vergegenwaͤrtigen, wieder etwas bedeuten.

Eben dieſe Tendenz unterſcheidet auch ihre Schuͤler.
Auf die Erfindung Agoſtino’s, jene Idee des Hieronymus,
wandte Domenichino einen ſo gluͤcklichen Fleiß, daß er
in Mannichfaltigkeit der Gruppirung und Vollendung des
Ausdrucks den Meiſter vielleicht noch uͤbertraf. Seinen
Kopf des heiligen Nilus finde ich herrlich, gemiſcht aus
Schmerz und Nachdenken: ſeine Prophetinnen voll Jugend,
Unſchuld und Tiefſinn. Hauptſaͤchlich liebte er die Freu-
den des Himmels mit der Qual der Erde in Gegenſatz zu
ſtellen: wie ſo ſehr in der Madonna del Roſario die himm-
liſche gnadenreiche Mutter mit dem beduͤrftigen Menſchen.

Zuweilen ergreift auch Guido Reni dieſen Gegenſatz;
waͤre es auch nur, daß er die in ewiger Schoͤnheit prangende
Jungfrau abgehaͤrmten moͤnchiſchen Heiligen gegenuͤberſtellt.
Guido hat Schwung und eigene Conception. Wie herrlich
iſt ſeine Judith, aufgegangen im Gefuͤhle der gelungenen That
und des Dankes, welchen ſie himmliſcher Huͤlfe ſchuldig iſt!
Wer kennt nicht ſeine Madonna, entzuͤckt, und etwas ver-
ſchwimmend in ihrem Entzuͤcken? Auch fuͤr ſeine Heili-
gen ſchuf er ſich ein ſentimental-ſchwaͤrmeriſches Ideal.

Hiermit haben wir jedoch noch nicht die ganze Eigen-
thuͤmlichkeit dieſer Richtung bezeichnet: ſie hat noch eine
andere nicht ſo anziehende Seite. Die Erfindungen dieſer
Maler bekommen auch zuweilen etwas Geltſam-Fremdar-
tiges. Die ſchoͤne Gruppe der heil. Familie z. B. wird
wohl einmal dahin ausgebildet, daß der St. Johannes
dem Jeſukind foͤrmlich den Fuß kuͤßt; oder die Apoſtel er-

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[494/0520] Buch IV. Staat und Hof. der lebendig erfuͤllt ſind, daß ihnen die religioͤſen Vorſtel- lungen, die ſie vergegenwaͤrtigen, wieder etwas bedeuten. Eben dieſe Tendenz unterſcheidet auch ihre Schuͤler. Auf die Erfindung Agoſtino’s, jene Idee des Hieronymus, wandte Domenichino einen ſo gluͤcklichen Fleiß, daß er in Mannichfaltigkeit der Gruppirung und Vollendung des Ausdrucks den Meiſter vielleicht noch uͤbertraf. Seinen Kopf des heiligen Nilus finde ich herrlich, gemiſcht aus Schmerz und Nachdenken: ſeine Prophetinnen voll Jugend, Unſchuld und Tiefſinn. Hauptſaͤchlich liebte er die Freu- den des Himmels mit der Qual der Erde in Gegenſatz zu ſtellen: wie ſo ſehr in der Madonna del Roſario die himm- liſche gnadenreiche Mutter mit dem beduͤrftigen Menſchen. Zuweilen ergreift auch Guido Reni dieſen Gegenſatz; waͤre es auch nur, daß er die in ewiger Schoͤnheit prangende Jungfrau abgehaͤrmten moͤnchiſchen Heiligen gegenuͤberſtellt. Guido hat Schwung und eigene Conception. Wie herrlich iſt ſeine Judith, aufgegangen im Gefuͤhle der gelungenen That und des Dankes, welchen ſie himmliſcher Huͤlfe ſchuldig iſt! Wer kennt nicht ſeine Madonna, entzuͤckt, und etwas ver- ſchwimmend in ihrem Entzuͤcken? Auch fuͤr ſeine Heili- gen ſchuf er ſich ein ſentimental-ſchwaͤrmeriſches Ideal. Hiermit haben wir jedoch noch nicht die ganze Eigen- thuͤmlichkeit dieſer Richtung bezeichnet: ſie hat noch eine andere nicht ſo anziehende Seite. Die Erfindungen dieſer Maler bekommen auch zuweilen etwas Geltſam-Fremdar- tiges. Die ſchoͤne Gruppe der heil. Familie z. B. wird wohl einmal dahin ausgebildet, daß der St. Johannes dem Jeſukind foͤrmlich den Fuß kuͤßt; oder die Apoſtel er-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/520>, abgerufen am 27.11.2024.