Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.Gebräuche der Ritterschaft schon wieder so sehr in Vergessenheit gerathen, daß der große Haufe die Gebräuche, welche Karl der Sechste wieder hervorsuchte, lächerlich fand! Laßt uns ohne Vorurtheil sehen! Ein allgemeiner Geist der Ritterschaft hat entweder nie, oder wenigstens nicht in der Maße existiert, wie er gewöhnlich angegeben wird. Könnte man der ritterlichen Zunft in allen Ländern von Europa während der ganzen Dauer ihrer so oft veränderten Verfassung einen Esprit de corps beylegen: so würde es der einer tollkühnen Tapferkeit, und der eifersüchtigen Anhänglichkeit an Gesetzen einer eingebildeten und zunftmäßigen Ehre seyn, die viel weniger auf dem Gefühle sittlicher Selbstwürde, als auf Uebermuth, Folge der Absonderung von den übrigen Ständen, beruhte. Aber dieß ist es nicht, was St. Palaye und Andre als den Geist des Ritterwesens darstellen. Es ist der Begriff aller Vorzüge und Tugenden, welche den vollkommnen Ritter bilden sollen: ferner der Gebräuche, der Gesetze, der Pflichten, welche dieser Held beobachten soll. Diesen Inbegriff haben sie aus den Vorschriften gewisser einzelner Korporationen, aus den Idealen gewisser Romane und panegyrischer Lebensbeschreibungen einzelner hervorstechender Ritter zusammengesetzt, und für den allgemeinen Geist der Ritterschaft ausgeben wollen. Das war er nie! Aber merkwürdig sind diese Ideale, weil sie die excentrischen Begriffe von Sittlichkeit derjenigen, die sie aufstellten, und ihre Ziererey in Rücksicht auf Anstand und feine Lebensart beweisen. Merkwürdig sind sie ferner, weil sie in Gebräuche der Ritterschaft schon wieder so sehr in Vergessenheit gerathen, daß der große Haufe die Gebräuche, welche Karl der Sechste wieder hervorsuchte, lächerlich fand! Laßt uns ohne Vorurtheil sehen! Ein allgemeiner Geist der Ritterschaft hat entweder nie, oder wenigstens nicht in der Maße existiert, wie er gewöhnlich angegeben wird. Könnte man der ritterlichen Zunft in allen Ländern von Europa während der ganzen Dauer ihrer so oft veränderten Verfassung einen Esprit de corps beylegen: so würde es der einer tollkühnen Tapferkeit, und der eifersüchtigen Anhänglichkeit an Gesetzen einer eingebildeten und zunftmäßigen Ehre seyn, die viel weniger auf dem Gefühle sittlicher Selbstwürde, als auf Uebermuth, Folge der Absonderung von den übrigen Ständen, beruhte. Aber dieß ist es nicht, was St. Palaye und Andre als den Geist des Ritterwesens darstellen. Es ist der Begriff aller Vorzüge und Tugenden, welche den vollkommnen Ritter bilden sollen: ferner der Gebräuche, der Gesetze, der Pflichten, welche dieser Held beobachten soll. Diesen Inbegriff haben sie aus den Vorschriften gewisser einzelner Korporationen, aus den Idealen gewisser Romane und panegyrischer Lebensbeschreibungen einzelner hervorstechender Ritter zusammengesetzt, und für den allgemeinen Geist der Ritterschaft ausgeben wollen. Das war er nie! Aber merkwürdig sind diese Ideale, weil sie die excentrischen Begriffe von Sittlichkeit derjenigen, die sie aufstellten, und ihre Ziererey in Rücksicht auf Anstand und feine Lebensart beweisen. Merkwürdig sind sie ferner, weil sie in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0157" n="157"/> Gebräuche der Ritterschaft schon wieder so sehr in Vergessenheit gerathen, daß der große Haufe die Gebräuche, welche Karl der Sechste wieder hervorsuchte, lächerlich fand!</p> <p>Laßt uns ohne Vorurtheil sehen! Ein allgemeiner Geist der Ritterschaft hat entweder nie, oder wenigstens nicht in der Maße existiert, wie er gewöhnlich angegeben wird. 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Diesen Inbegriff haben sie aus den Vorschriften gewisser einzelner Korporationen, aus den Idealen gewisser Romane und panegyrischer Lebensbeschreibungen einzelner hervorstechender Ritter zusammengesetzt, und für den allgemeinen Geist der Ritterschaft ausgeben wollen.</p> <p>Das war er nie! Aber merkwürdig sind diese Ideale, weil sie die excentrischen Begriffe von Sittlichkeit derjenigen, die sie aufstellten, und ihre Ziererey in Rücksicht auf Anstand und feine Lebensart beweisen. Merkwürdig sind sie ferner, weil sie in </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [157/0157]
Gebräuche der Ritterschaft schon wieder so sehr in Vergessenheit gerathen, daß der große Haufe die Gebräuche, welche Karl der Sechste wieder hervorsuchte, lächerlich fand!
Laßt uns ohne Vorurtheil sehen! Ein allgemeiner Geist der Ritterschaft hat entweder nie, oder wenigstens nicht in der Maße existiert, wie er gewöhnlich angegeben wird. Könnte man der ritterlichen Zunft in allen Ländern von Europa während der ganzen Dauer ihrer so oft veränderten Verfassung einen Esprit de corps beylegen: so würde es der einer tollkühnen Tapferkeit, und der eifersüchtigen Anhänglichkeit an Gesetzen einer eingebildeten und zunftmäßigen Ehre seyn, die viel weniger auf dem Gefühle sittlicher Selbstwürde, als auf Uebermuth, Folge der Absonderung von den übrigen Ständen, beruhte.
Aber dieß ist es nicht, was St. Palaye und Andre als den Geist des Ritterwesens darstellen. Es ist der Begriff aller Vorzüge und Tugenden, welche den vollkommnen Ritter bilden sollen: ferner der Gebräuche, der Gesetze, der Pflichten, welche dieser Held beobachten soll. Diesen Inbegriff haben sie aus den Vorschriften gewisser einzelner Korporationen, aus den Idealen gewisser Romane und panegyrischer Lebensbeschreibungen einzelner hervorstechender Ritter zusammengesetzt, und für den allgemeinen Geist der Ritterschaft ausgeben wollen.
Das war er nie! Aber merkwürdig sind diese Ideale, weil sie die excentrischen Begriffe von Sittlichkeit derjenigen, die sie aufstellten, und ihre Ziererey in Rücksicht auf Anstand und feine Lebensart beweisen. Merkwürdig sind sie ferner, weil sie in
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