gekannt hätte; so voll sey diese Gestalt von Adel und Standhaftigkeit;" -- Alamanni bearbeitete Giron le cour- toys, den Spiegel aller Rittertugend. Sein ausgesproche- ner Zweck ist dabei, der Jugend an diesem Beispiele zu zeigen, wie man Hunger und Nachtwachen, Kälte und Sonnenschein zu ertragen, die Waffen zu führen, gegen Je- dermann Gerechtigkeit und Frömmigkeit zu beweisen und den Feinden zu vergeben habe. Da sie nun bei diesem mo- ralisch-didactischen Absehen eben auch auf die Weise des Berni verfahren, und ihrer Fabel den poetischen Grund, den sie hat, recht mit Absicht entreißen, so ist erfolgt, daß ihre Arbeiten überaus weitschweifig und trocken ausgefal- len sind.
Es schien, wenn man so sagen darf, als hätte die Nation das Capital poetischer Vorstellungen, das ihr ihre Vergangenheit gewährte, das ihr aus dem Mittelalter her- vorgegangen, verbraucht, verarbeitet, und sogar kein Ver- ständniß derselben übrig. Sie suchte etwas Neues. Aber weder wollten die schöpferischen Genien erscheinen, noch bot das Leben frische Stoffe dar. Bis gegen die Mitte des Jahrhunderts ist die Prosa -- lehrhaft ihrer Natur nach -- noch geistreich, warm, beugsam und anmuthig. All- mählig erstarrt und erkaltet sie aber auch.
Wie in der Poesie, war es in der Kunst. Sie ver- lor die Begeisterung, die ihr ehemals ihre geistlichen, gar bald auch die welche ihr ihre profanen Gegenstände einge- flößt. Hauptsächlich nur in den Venezianern blieb etwas davon übrig. Wie so völlig fallen die Schüler Raphaels, einen einzigen ausgenommen, von Raphael ab. Indem sie
Veraͤnderung der geiſtigen Richtung.
gekannt haͤtte; ſo voll ſey dieſe Geſtalt von Adel und Standhaftigkeit;“ — Alamanni bearbeitete Giron le cour- toys, den Spiegel aller Rittertugend. Sein ausgeſproche- ner Zweck iſt dabei, der Jugend an dieſem Beiſpiele zu zeigen, wie man Hunger und Nachtwachen, Kaͤlte und Sonnenſchein zu ertragen, die Waffen zu fuͤhren, gegen Je- dermann Gerechtigkeit und Froͤmmigkeit zu beweiſen und den Feinden zu vergeben habe. Da ſie nun bei dieſem mo- raliſch-didactiſchen Abſehen eben auch auf die Weiſe des Berni verfahren, und ihrer Fabel den poetiſchen Grund, den ſie hat, recht mit Abſicht entreißen, ſo iſt erfolgt, daß ihre Arbeiten uͤberaus weitſchweifig und trocken ausgefal- len ſind.
Es ſchien, wenn man ſo ſagen darf, als haͤtte die Nation das Capital poetiſcher Vorſtellungen, das ihr ihre Vergangenheit gewaͤhrte, das ihr aus dem Mittelalter her- vorgegangen, verbraucht, verarbeitet, und ſogar kein Ver- ſtaͤndniß derſelben uͤbrig. Sie ſuchte etwas Neues. Aber weder wollten die ſchoͤpferiſchen Genien erſcheinen, noch bot das Leben friſche Stoffe dar. Bis gegen die Mitte des Jahrhunderts iſt die Proſa — lehrhaft ihrer Natur nach — noch geiſtreich, warm, beugſam und anmuthig. All- maͤhlig erſtarrt und erkaltet ſie aber auch.
Wie in der Poeſie, war es in der Kunſt. Sie ver- lor die Begeiſterung, die ihr ehemals ihre geiſtlichen, gar bald auch die welche ihr ihre profanen Gegenſtaͤnde einge- floͤßt. Hauptſaͤchlich nur in den Venezianern blieb etwas davon uͤbrig. Wie ſo voͤllig fallen die Schuͤler Raphaels, einen einzigen ausgenommen, von Raphael ab. Indem ſie
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Veraͤnderung der geiſtigen Richtung.
gekannt haͤtte; ſo voll ſey dieſe Geſtalt von Adel und
Standhaftigkeit;“ — Alamanni bearbeitete Giron le cour-
toys, den Spiegel aller Rittertugend. Sein ausgeſproche-
ner Zweck iſt dabei, der Jugend an dieſem Beiſpiele zu
zeigen, wie man Hunger und Nachtwachen, Kaͤlte und
Sonnenſchein zu ertragen, die Waffen zu fuͤhren, gegen Je-
dermann Gerechtigkeit und Froͤmmigkeit zu beweiſen und
den Feinden zu vergeben habe. Da ſie nun bei dieſem mo-
raliſch-didactiſchen Abſehen eben auch auf die Weiſe des
Berni verfahren, und ihrer Fabel den poetiſchen Grund,
den ſie hat, recht mit Abſicht entreißen, ſo iſt erfolgt, daß
ihre Arbeiten uͤberaus weitſchweifig und trocken ausgefal-
len ſind.
Es ſchien, wenn man ſo ſagen darf, als haͤtte die
Nation das Capital poetiſcher Vorſtellungen, das ihr ihre
Vergangenheit gewaͤhrte, das ihr aus dem Mittelalter her-
vorgegangen, verbraucht, verarbeitet, und ſogar kein Ver-
ſtaͤndniß derſelben uͤbrig. Sie ſuchte etwas Neues. Aber
weder wollten die ſchoͤpferiſchen Genien erſcheinen, noch bot
das Leben friſche Stoffe dar. Bis gegen die Mitte des
Jahrhunderts iſt die Proſa — lehrhaft ihrer Natur nach
— noch geiſtreich, warm, beugſam und anmuthig. All-
maͤhlig erſtarrt und erkaltet ſie aber auch.
Wie in der Poeſie, war es in der Kunſt. Sie ver-
lor die Begeiſterung, die ihr ehemals ihre geiſtlichen, gar
bald auch die welche ihr ihre profanen Gegenſtaͤnde einge-
floͤßt. Hauptſaͤchlich nur in den Venezianern blieb etwas
davon uͤbrig. Wie ſo voͤllig fallen die Schuͤler Raphaels,
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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/513>, abgerufen am 17.02.2025.
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