Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

der Störung, die sie durch Bekämpfung körperlicher Begierden erfahren würde, durch die leichte Art auszuweichen, mit der sie ihre Befriedigung behandeln. Darum legen sie auch auf die Untreue, welche sie gegen ihren Liebhaber begehen, einen sehr geringen Werth. Als Rousseau sich über eine solche von Seiten der Madame de Warens beklagte, und versicherte, sie würde ihn das Leben kosten, so antwortete diese: davon stürbe man nicht, er sey ein Kindskopf, darauf so viele Wichtigkeit zu legen. Mit dieser Denkungsart besteht übrigens ein weicher, mit dem Wohl und dem Leiden anderer Menschen sympathisierender Charakter sehr gut. Sie schließt sogar ein gewisses Gefühl von Anstand und Stolz nicht aus. Madame de Warens, die sich ihren Bedienten im Geheimen Preis gab, nahm es doch sehr übel, als der Abentheurer Venture einen zu freyen Ton in ihrer Gegenwart annahm.

Weil aber solche Frauen in dem unnennbaren Genusse gerade nur sinnliches Vergnügen von der vorübergehendsten und gröbsten Art suchen; so sind sie auch über die Art, wie sie dieses finden, weniger gleichgültig als zärtlichere Seelen. Und so kann man es erklären, wie R. nicht in den Fall kam, über die Lüsternheit der Warens ein vollgültiges Urtheil zu fällen. Er für seine Person scheint sie weder jemahls sehr rege gemacht, noch sehr befriedigt zu haben. Als er zu ihr kam, war er das, was man im Deutschen nicht gut ausdrücken mag, ein Nigaud. Sie war vor der Hand mit Claude Anet von einer gewissen Seite versorgt, und sie litt unsern R., weil sie gutherzig und sorglos war: weil es sie belustigte,

der Störung, die sie durch Bekämpfung körperlicher Begierden erfahren würde, durch die leichte Art auszuweichen, mit der sie ihre Befriedigung behandeln. Darum legen sie auch auf die Untreue, welche sie gegen ihren Liebhaber begehen, einen sehr geringen Werth. Als Rousseau sich über eine solche von Seiten der Madame de Warens beklagte, und versicherte, sie würde ihn das Leben kosten, so antwortete diese: davon stürbe man nicht, er sey ein Kindskopf, darauf so viele Wichtigkeit zu legen. Mit dieser Denkungsart besteht übrigens ein weicher, mit dem Wohl und dem Leiden anderer Menschen sympathisierender Charakter sehr gut. Sie schließt sogar ein gewisses Gefühl von Anstand und Stolz nicht aus. Madame de Warens, die sich ihren Bedienten im Geheimen Preis gab, nahm es doch sehr übel, als der Abentheurer Venture einen zu freyen Ton in ihrer Gegenwart annahm.

Weil aber solche Frauen in dem unnennbaren Genusse gerade nur sinnliches Vergnügen von der vorübergehendsten und gröbsten Art suchen; so sind sie auch über die Art, wie sie dieses finden, weniger gleichgültig als zärtlichere Seelen. Und so kann man es erklären, wie R. nicht in den Fall kam, über die Lüsternheit der Warens ein vollgültiges Urtheil zu fällen. Er für seine Person scheint sie weder jemahls sehr rege gemacht, noch sehr befriedigt zu haben. Als er zu ihr kam, war er das, was man im Deutschen nicht gut ausdrücken mag, ein Nigaud. Sie war vor der Hand mit Claude Anet von einer gewissen Seite versorgt, und sie litt unsern R., weil sie gutherzig und sorglos war: weil es sie belustigte,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0294" n="294"/>
der Störung, die sie durch Bekämpfung körperlicher Begierden erfahren würde, durch die leichte Art auszuweichen, mit der sie ihre Befriedigung behandeln. Darum legen sie auch auf die Untreue, welche sie gegen ihren Liebhaber begehen, einen sehr geringen Werth. Als Rousseau sich über eine solche von Seiten der Madame de Warens beklagte, und versicherte, sie würde ihn das Leben kosten, so antwortete diese: davon stürbe man nicht, er sey ein Kindskopf, darauf so viele Wichtigkeit zu legen. Mit dieser Denkungsart besteht übrigens ein weicher, mit dem Wohl und dem Leiden anderer Menschen sympathisierender Charakter sehr gut. Sie schließt sogar ein gewisses Gefühl von Anstand und Stolz nicht aus. Madame de Warens, die sich ihren Bedienten im Geheimen Preis gab, nahm es doch sehr übel, als der Abentheurer Venture einen zu freyen Ton in ihrer Gegenwart annahm.</p>
          <p>Weil aber solche Frauen in dem unnennbaren Genusse gerade nur sinnliches Vergnügen von der vorübergehendsten und gröbsten Art suchen; so sind sie auch über die Art, wie sie dieses finden, weniger gleichgültig als zärtlichere Seelen. Und so kann man es erklären, wie R. nicht in den Fall kam, über die Lüsternheit der Warens ein vollgültiges Urtheil zu fällen. Er für seine Person scheint sie weder jemahls sehr rege gemacht, noch sehr befriedigt zu haben. Als er zu ihr kam, war er das, was man im Deutschen nicht gut ausdrücken mag, ein Nigaud. Sie war vor der Hand mit Claude Anet von einer gewissen Seite versorgt, und sie litt unsern R., weil sie gutherzig und sorglos war: weil es sie belustigte,
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[294/0294] der Störung, die sie durch Bekämpfung körperlicher Begierden erfahren würde, durch die leichte Art auszuweichen, mit der sie ihre Befriedigung behandeln. Darum legen sie auch auf die Untreue, welche sie gegen ihren Liebhaber begehen, einen sehr geringen Werth. Als Rousseau sich über eine solche von Seiten der Madame de Warens beklagte, und versicherte, sie würde ihn das Leben kosten, so antwortete diese: davon stürbe man nicht, er sey ein Kindskopf, darauf so viele Wichtigkeit zu legen. Mit dieser Denkungsart besteht übrigens ein weicher, mit dem Wohl und dem Leiden anderer Menschen sympathisierender Charakter sehr gut. Sie schließt sogar ein gewisses Gefühl von Anstand und Stolz nicht aus. Madame de Warens, die sich ihren Bedienten im Geheimen Preis gab, nahm es doch sehr übel, als der Abentheurer Venture einen zu freyen Ton in ihrer Gegenwart annahm. Weil aber solche Frauen in dem unnennbaren Genusse gerade nur sinnliches Vergnügen von der vorübergehendsten und gröbsten Art suchen; so sind sie auch über die Art, wie sie dieses finden, weniger gleichgültig als zärtlichere Seelen. Und so kann man es erklären, wie R. nicht in den Fall kam, über die Lüsternheit der Warens ein vollgültiges Urtheil zu fällen. Er für seine Person scheint sie weder jemahls sehr rege gemacht, noch sehr befriedigt zu haben. Als er zu ihr kam, war er das, was man im Deutschen nicht gut ausdrücken mag, ein Nigaud. Sie war vor der Hand mit Claude Anet von einer gewissen Seite versorgt, und sie litt unsern R., weil sie gutherzig und sorglos war: weil es sie belustigte,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/294
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/294>, abgerufen am 22.11.2024.