Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.einen gewissen Herrn gerichtete Frage: wer die Dame sey, die ich ihm in der Gesellschaft bezeichnete, die Antwort erhalten: Ich habe die Ehre, ihr zu dienen! 9) Nicht anders, wie bey uns ein Gatte sagen würde: sie ist meine Frau! Sobald die Dame des Morgens sichtbar ist, findet sich der Cicisbeo bey ihr ein: ihr Zimmer ist ihm zu jeder Stunde des Tages offen: er begleitet sie des Morgens zur Kirche, des Nachmittags auf den Corso, und des Abends ins Schauspielhaus, wo er in ihrer Loge den Platz gegen ihr über einnimmt, und die Honneurs bey den Besuchen macht, die ihr in den Zwischenakten gegeben werden. Endlich folgt er ihr gegen die Nacht in die Konversationen, wo er der Regel nach nicht von ihrem Platze weicht. In Venedig ruht er an ihrer Seite in der Gondel, deren Gardinen zugezogen sind, und folgt ihr in die Casinos und Kaffeehäuser. Kurz! Ueberall ist er ihr Schatten! Was hat dieser Sitte ihre Entstehung geben können? Sie ist ein Ueberbleibsel der alten Galanterie, die nach und nach durch den französischen Ton eines freyeren Umgangs zwischen beyden Geschlechtern besonders modificiert, unterstützt von dem Glauben an die Beschränkung der Liebe auf einen bloß geistigen Genuß, die Gestalt einer engeren Vereinigung angenommen hat. Sie verdankt ihre Ausbreitung dem Charakter der Südländer, der geselligen Einrichtung der Italiäner, und der politischen Verfassung einiger ihrer Staaten. Jene alte Galanterie der vorigen Jahrhunderte erlaubte die öffentlichen Beweise der Achtung, welche 9) Jo ho l'onore di sevirla.
einen gewissen Herrn gerichtete Frage: wer die Dame sey, die ich ihm in der Gesellschaft bezeichnete, die Antwort erhalten: Ich habe die Ehre, ihr zu dienen! 9) Nicht anders, wie bey uns ein Gatte sagen würde: sie ist meine Frau! Sobald die Dame des Morgens sichtbar ist, findet sich der Cicisbeo bey ihr ein: ihr Zimmer ist ihm zu jeder Stunde des Tages offen: er begleitet sie des Morgens zur Kirche, des Nachmittags auf den Corso, und des Abends ins Schauspielhaus, wo er in ihrer Loge den Platz gegen ihr über einnimmt, und die Honneurs bey den Besuchen macht, die ihr in den Zwischenakten gegeben werden. Endlich folgt er ihr gegen die Nacht in die Konversationen, wo er der Regel nach nicht von ihrem Platze weicht. In Venedig ruht er an ihrer Seite in der Gondel, deren Gardinen zugezogen sind, und folgt ihr in die Casinos und Kaffeehäuser. Kurz! Ueberall ist er ihr Schatten! Was hat dieser Sitte ihre Entstehung geben können? Sie ist ein Ueberbleibsel der alten Galanterie, die nach und nach durch den französischen Ton eines freyeren Umgangs zwischen beyden Geschlechtern besonders modificiert, unterstützt von dem Glauben an die Beschränkung der Liebe auf einen bloß geistigen Genuß, die Gestalt einer engeren Vereinigung angenommen hat. Sie verdankt ihre Ausbreitung dem Charakter der Südländer, der geselligen Einrichtung der Italiäner, und der politischen Verfassung einiger ihrer Staaten. Jene alte Galanterie der vorigen Jahrhunderte erlaubte die öffentlichen Beweise der Achtung, welche 9) Jo ho l’onore di sevirla.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0324" n="324"/> einen gewissen Herrn gerichtete Frage: wer die Dame sey, die ich ihm in der Gesellschaft bezeichnete, die Antwort erhalten: Ich habe die Ehre, ihr zu dienen! <note place="foot" n="9)"><hi rendition="#aq">Jo ho l’onore di sevirla.</hi></note> Nicht anders, wie bey uns ein Gatte sagen würde: sie ist meine Frau!</p> <p>Sobald die Dame des Morgens sichtbar ist, findet sich der Cicisbeo bey ihr ein: ihr Zimmer ist ihm zu jeder Stunde des Tages offen: er begleitet sie des Morgens zur Kirche, des Nachmittags auf den Corso, und des Abends ins Schauspielhaus, wo er in ihrer Loge den Platz gegen ihr über einnimmt, und die Honneurs bey den Besuchen macht, die ihr in den Zwischenakten gegeben werden. Endlich folgt er ihr gegen die Nacht in die Konversationen, wo er der Regel nach nicht von ihrem Platze weicht. In Venedig ruht er an ihrer Seite in der Gondel, deren Gardinen zugezogen sind, und folgt ihr in die Casinos und Kaffeehäuser. Kurz! Ueberall ist er ihr Schatten!</p> <p>Was hat dieser Sitte ihre Entstehung geben können? Sie ist ein Ueberbleibsel der alten Galanterie, die nach und nach durch den französischen Ton eines freyeren Umgangs zwischen beyden Geschlechtern besonders modificiert, unterstützt von dem Glauben an die Beschränkung der Liebe auf einen bloß geistigen Genuß, die Gestalt einer engeren Vereinigung angenommen hat. Sie verdankt ihre Ausbreitung dem Charakter der Südländer, der geselligen Einrichtung der Italiäner, und der politischen Verfassung einiger ihrer Staaten.</p> <p>Jene alte Galanterie der vorigen Jahrhunderte erlaubte die öffentlichen Beweise der Achtung, welche </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [324/0324]
einen gewissen Herrn gerichtete Frage: wer die Dame sey, die ich ihm in der Gesellschaft bezeichnete, die Antwort erhalten: Ich habe die Ehre, ihr zu dienen! 9) Nicht anders, wie bey uns ein Gatte sagen würde: sie ist meine Frau!
Sobald die Dame des Morgens sichtbar ist, findet sich der Cicisbeo bey ihr ein: ihr Zimmer ist ihm zu jeder Stunde des Tages offen: er begleitet sie des Morgens zur Kirche, des Nachmittags auf den Corso, und des Abends ins Schauspielhaus, wo er in ihrer Loge den Platz gegen ihr über einnimmt, und die Honneurs bey den Besuchen macht, die ihr in den Zwischenakten gegeben werden. Endlich folgt er ihr gegen die Nacht in die Konversationen, wo er der Regel nach nicht von ihrem Platze weicht. In Venedig ruht er an ihrer Seite in der Gondel, deren Gardinen zugezogen sind, und folgt ihr in die Casinos und Kaffeehäuser. Kurz! Ueberall ist er ihr Schatten!
Was hat dieser Sitte ihre Entstehung geben können? Sie ist ein Ueberbleibsel der alten Galanterie, die nach und nach durch den französischen Ton eines freyeren Umgangs zwischen beyden Geschlechtern besonders modificiert, unterstützt von dem Glauben an die Beschränkung der Liebe auf einen bloß geistigen Genuß, die Gestalt einer engeren Vereinigung angenommen hat. Sie verdankt ihre Ausbreitung dem Charakter der Südländer, der geselligen Einrichtung der Italiäner, und der politischen Verfassung einiger ihrer Staaten.
Jene alte Galanterie der vorigen Jahrhunderte erlaubte die öffentlichen Beweise der Achtung, welche
9) Jo ho l’onore di sevirla.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-11-20T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-20T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |