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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

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hinreichender Zwangsmittel dem moralischen Gefühle eines Jeden überlassen bleiben muß, da pflegt zwar der große Haufe oft dagegen zu fehlen, aber die Wenigen, welche seine innere Stimme hören, sind um so gewissenhafter in ihrer Befolgung, werfen eine größere Verachtung auf diejenigen, die ihr zuwider handeln, und suchen durch eine ängstliche Aufmerksamkeit auf ihre Handlungen den Verdacht der Unredlichkeit, bis auf den geringsten Schatten, zu entfernen. Daher die spitzfindige Gewissenhaftigkeit der Edlen der damahligen Zeit, gewisse Pflichten der Ehre und des Biedersinns gegen den Lehnsherrn und Waffenbruder zu beobachten, während daß sie andere, durch Gesetze verpoente Verbrechen, ohne Scham und innern Vorwurf begingen. Daher aber auch die repräsentierende Anmaßung, mit der sie Tugenden, die von ihrer Willkühr abzuhängen schienen, in Worten, Geberden und Handlungen äußerten.

Die Pflichten gegen die örtliche Gesellschaft, die Regeln des Betragens im geselligen Umgange, konnten keine große Bestimmtheit, Leichtigkeit und Ungezwungenheit bey der Ausübung in Ländern erhalten, wo alle Einwohner entweder sehr reich, oder ganz arm waren: wo die Vornehmern den größten Theil ihres Lebens auf ihren weit aus einander liegenden Burgschlössern, oder auf Kriegszügen zubrachten, und die Städter ihre Bestimmung auf die Vertheidigung ihrer Mauern, oder auf den Handel, oder auf Handwerke beschränkten. Die Urbanität, das städtische Wesen der Alten, verschwand, und ward zur Courteoisie, zur höfischen Sitte. Diese war steif, abgemessen, übertrieben in Geberden und Worten. Achtung

hinreichender Zwangsmittel dem moralischen Gefühle eines Jeden überlassen bleiben muß, da pflegt zwar der große Haufe oft dagegen zu fehlen, aber die Wenigen, welche seine innere Stimme hören, sind um so gewissenhafter in ihrer Befolgung, werfen eine größere Verachtung auf diejenigen, die ihr zuwider handeln, und suchen durch eine ängstliche Aufmerksamkeit auf ihre Handlungen den Verdacht der Unredlichkeit, bis auf den geringsten Schatten, zu entfernen. Daher die spitzfindige Gewissenhaftigkeit der Edlen der damahligen Zeit, gewisse Pflichten der Ehre und des Biedersinns gegen den Lehnsherrn und Waffenbruder zu beobachten, während daß sie andere, durch Gesetze verpoente Verbrechen, ohne Scham und innern Vorwurf begingen. Daher aber auch die repräsentierende Anmaßung, mit der sie Tugenden, die von ihrer Willkühr abzuhängen schienen, in Worten, Geberden und Handlungen äußerten.

Die Pflichten gegen die örtliche Gesellschaft, die Regeln des Betragens im geselligen Umgange, konnten keine große Bestimmtheit, Leichtigkeit und Ungezwungenheit bey der Ausübung in Ländern erhalten, wo alle Einwohner entweder sehr reich, oder ganz arm waren: wo die Vornehmern den größten Theil ihres Lebens auf ihren weit aus einander liegenden Burgschlössern, oder auf Kriegszügen zubrachten, und die Städter ihre Bestimmung auf die Vertheidigung ihrer Mauern, oder auf den Handel, oder auf Handwerke beschränkten. Die Urbanität, das städtische Wesen der Alten, verschwand, und ward zur Courteoisie, zur höfischen Sitte. Diese war steif, abgemessen, übertrieben in Geberden und Worten. Achtung

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hinreichender Zwangsmittel dem moralischen Gefühle eines Jeden überlassen bleiben muß, da pflegt zwar der große Haufe oft dagegen zu fehlen, aber die Wenigen, welche seine innere Stimme hören, sind um so gewissenhafter in ihrer Befolgung, werfen eine größere Verachtung auf diejenigen, die ihr zuwider handeln, und suchen durch eine ängstliche Aufmerksamkeit auf ihre Handlungen den Verdacht der Unredlichkeit, bis auf den geringsten Schatten, zu entfernen. Daher die spitzfindige Gewissenhaftigkeit der Edlen der damahligen Zeit, gewisse Pflichten der Ehre und des Biedersinns gegen den Lehnsherrn und Waffenbruder zu beobachten, während daß sie andere, durch Gesetze verpoente Verbrechen, ohne Scham und innern Vorwurf begingen. Daher aber auch die repräsentierende Anmaßung, mit der sie Tugenden, die von ihrer Willkühr abzuhängen schienen, in Worten, Geberden und Handlungen äußerten.</p>
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[62/0062] hinreichender Zwangsmittel dem moralischen Gefühle eines Jeden überlassen bleiben muß, da pflegt zwar der große Haufe oft dagegen zu fehlen, aber die Wenigen, welche seine innere Stimme hören, sind um so gewissenhafter in ihrer Befolgung, werfen eine größere Verachtung auf diejenigen, die ihr zuwider handeln, und suchen durch eine ängstliche Aufmerksamkeit auf ihre Handlungen den Verdacht der Unredlichkeit, bis auf den geringsten Schatten, zu entfernen. Daher die spitzfindige Gewissenhaftigkeit der Edlen der damahligen Zeit, gewisse Pflichten der Ehre und des Biedersinns gegen den Lehnsherrn und Waffenbruder zu beobachten, während daß sie andere, durch Gesetze verpoente Verbrechen, ohne Scham und innern Vorwurf begingen. Daher aber auch die repräsentierende Anmaßung, mit der sie Tugenden, die von ihrer Willkühr abzuhängen schienen, in Worten, Geberden und Handlungen äußerten. Die Pflichten gegen die örtliche Gesellschaft, die Regeln des Betragens im geselligen Umgange, konnten keine große Bestimmtheit, Leichtigkeit und Ungezwungenheit bey der Ausübung in Ländern erhalten, wo alle Einwohner entweder sehr reich, oder ganz arm waren: wo die Vornehmern den größten Theil ihres Lebens auf ihren weit aus einander liegenden Burgschlössern, oder auf Kriegszügen zubrachten, und die Städter ihre Bestimmung auf die Vertheidigung ihrer Mauern, oder auf den Handel, oder auf Handwerke beschränkten. Die Urbanität, das städtische Wesen der Alten, verschwand, und ward zur Courteoisie, zur höfischen Sitte. Diese war steif, abgemessen, übertrieben in Geberden und Worten. Achtung

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/62>, abgerufen am 26.11.2024.