Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite
Inquisition.

Und so wurden die Regungen abweichender Religions-
meinungen in Italien mit Gewalt erstickt und vernichtet.
Fast der ganze Orden der Franciscaner wurde zu Retracta-
tionen genöthigt. Der größte Theil der Anhänger des
Valdez bequemte sich zu widerrufen. In Venedig ließ man
den Fremden, den Deutschen, die sich des Handels oder
der Studien halber eingefunden hatten, eine gewisse Freiheit;
die Einheimischen dagegen wurden genöthigt, ihre Mei-
nungen abzuschwören: ihre Zusammenkünfte wurden zer-
stört. Viele flüchteten; in allen Städten in Deutschland
und der Schweiz begegnen wir diesen Flüchtlingen. Diejeni-
gen, die weder nachgeben wollten noch zu entfliehen wuß-
ten, verfielen der Strafe. In Venedig wurden sie mit
zwei Barken aus den Lagunen hinaus in das Meer
geschickt. Man legte ein Brett zwischen die Barken, und
setzte die Verurtheilten darauf; in gleichem Augenblick fuh-
ren die Ruderer auseinander; das Brett stürzte in die
Fluth: noch einmal riefen die Unglücklichen den Namen
Christi aus und sanken unter. In Rom hielt man
vor San Maria alla Minerva die Autodafe's in aller
Form. Mancher floh von Ort zu Ort mit Weib und
Kind. Wir begleiten sie eine Weile: dann verschwinden
sie: wahrscheinlich sind sie den unbarmherzigen Jägern in
die Netze gerathen. Andere hielten sich still. Die Herzo-
gin von Ferrara, welche, wenn es kein salisches Gesetz
gegeben hätte, Erbin von Frankreich gewesen wäre, ward
durch Geburt und hohen Rang nicht beschützt. Ihr Ge-
mahl war selbst ihr Gegner. "Sie sieht Niemand", sagt
Marot, "gegen den sie sich beklagen könnte: die Berge sind

Inquiſition.

Und ſo wurden die Regungen abweichender Religions-
meinungen in Italien mit Gewalt erſtickt und vernichtet.
Faſt der ganze Orden der Franciscaner wurde zu Retracta-
tionen genoͤthigt. Der groͤßte Theil der Anhaͤnger des
Valdez bequemte ſich zu widerrufen. In Venedig ließ man
den Fremden, den Deutſchen, die ſich des Handels oder
der Studien halber eingefunden hatten, eine gewiſſe Freiheit;
die Einheimiſchen dagegen wurden genoͤthigt, ihre Mei-
nungen abzuſchwoͤren: ihre Zuſammenkuͤnfte wurden zer-
ſtoͤrt. Viele fluͤchteten; in allen Staͤdten in Deutſchland
und der Schweiz begegnen wir dieſen Fluͤchtlingen. Diejeni-
gen, die weder nachgeben wollten noch zu entfliehen wuß-
ten, verfielen der Strafe. In Venedig wurden ſie mit
zwei Barken aus den Lagunen hinaus in das Meer
geſchickt. Man legte ein Brett zwiſchen die Barken, und
ſetzte die Verurtheilten darauf; in gleichem Augenblick fuh-
ren die Ruderer auseinander; das Brett ſtuͤrzte in die
Fluth: noch einmal riefen die Ungluͤcklichen den Namen
Chriſti aus und ſanken unter. In Rom hielt man
vor San Maria alla Minerva die Autodafe’s in aller
Form. Mancher floh von Ort zu Ort mit Weib und
Kind. Wir begleiten ſie eine Weile: dann verſchwinden
ſie: wahrſcheinlich ſind ſie den unbarmherzigen Jaͤgern in
die Netze gerathen. Andere hielten ſich ſtill. Die Herzo-
gin von Ferrara, welche, wenn es kein ſaliſches Geſetz
gegeben haͤtte, Erbin von Frankreich geweſen waͤre, ward
durch Geburt und hohen Rang nicht beſchuͤtzt. Ihr Ge-
mahl war ſelbſt ihr Gegner. „Sie ſieht Niemand“, ſagt
Marot, „gegen den ſie ſich beklagen koͤnnte: die Berge ſind

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0239" n="213"/>
          <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Inqui&#x017F;ition</hi>.</fw><lb/>
          <p>Und &#x017F;o wurden die Regungen abweichender Religions-<lb/>
meinungen in Italien mit Gewalt er&#x017F;tickt und vernichtet.<lb/>
Fa&#x017F;t der ganze Orden der Franciscaner wurde zu Retracta-<lb/>
tionen geno&#x0364;thigt. Der gro&#x0364;ßte Theil der Anha&#x0364;nger des<lb/>
Valdez bequemte &#x017F;ich zu widerrufen. In Venedig ließ man<lb/>
den Fremden, den Deut&#x017F;chen, die &#x017F;ich des Handels oder<lb/>
der Studien halber eingefunden hatten, eine gewi&#x017F;&#x017F;e Freiheit;<lb/>
die Einheimi&#x017F;chen dagegen wurden geno&#x0364;thigt, ihre Mei-<lb/>
nungen abzu&#x017F;chwo&#x0364;ren: ihre Zu&#x017F;ammenku&#x0364;nfte wurden zer-<lb/>
&#x017F;to&#x0364;rt. Viele flu&#x0364;chteten; in allen Sta&#x0364;dten in Deut&#x017F;chland<lb/>
und der Schweiz begegnen wir die&#x017F;en Flu&#x0364;chtlingen. Diejeni-<lb/>
gen, die weder nachgeben wollten noch zu entfliehen wuß-<lb/>
ten, verfielen der Strafe. In Venedig wurden &#x017F;ie mit<lb/>
zwei Barken aus den Lagunen hinaus in das Meer<lb/>
ge&#x017F;chickt. Man legte ein Brett zwi&#x017F;chen die Barken, und<lb/>
&#x017F;etzte die Verurtheilten darauf; in gleichem Augenblick fuh-<lb/>
ren die Ruderer auseinander; das Brett &#x017F;tu&#x0364;rzte in die<lb/>
Fluth: noch einmal riefen die Unglu&#x0364;cklichen den Namen<lb/>
Chri&#x017F;ti aus und &#x017F;anken unter. In Rom hielt man<lb/>
vor San Maria alla Minerva die Autodafe&#x2019;s in aller<lb/>
Form. Mancher floh von Ort zu Ort mit Weib und<lb/>
Kind. Wir begleiten &#x017F;ie eine Weile: dann ver&#x017F;chwinden<lb/>
&#x017F;ie: wahr&#x017F;cheinlich &#x017F;ind &#x017F;ie den unbarmherzigen Ja&#x0364;gern in<lb/>
die Netze gerathen. Andere hielten &#x017F;ich &#x017F;till. Die Herzo-<lb/>
gin von Ferrara, welche, wenn es kein &#x017F;ali&#x017F;ches Ge&#x017F;etz<lb/>
gegeben ha&#x0364;tte, Erbin von Frankreich gewe&#x017F;en wa&#x0364;re, ward<lb/>
durch Geburt und hohen Rang nicht be&#x017F;chu&#x0364;tzt. Ihr Ge-<lb/>
mahl war &#x017F;elb&#x017F;t ihr Gegner. &#x201E;Sie &#x017F;ieht Niemand&#x201C;, &#x017F;agt<lb/>
Marot, &#x201E;gegen den &#x017F;ie &#x017F;ich beklagen ko&#x0364;nnte: die Berge &#x017F;ind<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0239] Inquiſition. Und ſo wurden die Regungen abweichender Religions- meinungen in Italien mit Gewalt erſtickt und vernichtet. Faſt der ganze Orden der Franciscaner wurde zu Retracta- tionen genoͤthigt. Der groͤßte Theil der Anhaͤnger des Valdez bequemte ſich zu widerrufen. In Venedig ließ man den Fremden, den Deutſchen, die ſich des Handels oder der Studien halber eingefunden hatten, eine gewiſſe Freiheit; die Einheimiſchen dagegen wurden genoͤthigt, ihre Mei- nungen abzuſchwoͤren: ihre Zuſammenkuͤnfte wurden zer- ſtoͤrt. Viele fluͤchteten; in allen Staͤdten in Deutſchland und der Schweiz begegnen wir dieſen Fluͤchtlingen. Diejeni- gen, die weder nachgeben wollten noch zu entfliehen wuß- ten, verfielen der Strafe. In Venedig wurden ſie mit zwei Barken aus den Lagunen hinaus in das Meer geſchickt. Man legte ein Brett zwiſchen die Barken, und ſetzte die Verurtheilten darauf; in gleichem Augenblick fuh- ren die Ruderer auseinander; das Brett ſtuͤrzte in die Fluth: noch einmal riefen die Ungluͤcklichen den Namen Chriſti aus und ſanken unter. In Rom hielt man vor San Maria alla Minerva die Autodafe’s in aller Form. Mancher floh von Ort zu Ort mit Weib und Kind. Wir begleiten ſie eine Weile: dann verſchwinden ſie: wahrſcheinlich ſind ſie den unbarmherzigen Jaͤgern in die Netze gerathen. Andere hielten ſich ſtill. Die Herzo- gin von Ferrara, welche, wenn es kein ſaliſches Geſetz gegeben haͤtte, Erbin von Frankreich geweſen waͤre, ward durch Geburt und hohen Rang nicht beſchuͤtzt. Ihr Ge- mahl war ſelbſt ihr Gegner. „Sie ſieht Niemand“, ſagt Marot, „gegen den ſie ſich beklagen koͤnnte: die Berge ſind

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/239
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/239>, abgerufen am 22.11.2024.