Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Kap. III. Politisch-kirchliche Verwickelungen.
Ruf; rechtschaffen, fromm, thätig; sehr ernsthaft, man sah
ihn nie anders als leise mit den Lippen lächeln: aber voll
wohlwollender, reiner Absichten: ein wahrer Geistlicher 1).
Welch ein Gegensatz, als er nun dort einzog, wo Leo so
prächtig und verschwenderisch Hof gehalten. Es existirt
ein Brief von ihm, in welchem er sagt: er möchte lieber
in seiner Probstei zu Löwen Gott dienen, als Papst seyn 2).
In dem Vatican setzte er in der That sein Professorenleben
fort. Es bezeichnet ihn und man erlaube es uns anzu-
führen, daß er sich sogar seine alte Aufwärterin mitge-
bracht hatte, die ihm, nach wie vor, seine häuslichen Be-
dürfnisse besorgte. Auch in seiner sonstigen Lebensweise
änderte er nichts. Mit dem frühesten Morgen stand er
auf: las seine Messe: und ging dann in der gewohnten
Ordnung an seine Geschäfte, seine Studien, die er nur mit
dem einfachsten Mittagsmahl unterbrach. Man kann nicht
sagen, daß ihm die Bildung seines Jahrhunderts fremd
gewesen sey; er liebte die niederländische Kunst, und schätzte
an der Gelehrsamkeit einen Anflug von Eleganz. Erasmus

1) Literae ex Victorial directivae ad Cardinalem de Flisco
-- in dem 33sten Bande des Sanuto schildern ihn folgendermaßen.
Vir est sui tenax, in concedendo parcissimus: in recipiendo
nullus aut rarissimus. In sacrificio cotidianus et matutinus est.
Quem amet aut si quem amet nulli exploratum. Ira non agitur,
jocis non ducitur. Neque ob pontificatum visus est exultasse,
quin constat graviter illum ad ejus famam nuntii ingemuisse.

In der Sammlung von Burmann steht ein Itinerarium Adriani
von Ortiz, der den Papst begleitete und genau kannte. Er versi-
sichert p. 223 nie etwas Tadelnswerthes an ihm bemerkt zu haben.
Ein Spiegel aller Tugenden sey er gewesen.
2) An Florenz Oem Wyngaerden: Vittoria 15. Febr. 1522
bei Burmann p. 398.

Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.
Ruf; rechtſchaffen, fromm, thaͤtig; ſehr ernſthaft, man ſah
ihn nie anders als leiſe mit den Lippen laͤcheln: aber voll
wohlwollender, reiner Abſichten: ein wahrer Geiſtlicher 1).
Welch ein Gegenſatz, als er nun dort einzog, wo Leo ſo
praͤchtig und verſchwenderiſch Hof gehalten. Es exiſtirt
ein Brief von ihm, in welchem er ſagt: er moͤchte lieber
in ſeiner Probſtei zu Loͤwen Gott dienen, als Papſt ſeyn 2).
In dem Vatican ſetzte er in der That ſein Profeſſorenleben
fort. Es bezeichnet ihn und man erlaube es uns anzu-
fuͤhren, daß er ſich ſogar ſeine alte Aufwaͤrterin mitge-
bracht hatte, die ihm, nach wie vor, ſeine haͤuslichen Be-
duͤrfniſſe beſorgte. Auch in ſeiner ſonſtigen Lebensweiſe
aͤnderte er nichts. Mit dem fruͤheſten Morgen ſtand er
auf: las ſeine Meſſe: und ging dann in der gewohnten
Ordnung an ſeine Geſchaͤfte, ſeine Studien, die er nur mit
dem einfachſten Mittagsmahl unterbrach. Man kann nicht
ſagen, daß ihm die Bildung ſeines Jahrhunderts fremd
geweſen ſey; er liebte die niederlaͤndiſche Kunſt, und ſchaͤtzte
an der Gelehrſamkeit einen Anflug von Eleganz. Erasmus

1) Literae ex Victorial directivae ad Cardinalem de Flisco
— in dem 33ſten Bande des Sanuto ſchildern ihn folgendermaßen.
Vir est sui tenax, in concedendo parcissimus: in recipiendo
nullus aut rarissimus. In sacrificio cotidianus et matutinus est.
Quem amet aut si quem amet nulli exploratum. Ira non agitur,
jocis non ducitur. Neque ob pontificatum visus est exultasse,
quin constat graviter illum ad ejus famam nuntii ingemuisse.

In der Sammlung von Burmann ſteht ein Itinerarium Adriani
von Ortiz, der den Papſt begleitete und genau kannte. Er verſi-
ſichert p. 223 nie etwas Tadelnswerthes an ihm bemerkt zu haben.
Ein Spiegel aller Tugenden ſey er geweſen.
2) An Florenz Oem Wyngaerden: Vittoria 15. Febr. 1522
bei Burmann p. 398.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0118" n="92"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Kap</hi>. <hi rendition="#aq">III.</hi><hi rendition="#g">Politi&#x017F;ch-kirchliche Verwickelungen</hi>.</fw><lb/>
Ruf; recht&#x017F;chaffen, fromm, tha&#x0364;tig; &#x017F;ehr ern&#x017F;thaft, man &#x017F;ah<lb/>
ihn nie anders als lei&#x017F;e mit den Lippen la&#x0364;cheln: aber voll<lb/>
wohlwollender, reiner Ab&#x017F;ichten: ein wahrer Gei&#x017F;tlicher <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Literae ex Victorial directivae ad Cardinalem de Flisco</hi><lb/>
&#x2014; in dem 33&#x017F;ten Bande des Sanuto &#x017F;childern ihn folgendermaßen.<lb/><hi rendition="#aq">Vir est sui tenax, in concedendo parcissimus: in recipiendo<lb/>
nullus aut rarissimus. In sacrificio cotidianus et matutinus est.<lb/>
Quem amet aut si quem amet nulli exploratum. Ira non agitur,<lb/>
jocis non ducitur. Neque ob pontificatum visus est exultasse,<lb/>
quin constat graviter illum ad ejus famam nuntii ingemuisse.</hi><lb/>
In der Sammlung von Burmann &#x017F;teht ein <hi rendition="#aq">Itinerarium Adriani</hi><lb/>
von Ortiz, der den Pap&#x017F;t begleitete und genau kannte. Er ver&#x017F;i-<lb/>
&#x017F;ichert <hi rendition="#aq">p.</hi> 223 nie etwas Tadelnswerthes an ihm bemerkt zu haben.<lb/>
Ein Spiegel aller Tugenden &#x017F;ey er gewe&#x017F;en.</note>.<lb/>
Welch ein Gegen&#x017F;atz, als er nun dort einzog, wo Leo &#x017F;o<lb/>
pra&#x0364;chtig und ver&#x017F;chwenderi&#x017F;ch Hof gehalten. Es exi&#x017F;tirt<lb/>
ein Brief von ihm, in welchem er &#x017F;agt: er mo&#x0364;chte lieber<lb/>
in &#x017F;einer Prob&#x017F;tei zu Lo&#x0364;wen Gott dienen, als Pap&#x017F;t &#x017F;eyn <note place="foot" n="2)">An Florenz Oem Wyngaerden: Vittoria 15. Febr. 1522<lb/>
bei Burmann <hi rendition="#aq">p.</hi> 398.</note>.<lb/>
In dem Vatican &#x017F;etzte er in der That &#x017F;ein Profe&#x017F;&#x017F;orenleben<lb/>
fort. Es bezeichnet ihn und man erlaube es uns anzu-<lb/>
fu&#x0364;hren, daß er &#x017F;ich &#x017F;ogar &#x017F;eine alte Aufwa&#x0364;rterin mitge-<lb/>
bracht hatte, die ihm, nach wie vor, &#x017F;eine ha&#x0364;uslichen Be-<lb/>
du&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e be&#x017F;orgte. Auch in &#x017F;einer &#x017F;on&#x017F;tigen Lebenswei&#x017F;e<lb/>
a&#x0364;nderte er nichts. Mit dem fru&#x0364;he&#x017F;ten Morgen &#x017F;tand er<lb/>
auf: las &#x017F;eine Me&#x017F;&#x017F;e: und ging dann in der gewohnten<lb/>
Ordnung an &#x017F;eine Ge&#x017F;cha&#x0364;fte, &#x017F;eine Studien, die er nur mit<lb/>
dem einfach&#x017F;ten Mittagsmahl unterbrach. Man kann nicht<lb/>
&#x017F;agen, daß ihm die Bildung &#x017F;eines Jahrhunderts fremd<lb/>
gewe&#x017F;en &#x017F;ey; er liebte die niederla&#x0364;ndi&#x017F;che Kun&#x017F;t, und &#x017F;cha&#x0364;tzte<lb/>
an der Gelehr&#x017F;amkeit einen Anflug von Eleganz. Erasmus<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0118] Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen. Ruf; rechtſchaffen, fromm, thaͤtig; ſehr ernſthaft, man ſah ihn nie anders als leiſe mit den Lippen laͤcheln: aber voll wohlwollender, reiner Abſichten: ein wahrer Geiſtlicher 1). Welch ein Gegenſatz, als er nun dort einzog, wo Leo ſo praͤchtig und verſchwenderiſch Hof gehalten. Es exiſtirt ein Brief von ihm, in welchem er ſagt: er moͤchte lieber in ſeiner Probſtei zu Loͤwen Gott dienen, als Papſt ſeyn 2). In dem Vatican ſetzte er in der That ſein Profeſſorenleben fort. Es bezeichnet ihn und man erlaube es uns anzu- fuͤhren, daß er ſich ſogar ſeine alte Aufwaͤrterin mitge- bracht hatte, die ihm, nach wie vor, ſeine haͤuslichen Be- duͤrfniſſe beſorgte. Auch in ſeiner ſonſtigen Lebensweiſe aͤnderte er nichts. Mit dem fruͤheſten Morgen ſtand er auf: las ſeine Meſſe: und ging dann in der gewohnten Ordnung an ſeine Geſchaͤfte, ſeine Studien, die er nur mit dem einfachſten Mittagsmahl unterbrach. Man kann nicht ſagen, daß ihm die Bildung ſeines Jahrhunderts fremd geweſen ſey; er liebte die niederlaͤndiſche Kunſt, und ſchaͤtzte an der Gelehrſamkeit einen Anflug von Eleganz. Erasmus 1) Literae ex Victorial directivae ad Cardinalem de Flisco — in dem 33ſten Bande des Sanuto ſchildern ihn folgendermaßen. Vir est sui tenax, in concedendo parcissimus: in recipiendo nullus aut rarissimus. In sacrificio cotidianus et matutinus est. Quem amet aut si quem amet nulli exploratum. Ira non agitur, jocis non ducitur. Neque ob pontificatum visus est exultasse, quin constat graviter illum ad ejus famam nuntii ingemuisse. In der Sammlung von Burmann ſteht ein Itinerarium Adriani von Ortiz, der den Papſt begleitete und genau kannte. Er verſi- ſichert p. 223 nie etwas Tadelnswerthes an ihm bemerkt zu haben. Ein Spiegel aller Tugenden ſey er geweſen. 2) An Florenz Oem Wyngaerden: Vittoria 15. Febr. 1522 bei Burmann p. 398.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/118
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/118>, abgerufen am 12.12.2024.