Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite
Buch IV. Staat und Hof.

Es folgte, wenn ich nicht irre, von selbst, daß das
Studium der Antike, dem man sich in Hinsicht des Ob-
jects nicht mehr mit so voller Hingebung überlassen durfte,
auch in Hinsicht der Form nicht mehr die Wirkung her-
vorbringen konnte, die es früher gehabt.

In den gelehrten Werken fing man an, es durchaus
auf die Anhäufung des Stoffes abzusehen. Im Anfang
des Jahrhunderts hatte Cortesius das Wesentliche der scho-
lastischen Philosophie, so unfügsam es sich auch zeigen
mochte, in einem wohlgeschriebenen classischen Werke, das
voll von Geist und Witz ist, mitgetheilt; jetzt stellte ein
Natal Conte einen antiken Stoff, der die geistreichste, groß-
artigste Behandlung zugelassen hätte, mythologisch in einem
ungenießbaren Quartanten zusammen. Dieser Autor hat
auch eine Geschichte geschrieben: die Sentenzen, mit denen
er sein Buch ausstattet, leitet er fast immer unmittelbar
aus den Alten her und citirt die Stellen; doch ist er da-
bei von allem Sinn für eigentliche Darstellung entfernt
geblieben. Es schien den Zeitgenossen schon hinreichend,
das Material der Thatsachen in Massen aufzuhäufen. Man
darf sagen, ein Werk, wie die Annalen des Baronius, so
ganz formlos, -- lateinisch, aber ohne alle Spur von Ele-
ganz selbst nur im einzelnen Ausdruck, -- wäre im An-
fange des Jahrhunderts nicht einmal denkbar gewesen.

Indem man dergestalt wie in den wissenschaftlichen
Bestrebungen, so noch vielmehr in der Form und Darstel-
lung die Bahn des Alterthums verließ, traten in dem Le-
ben der Nation Veränderungen ein, die auf alles literari-
sche und künstlerische Bemühen unberechenbaren Einfluß
ausgeübt haben.


Buch IV. Staat und Hof.

Es folgte, wenn ich nicht irre, von ſelbſt, daß das
Studium der Antike, dem man ſich in Hinſicht des Ob-
jects nicht mehr mit ſo voller Hingebung uͤberlaſſen durfte,
auch in Hinſicht der Form nicht mehr die Wirkung her-
vorbringen konnte, die es fruͤher gehabt.

In den gelehrten Werken fing man an, es durchaus
auf die Anhaͤufung des Stoffes abzuſehen. Im Anfang
des Jahrhunderts hatte Corteſius das Weſentliche der ſcho-
laſtiſchen Philoſophie, ſo unfuͤgſam es ſich auch zeigen
mochte, in einem wohlgeſchriebenen claſſiſchen Werke, das
voll von Geiſt und Witz iſt, mitgetheilt; jetzt ſtellte ein
Natal Conte einen antiken Stoff, der die geiſtreichſte, groß-
artigſte Behandlung zugelaſſen haͤtte, mythologiſch in einem
ungenießbaren Quartanten zuſammen. Dieſer Autor hat
auch eine Geſchichte geſchrieben: die Sentenzen, mit denen
er ſein Buch ausſtattet, leitet er faſt immer unmittelbar
aus den Alten her und citirt die Stellen; doch iſt er da-
bei von allem Sinn fuͤr eigentliche Darſtellung entfernt
geblieben. Es ſchien den Zeitgenoſſen ſchon hinreichend,
das Material der Thatſachen in Maſſen aufzuhaͤufen. Man
darf ſagen, ein Werk, wie die Annalen des Baronius, ſo
ganz formlos, — lateiniſch, aber ohne alle Spur von Ele-
ganz ſelbſt nur im einzelnen Ausdruck, — waͤre im An-
fange des Jahrhunderts nicht einmal denkbar geweſen.

Indem man dergeſtalt wie in den wiſſenſchaftlichen
Beſtrebungen, ſo noch vielmehr in der Form und Darſtel-
lung die Bahn des Alterthums verließ, traten in dem Le-
ben der Nation Veraͤnderungen ein, die auf alles literari-
ſche und kuͤnſtleriſche Bemuͤhen unberechenbaren Einfluß
ausgeuͤbt haben.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0510" n="484"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Buch</hi><hi rendition="#aq">IV.</hi><hi rendition="#g">Staat und Hof</hi>.</fw><lb/>
          <p>Es folgte, wenn ich nicht irre, von &#x017F;elb&#x017F;t, daß das<lb/>
Studium der Antike, dem man &#x017F;ich in Hin&#x017F;icht des Ob-<lb/>
jects nicht mehr mit &#x017F;o voller Hingebung u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en durfte,<lb/>
auch in Hin&#x017F;icht der Form nicht mehr die Wirkung her-<lb/>
vorbringen konnte, die es fru&#x0364;her gehabt.</p><lb/>
          <p>In den gelehrten Werken fing man an, es durchaus<lb/>
auf die Anha&#x0364;ufung des Stoffes abzu&#x017F;ehen. Im Anfang<lb/>
des Jahrhunderts hatte Corte&#x017F;ius das We&#x017F;entliche der &#x017F;cho-<lb/>
la&#x017F;ti&#x017F;chen Philo&#x017F;ophie, &#x017F;o unfu&#x0364;g&#x017F;am es &#x017F;ich auch zeigen<lb/>
mochte, in einem wohlge&#x017F;chriebenen cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Werke, das<lb/>
voll von Gei&#x017F;t und Witz i&#x017F;t, mitgetheilt; jetzt &#x017F;tellte ein<lb/>
Natal Conte einen antiken Stoff, der die gei&#x017F;treich&#x017F;te, groß-<lb/>
artig&#x017F;te Behandlung zugela&#x017F;&#x017F;en ha&#x0364;tte, mythologi&#x017F;ch in einem<lb/>
ungenießbaren Quartanten zu&#x017F;ammen. Die&#x017F;er Autor hat<lb/>
auch eine Ge&#x017F;chichte ge&#x017F;chrieben: die Sentenzen, mit denen<lb/>
er &#x017F;ein Buch aus&#x017F;tattet, leitet er fa&#x017F;t immer unmittelbar<lb/>
aus den Alten her und citirt die Stellen; doch i&#x017F;t er da-<lb/>
bei von allem Sinn fu&#x0364;r eigentliche Dar&#x017F;tellung entfernt<lb/>
geblieben. Es &#x017F;chien den Zeitgeno&#x017F;&#x017F;en &#x017F;chon hinreichend,<lb/>
das Material der That&#x017F;achen in Ma&#x017F;&#x017F;en aufzuha&#x0364;ufen. Man<lb/>
darf &#x017F;agen, ein Werk, wie die Annalen des Baronius, &#x017F;o<lb/>
ganz formlos, &#x2014; lateini&#x017F;ch, aber ohne alle Spur von Ele-<lb/>
ganz &#x017F;elb&#x017F;t nur im einzelnen Ausdruck, &#x2014; wa&#x0364;re im An-<lb/>
fange des Jahrhunderts nicht einmal denkbar gewe&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Indem man derge&#x017F;talt wie in den wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen<lb/>
Be&#x017F;trebungen, &#x017F;o noch vielmehr in der Form und Dar&#x017F;tel-<lb/>
lung die Bahn des Alterthums verließ, traten in dem Le-<lb/>
ben der Nation Vera&#x0364;nderungen ein, die auf alles literari-<lb/>
&#x017F;che und ku&#x0364;n&#x017F;tleri&#x017F;che Bemu&#x0364;hen unberechenbaren Einfluß<lb/>
ausgeu&#x0364;bt haben.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[484/0510] Buch IV. Staat und Hof. Es folgte, wenn ich nicht irre, von ſelbſt, daß das Studium der Antike, dem man ſich in Hinſicht des Ob- jects nicht mehr mit ſo voller Hingebung uͤberlaſſen durfte, auch in Hinſicht der Form nicht mehr die Wirkung her- vorbringen konnte, die es fruͤher gehabt. In den gelehrten Werken fing man an, es durchaus auf die Anhaͤufung des Stoffes abzuſehen. Im Anfang des Jahrhunderts hatte Corteſius das Weſentliche der ſcho- laſtiſchen Philoſophie, ſo unfuͤgſam es ſich auch zeigen mochte, in einem wohlgeſchriebenen claſſiſchen Werke, das voll von Geiſt und Witz iſt, mitgetheilt; jetzt ſtellte ein Natal Conte einen antiken Stoff, der die geiſtreichſte, groß- artigſte Behandlung zugelaſſen haͤtte, mythologiſch in einem ungenießbaren Quartanten zuſammen. Dieſer Autor hat auch eine Geſchichte geſchrieben: die Sentenzen, mit denen er ſein Buch ausſtattet, leitet er faſt immer unmittelbar aus den Alten her und citirt die Stellen; doch iſt er da- bei von allem Sinn fuͤr eigentliche Darſtellung entfernt geblieben. Es ſchien den Zeitgenoſſen ſchon hinreichend, das Material der Thatſachen in Maſſen aufzuhaͤufen. Man darf ſagen, ein Werk, wie die Annalen des Baronius, ſo ganz formlos, — lateiniſch, aber ohne alle Spur von Ele- ganz ſelbſt nur im einzelnen Ausdruck, — waͤre im An- fange des Jahrhunderts nicht einmal denkbar geweſen. Indem man dergeſtalt wie in den wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen, ſo noch vielmehr in der Form und Darſtel- lung die Bahn des Alterthums verließ, traten in dem Le- ben der Nation Veraͤnderungen ein, die auf alles literari- ſche und kuͤnſtleriſche Bemuͤhen unberechenbaren Einfluß ausgeuͤbt haben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/510
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/510>, abgerufen am 23.11.2024.