Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.und Medea in dem gräßlichsten Lichte haben erscheinen lassen. Euripides trauet den Weibern sogar Anlagen zu den Wissenschaften zu. Das weibliche Chor erstaunt über die Reden der Medea, die voller Einsicht sind. "Oft", sagt es, "habe ich darüber nachgesonnen, und mit scharfsinnigen Gründen darüber gestritten, ob es dem weiblichen Geschlechte zieme, sich auf Wissenschaften zu legen. Denn die Muse neigt sich auch oft zu uns herab, und lehrt uns Weisheit, wenn sie sich gleich nicht allen offenbart!" Vor allen Dingen müssen wir bey der Prüfung der Denkungsart unsers Dichters über das zärtere Geschlecht nie vergessen, daß er diejenigen Reflexionen, welche bey dem Zuschauer über die Situation entstehen können, den handelnden Personen selbst in den Mund zu legen, sie zu generalisieren, und oft mit einem epigrammatischen, der Comödie angehörenden Seitenblick auf die Sitten seiner Zeit, auszudrücken liebt. In dieser Rücksicht können die Klagen über die Folgen der Ehe, welche die Betrachtung des Schicksals der Medea herbeyführten, nicht zum Beweise der Verachtung des ehelichen Standes dienen. Am wenigsten aber dürfen wir daraus auf eine Verachtung der Weiber, als einziger Ursach dieser Folgen schließen. So sagt zwar das Chor: "O Ehe, wie reich bist du an traurigen Folgen! Welch Unglück hast du auf die Männer gebracht!" Und an einer andern Stelle: "der unverheirathete und kinderlose Stand hat mehr Anspruch auf Glück und Ruhe, als derjenige, der uns die Sorge für eine zahlreiche Nachkommenschaft auflegt. Wie viel Bekümmernisse erweckt dieser für ihre und Medea in dem gräßlichsten Lichte haben erscheinen lassen. Euripides trauet den Weibern sogar Anlagen zu den Wissenschaften zu. Das weibliche Chor erstaunt über die Reden der Medea, die voller Einsicht sind. „Oft“, sagt es, „habe ich darüber nachgesonnen, und mit scharfsinnigen Gründen darüber gestritten, ob es dem weiblichen Geschlechte zieme, sich auf Wissenschaften zu legen. Denn die Muse neigt sich auch oft zu uns herab, und lehrt uns Weisheit, wenn sie sich gleich nicht allen offenbart!“ Vor allen Dingen müssen wir bey der Prüfung der Denkungsart unsers Dichters über das zärtere Geschlecht nie vergessen, daß er diejenigen Reflexionen, welche bey dem Zuschauer über die Situation entstehen können, den handelnden Personen selbst in den Mund zu legen, sie zu generalisieren, und oft mit einem epigrammatischen, der Comödie angehörenden Seitenblick auf die Sitten seiner Zeit, auszudrücken liebt. In dieser Rücksicht können die Klagen über die Folgen der Ehe, welche die Betrachtung des Schicksals der Medea herbeyführten, nicht zum Beweise der Verachtung des ehelichen Standes dienen. Am wenigsten aber dürfen wir daraus auf eine Verachtung der Weiber, als einziger Ursach dieser Folgen schließen. So sagt zwar das Chor: „O Ehe, wie reich bist du an traurigen Folgen! Welch Unglück hast du auf die Männer gebracht!“ Und an einer andern Stelle: „der unverheirathete und kinderlose Stand hat mehr Anspruch auf Glück und Ruhe, als derjenige, der uns die Sorge für eine zahlreiche Nachkommenschaft auflegt. Wie viel Bekümmernisse erweckt dieser für ihre <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0090" n="90"/> und Medea in dem gräßlichsten Lichte haben erscheinen lassen.</p> <p>Euripides trauet den Weibern sogar Anlagen zu den Wissenschaften zu. Das weibliche Chor erstaunt über die Reden der Medea, die voller Einsicht sind. „Oft“, sagt es, „habe ich darüber nachgesonnen, und mit scharfsinnigen Gründen darüber gestritten, ob es dem weiblichen Geschlechte zieme, sich auf Wissenschaften zu legen. 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Welch Unglück hast du auf die Männer gebracht!“ Und an einer andern Stelle: „der unverheirathete und kinderlose Stand hat mehr Anspruch auf Glück und Ruhe, als derjenige, der uns die Sorge für eine zahlreiche <hi rendition="#g">Nachkommenschaft</hi> auflegt. Wie viel Bekümmernisse erweckt dieser für ihre </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [90/0090]
und Medea in dem gräßlichsten Lichte haben erscheinen lassen.
Euripides trauet den Weibern sogar Anlagen zu den Wissenschaften zu. Das weibliche Chor erstaunt über die Reden der Medea, die voller Einsicht sind. „Oft“, sagt es, „habe ich darüber nachgesonnen, und mit scharfsinnigen Gründen darüber gestritten, ob es dem weiblichen Geschlechte zieme, sich auf Wissenschaften zu legen. Denn die Muse neigt sich auch oft zu uns herab, und lehrt uns Weisheit, wenn sie sich gleich nicht allen offenbart!“
Vor allen Dingen müssen wir bey der Prüfung der Denkungsart unsers Dichters über das zärtere Geschlecht nie vergessen, daß er diejenigen Reflexionen, welche bey dem Zuschauer über die Situation entstehen können, den handelnden Personen selbst in den Mund zu legen, sie zu generalisieren, und oft mit einem epigrammatischen, der Comödie angehörenden Seitenblick auf die Sitten seiner Zeit, auszudrücken liebt. In dieser Rücksicht können die Klagen über die Folgen der Ehe, welche die Betrachtung des Schicksals der Medea herbeyführten, nicht zum Beweise der Verachtung des ehelichen Standes dienen. Am wenigsten aber dürfen wir daraus auf eine Verachtung der Weiber, als einziger Ursach dieser Folgen schließen. So sagt zwar das Chor: „O Ehe, wie reich bist du an traurigen Folgen! Welch Unglück hast du auf die Männer gebracht!“ Und an einer andern Stelle: „der unverheirathete und kinderlose Stand hat mehr Anspruch auf Glück und Ruhe, als derjenige, der uns die Sorge für eine zahlreiche Nachkommenschaft auflegt. Wie viel Bekümmernisse erweckt dieser für ihre
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