Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.damahls wie jetzt, dieser Vorzug von einigen gepriesen, von andern getadelt, und als eine vermehrte Gefahr für weibliche Tugend angesehen wurde. Wenn Theseus in der Folge gegen den Hippolytus behauptet, daß Jünglinge, denen Liebe den Kopf verrückt, um nichts stärker als verliebte Weiber wären, so beweiset dieß, daß der Dichter den Werth des Menschen nicht so wohl von dem Geschlechte, als von der Stimmung des Gemüths abhängig hielt. Mit einem hohen Begriff von der weiblichen Natur und der Anlage des zärtern Geschlechts zur sittlichen Veredlung bestehen sehr wohl einzelne satyrische Züge gegen die verdorbenen Sitten, die dem großen Haufen unter ihm eigen zu seyn pflegen. Eben diese Vereinigung finden wir ja auch beym Rousseau, und bey mehreren andern Schriftstellern. Beym Euripides beweisen jene Seitenhiebe um so weniger, da er nicht bloß nach Weibern, sondern auch nach Philosophen, Richtern, Barbaren, Lacedämoniern, und selbst nach den Atheniensischen Männern damit ausschlägt. Andromache, die edle Andromache, wird diese Behauptung am auffallendsten ins Licht stellen. Wie liebend, wie aufopfernd erscheint sie in der Stelle, worin sie sagt: "Es ziemt dem Weibe, wenn's gleich an einen bösen Mann gekettet ist, ihn zu ehren, und nicht durch Eigensinn und Hochmuth Veranlassung zur Uneinigkeit zu geben. Wir Weiber sind eben so wohl wie die Männer den Anfällen der Eifersucht ausgesetzt, aber wir wissen sie bescheiden zu unterdrücken. O mein geliebter Hektor! ich schonte deiner Verirrung, ich nährte deine Kinder, die mir nicht gehörten, an meiner Brust, um damahls wie jetzt, dieser Vorzug von einigen gepriesen, von andern getadelt, und als eine vermehrte Gefahr für weibliche Tugend angesehen wurde. Wenn Theseus in der Folge gegen den Hippolytus behauptet, daß Jünglinge, denen Liebe den Kopf verrückt, um nichts stärker als verliebte Weiber wären, so beweiset dieß, daß der Dichter den Werth des Menschen nicht so wohl von dem Geschlechte, als von der Stimmung des Gemüths abhängig hielt. Mit einem hohen Begriff von der weiblichen Natur und der Anlage des zärtern Geschlechts zur sittlichen Veredlung bestehen sehr wohl einzelne satyrische Züge gegen die verdorbenen Sitten, die dem großen Haufen unter ihm eigen zu seyn pflegen. Eben diese Vereinigung finden wir ja auch beym Rousseau, und bey mehreren andern Schriftstellern. Beym Euripides beweisen jene Seitenhiebe um so weniger, da er nicht bloß nach Weibern, sondern auch nach Philosophen, Richtern, Barbaren, Lacedämoniern, und selbst nach den Atheniensischen Männern damit ausschlägt. Andromache, die edle Andromache, wird diese Behauptung am auffallendsten ins Licht stellen. Wie liebend, wie aufopfernd erscheint sie in der Stelle, worin sie sagt: „Es ziemt dem Weibe, wenn’s gleich an einen bösen Mann gekettet ist, ihn zu ehren, und nicht durch Eigensinn und Hochmuth Veranlassung zur Uneinigkeit zu geben. Wir Weiber sind eben so wohl wie die Männer den Anfällen der Eifersucht ausgesetzt, aber wir wissen sie bescheiden zu unterdrücken. O mein geliebter Hektor! ich schonte deiner Verirrung, ich nährte deine Kinder, die mir nicht gehörten, an meiner Brust, um <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0093" n="93"/> damahls wie jetzt, dieser Vorzug von einigen gepriesen, von andern getadelt, und als eine vermehrte Gefahr für weibliche Tugend angesehen wurde. Wenn Theseus in der Folge gegen den Hippolytus behauptet, daß Jünglinge, denen Liebe den Kopf verrückt, um nichts stärker als verliebte Weiber wären, so beweiset dieß, daß der Dichter den Werth des Menschen nicht so wohl von dem Geschlechte, als von der Stimmung des Gemüths abhängig hielt.</p> <p>Mit einem hohen Begriff von der weiblichen Natur und der Anlage des zärtern Geschlechts zur sittlichen Veredlung bestehen sehr wohl einzelne satyrische Züge gegen die verdorbenen Sitten, die dem großen Haufen unter ihm eigen zu seyn pflegen. Eben diese Vereinigung finden wir ja auch beym Rousseau, und bey mehreren andern Schriftstellern. Beym Euripides beweisen jene Seitenhiebe um so weniger, da er nicht bloß nach Weibern, sondern auch nach Philosophen, Richtern, Barbaren, Lacedämoniern, und selbst nach den Atheniensischen Männern damit ausschlägt.</p> <p><hi rendition="#g">Andromache</hi>, die edle Andromache, wird diese Behauptung am auffallendsten ins Licht stellen. Wie liebend, wie aufopfernd erscheint sie in der Stelle, worin sie sagt: „Es ziemt dem Weibe, wenn’s gleich an einen bösen Mann gekettet ist, ihn zu ehren, und nicht durch Eigensinn und Hochmuth Veranlassung zur Uneinigkeit zu geben. Wir Weiber sind eben so wohl wie die Männer den Anfällen der Eifersucht ausgesetzt, aber wir wissen sie bescheiden zu unterdrücken. O mein geliebter Hektor! ich schonte deiner Verirrung, ich nährte deine Kinder, die mir nicht gehörten, an meiner Brust, um </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [93/0093]
damahls wie jetzt, dieser Vorzug von einigen gepriesen, von andern getadelt, und als eine vermehrte Gefahr für weibliche Tugend angesehen wurde. Wenn Theseus in der Folge gegen den Hippolytus behauptet, daß Jünglinge, denen Liebe den Kopf verrückt, um nichts stärker als verliebte Weiber wären, so beweiset dieß, daß der Dichter den Werth des Menschen nicht so wohl von dem Geschlechte, als von der Stimmung des Gemüths abhängig hielt.
Mit einem hohen Begriff von der weiblichen Natur und der Anlage des zärtern Geschlechts zur sittlichen Veredlung bestehen sehr wohl einzelne satyrische Züge gegen die verdorbenen Sitten, die dem großen Haufen unter ihm eigen zu seyn pflegen. Eben diese Vereinigung finden wir ja auch beym Rousseau, und bey mehreren andern Schriftstellern. Beym Euripides beweisen jene Seitenhiebe um so weniger, da er nicht bloß nach Weibern, sondern auch nach Philosophen, Richtern, Barbaren, Lacedämoniern, und selbst nach den Atheniensischen Männern damit ausschlägt.
Andromache, die edle Andromache, wird diese Behauptung am auffallendsten ins Licht stellen. Wie liebend, wie aufopfernd erscheint sie in der Stelle, worin sie sagt: „Es ziemt dem Weibe, wenn’s gleich an einen bösen Mann gekettet ist, ihn zu ehren, und nicht durch Eigensinn und Hochmuth Veranlassung zur Uneinigkeit zu geben. Wir Weiber sind eben so wohl wie die Männer den Anfällen der Eifersucht ausgesetzt, aber wir wissen sie bescheiden zu unterdrücken. O mein geliebter Hektor! ich schonte deiner Verirrung, ich nährte deine Kinder, die mir nicht gehörten, an meiner Brust, um
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/93 |
Zitationshilfe: | Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/93>, abgerufen am 22.07.2024. |