Linie von Sachsen, eine Linie von Braunschweig, die Pfalz folgten in Kurzem nach. Binnen wenigen Jahren breitete sich die Reformation der Kirche über das gesammte nie- dere Deutschland aus, und setzte sich in dem oberen auf immer fest.
Und um eine Unternehmung, die dahin führte, die den begonnenen Abfall so unermeßlich beförderte, hatte Papst Clemens gewußt, er hatte sie vielleicht gebilligt.
Das Papstthum war durchaus in einer falschen un- haltbaren Position. Seine weltlichen Tendenzen hatten ihm einen Verfall hervorgerufen, aus dem ihm unzählige Wi- dersacher und Abtrünnige entsprangen: aber die Fort- setzung derselben, die fernere Verflechtung geistlicher und weltlicher Interessen richtete es vollends zu Grunde.
Auch das Schisma von England unter Heinrich VIII. hängt doch wesentlich hiervon ab.
Es ist sehr bemerkenswerth, daß Clemens VII. dem König von England mehr als irgend einem andern Für- sten persönlich zugethan war 1). Er hatte guten Grund dazu: als er sich von Jedermann verlassen, in dem Castell eingeschlossen sah, hatte Heinrich VIII. Mittel gefunden, ihm eine Unterstützung zukommen zu lassen. Auch ist nicht zu leugnen, daß der Papst dem König noch im Jahre 1528 eine günstige Erledigung seiner Ehescheidungssache, wenn nicht zusagte, doch möglich erscheinen ließ, "sobald nur
1)Contarini: Relatione di 1530 versichert das ausdrücklich. Auch Soriano 1533 sagt: Anglia S. Santita ama et era conjun- c[l]issimo prima. Die Absicht des Königs, sich scheiden zu lassen, erklärt er ohne weiteres für eine "pazzia."
Kap. III.Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
Linie von Sachſen, eine Linie von Braunſchweig, die Pfalz folgten in Kurzem nach. Binnen wenigen Jahren breitete ſich die Reformation der Kirche uͤber das geſammte nie- dere Deutſchland aus, und ſetzte ſich in dem oberen auf immer feſt.
Und um eine Unternehmung, die dahin fuͤhrte, die den begonnenen Abfall ſo unermeßlich befoͤrderte, hatte Papſt Clemens gewußt, er hatte ſie vielleicht gebilligt.
Das Papſtthum war durchaus in einer falſchen un- haltbaren Poſition. Seine weltlichen Tendenzen hatten ihm einen Verfall hervorgerufen, aus dem ihm unzaͤhlige Wi- derſacher und Abtruͤnnige entſprangen: aber die Fort- ſetzung derſelben, die fernere Verflechtung geiſtlicher und weltlicher Intereſſen richtete es vollends zu Grunde.
Auch das Schisma von England unter Heinrich VIII. haͤngt doch weſentlich hiervon ab.
Es iſt ſehr bemerkenswerth, daß Clemens VII. dem Koͤnig von England mehr als irgend einem andern Fuͤr- ſten perſoͤnlich zugethan war 1). Er hatte guten Grund dazu: als er ſich von Jedermann verlaſſen, in dem Caſtell eingeſchloſſen ſah, hatte Heinrich VIII. Mittel gefunden, ihm eine Unterſtuͤtzung zukommen zu laſſen. Auch iſt nicht zu leugnen, daß der Papſt dem Koͤnig noch im Jahre 1528 eine guͤnſtige Erledigung ſeiner Eheſcheidungsſache, wenn nicht zuſagte, doch moͤglich erſcheinen ließ, „ſobald nur
1)Contarini: Relatione di 1530 verſichert das ausdruͤcklich. Auch Soriano 1533 ſagt: Anglia S. Santità ama et era conjun- c[l]issimo prima. Die Abſicht des Koͤnigs, ſich ſcheiden zu laſſen, erklaͤrt er ohne weiteres fuͤr eine „pazzia.“
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Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
Linie von Sachſen, eine Linie von Braunſchweig, die Pfalz
folgten in Kurzem nach. Binnen wenigen Jahren breitete
ſich die Reformation der Kirche uͤber das geſammte nie-
dere Deutſchland aus, und ſetzte ſich in dem oberen auf
immer feſt.
Und um eine Unternehmung, die dahin fuͤhrte, die
den begonnenen Abfall ſo unermeßlich befoͤrderte, hatte
Papſt Clemens gewußt, er hatte ſie vielleicht gebilligt.
Das Papſtthum war durchaus in einer falſchen un-
haltbaren Poſition. Seine weltlichen Tendenzen hatten ihm
einen Verfall hervorgerufen, aus dem ihm unzaͤhlige Wi-
derſacher und Abtruͤnnige entſprangen: aber die Fort-
ſetzung derſelben, die fernere Verflechtung geiſtlicher und
weltlicher Intereſſen richtete es vollends zu Grunde.
Auch das Schisma von England unter Heinrich VIII.
haͤngt doch weſentlich hiervon ab.
Es iſt ſehr bemerkenswerth, daß Clemens VII. dem
Koͤnig von England mehr als irgend einem andern Fuͤr-
ſten perſoͤnlich zugethan war 1). Er hatte guten Grund
dazu: als er ſich von Jedermann verlaſſen, in dem Caſtell
eingeſchloſſen ſah, hatte Heinrich VIII. Mittel gefunden,
ihm eine Unterſtuͤtzung zukommen zu laſſen. Auch iſt nicht
zu leugnen, daß der Papſt dem Koͤnig noch im Jahre 1528
eine guͤnſtige Erledigung ſeiner Eheſcheidungsſache, wenn
nicht zuſagte, doch moͤglich erſcheinen ließ, „ſobald nur
1) Contarini: Relatione di 1530 verſichert das ausdruͤcklich.
Auch Soriano 1533 ſagt: Anglia S. Santità ama et era conjun-
clissimo prima. Die Abſicht des Koͤnigs, ſich ſcheiden zu laſſen,
erklaͤrt er ohne weiteres fuͤr eine „pazzia.“
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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/150>, abgerufen am 26.07.2024.
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