Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.Theil aus dem heidnischen Ritus aufgenommen, zum Theil aus den Gebräuchen der orientalischen Kirche entlehnt waren. Jene hatten ihre ursprüngliche Bedeutung verloren, und ließen daher der Imagination freyes Spiel, ihr Mythen von eigener Erfindung unterzulegen: diese trugen sofort den Stempel excentrischer Schwärmerey der morgenländischen Phantasie an sich. Der Heilige der damahligen Zeiten war derjenige, der sich unter dem unmittelbaren Schutze der Gottheit, unter ihrer besondern Leitung befand, und gleichsam von ihr begeistert ward: der Gottgeweihete, der Inspirierte. Aberglauben und Andächteley waren die einzigen Mittel, diesen Vorzug zu erwerben. Was opferte man nicht auf, um sich dem Himmel angenehm zu machen! Welche Gefahren konnte man fürchten, welche Mühseligkeiten scheuen, welchen Verlust an Gut und Blut bedauern, um dahin zu gelangen! Nein! um Gottes Auserwählter zu seyn, bekämpfte man Ungläubige und Ketzer, wallfahrtete ins gelobte Land, verschenkte seine Güter an die Kirche, und endigte sein Leben unter Bußübungen und Enthaltsamkeit von Allem, was den Sinnen schmeichelt! Aber dann machte man auch diesen Vorzug vor seinen Brüdern geltend, und die theuer erkaufte Eitelkeit, der Liebling des Himmels zu seyn, fand auf dieser Erde bereits einen Vorschmack der Seeligkeit in der Erhebung über den größern Haufen durch sinnliche Zeichen der Absonderung von den übrigen Mitgliedern der Kirche. Daher die eigenthümlichen Trachten gewisser Orden: daher die dem Körper eingeprägten Merkmahle der Gottesweihe! So stand es mit dem Begriffe von den Pflichten des Menschen in seinen Verhältnissen gegen das höchste Theil aus dem heidnischen Ritus aufgenommen, zum Theil aus den Gebräuchen der orientalischen Kirche entlehnt waren. Jene hatten ihre ursprüngliche Bedeutung verloren, und ließen daher der Imagination freyes Spiel, ihr Mythen von eigener Erfindung unterzulegen: diese trugen sofort den Stempel excentrischer Schwärmerey der morgenländischen Phantasie an sich. Der Heilige der damahligen Zeiten war derjenige, der sich unter dem unmittelbaren Schutze der Gottheit, unter ihrer besondern Leitung befand, und gleichsam von ihr begeistert ward: der Gottgeweihete, der Inspirierte. Aberglauben und Andächteley waren die einzigen Mittel, diesen Vorzug zu erwerben. Was opferte man nicht auf, um sich dem Himmel angenehm zu machen! Welche Gefahren konnte man fürchten, welche Mühseligkeiten scheuen, welchen Verlust an Gut und Blut bedauern, um dahin zu gelangen! Nein! um Gottes Auserwählter zu seyn, bekämpfte man Ungläubige und Ketzer, wallfahrtete ins gelobte Land, verschenkte seine Güter an die Kirche, und endigte sein Leben unter Bußübungen und Enthaltsamkeit von Allem, was den Sinnen schmeichelt! Aber dann machte man auch diesen Vorzug vor seinen Brüdern geltend, und die theuer erkaufte Eitelkeit, der Liebling des Himmels zu seyn, fand auf dieser Erde bereits einen Vorschmack der Seeligkeit in der Erhebung über den größern Haufen durch sinnliche Zeichen der Absonderung von den übrigen Mitgliedern der Kirche. Daher die eigenthümlichen Trachten gewisser Orden: daher die dem Körper eingeprägten Merkmahle der Gottesweihe! So stand es mit dem Begriffe von den Pflichten des Menschen in seinen Verhältnissen gegen das höchste <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0060" n="60"/> Theil aus dem heidnischen Ritus aufgenommen, zum Theil aus den Gebräuchen der orientalischen Kirche entlehnt waren. Jene hatten ihre ursprüngliche Bedeutung verloren, und ließen daher der Imagination freyes Spiel, ihr Mythen von eigener Erfindung unterzulegen: diese trugen sofort den Stempel excentrischer Schwärmerey der morgenländischen Phantasie an sich.</p> <p>Der Heilige der damahligen Zeiten war derjenige, der sich unter dem unmittelbaren Schutze der Gottheit, unter ihrer besondern Leitung befand, und gleichsam von ihr begeistert ward: der Gottgeweihete, der Inspirierte. Aberglauben und Andächteley waren die einzigen Mittel, diesen Vorzug zu erwerben. Was opferte man nicht auf, um sich dem Himmel angenehm zu machen! Welche Gefahren konnte man fürchten, welche Mühseligkeiten scheuen, welchen Verlust an Gut und Blut bedauern, um dahin zu gelangen! Nein! um Gottes Auserwählter zu seyn, bekämpfte man Ungläubige und Ketzer, wallfahrtete ins gelobte Land, verschenkte seine Güter an die Kirche, und endigte sein Leben unter Bußübungen und Enthaltsamkeit von Allem, was den Sinnen schmeichelt! Aber dann machte man auch diesen Vorzug vor seinen Brüdern geltend, und die theuer erkaufte Eitelkeit, der Liebling des Himmels zu seyn, fand auf dieser Erde bereits einen Vorschmack der Seeligkeit in der Erhebung über den größern Haufen durch sinnliche Zeichen der Absonderung von den übrigen Mitgliedern der Kirche. Daher die eigenthümlichen Trachten gewisser Orden: daher die dem Körper eingeprägten Merkmahle der Gottesweihe!</p> <p>So stand es mit dem Begriffe von den Pflichten des Menschen in seinen Verhältnissen gegen das höchste </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [60/0060]
Theil aus dem heidnischen Ritus aufgenommen, zum Theil aus den Gebräuchen der orientalischen Kirche entlehnt waren. Jene hatten ihre ursprüngliche Bedeutung verloren, und ließen daher der Imagination freyes Spiel, ihr Mythen von eigener Erfindung unterzulegen: diese trugen sofort den Stempel excentrischer Schwärmerey der morgenländischen Phantasie an sich.
Der Heilige der damahligen Zeiten war derjenige, der sich unter dem unmittelbaren Schutze der Gottheit, unter ihrer besondern Leitung befand, und gleichsam von ihr begeistert ward: der Gottgeweihete, der Inspirierte. Aberglauben und Andächteley waren die einzigen Mittel, diesen Vorzug zu erwerben. Was opferte man nicht auf, um sich dem Himmel angenehm zu machen! Welche Gefahren konnte man fürchten, welche Mühseligkeiten scheuen, welchen Verlust an Gut und Blut bedauern, um dahin zu gelangen! Nein! um Gottes Auserwählter zu seyn, bekämpfte man Ungläubige und Ketzer, wallfahrtete ins gelobte Land, verschenkte seine Güter an die Kirche, und endigte sein Leben unter Bußübungen und Enthaltsamkeit von Allem, was den Sinnen schmeichelt! Aber dann machte man auch diesen Vorzug vor seinen Brüdern geltend, und die theuer erkaufte Eitelkeit, der Liebling des Himmels zu seyn, fand auf dieser Erde bereits einen Vorschmack der Seeligkeit in der Erhebung über den größern Haufen durch sinnliche Zeichen der Absonderung von den übrigen Mitgliedern der Kirche. Daher die eigenthümlichen Trachten gewisser Orden: daher die dem Körper eingeprägten Merkmahle der Gottesweihe!
So stand es mit dem Begriffe von den Pflichten des Menschen in seinen Verhältnissen gegen das höchste
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