Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.Chariklea durch Erinnerung an seinen Schwur in Ordnung. Er läßt sich aber leicht zurecht weisen, da er der Liebe zwar unterthan, aber über seine Sinne Herr ist. Die Beobachtung des Anstandes wird unter den beyden Liebenden so weit getrieben, daß Heliodor uns immer anzeigt, Theagenes und Chariklea hätten des Nachts verschiedene Zimmer eingenommen. Der Ausdruck ihrer wechselseitigen Gefühle hat immer etwas Ernstes und Feyerliches. Völlig herrschend ist die Idee, daß gegenseitige Aufopferung der beyden Liebenden für einander das Wesen der Liebe ausmache. Kurz, die Liebe erscheint hier in ihrer wahren Gestalt, und zugleich auf einer hohen Stufe sittlicher Veredlung. Bey allem dem hat sie keinen begeisterten, unternehmenden, rüstigen Charakter. Es ist ein schmelzender Enthusiasmus, der die Liebenden zu einander hinzieht. Sie widerstehen dem Schicksal, aber sie wissen es nicht zu lenken. Dieß geht der Komposition unsers Heliodor noch ab, um ihr den Charakter einer vollständigen Liebesepopoe zu sichern. Uebrigens ist in der Form dem Heldengedichte nachgeahmt. Der Leser wird gleich in die Mitte der Handlung hineingesetzt. Der Styl ist zwar nicht frey von dem Schwulste der Rhetoren, aber doch minder üppig, als der des Achilles Tatius. Der Ausdruck der Liebe ist nur selten ganz wahr, und fällt sogar hin und wieder ins Läppische. So ruft Chariklea einmahl aus: "Dieß Opfer Theagenes bring' ich dir!" - und hierbey raufte sie sich die Haare aus, und warf sie aufs Bett. "Diese Libation gieße ich aus den Augen, die dir so theuer sind!" - und hierbey Chariklea durch Erinnerung an seinen Schwur in Ordnung. Er läßt sich aber leicht zurecht weisen, da er der Liebe zwar unterthan, aber über seine Sinne Herr ist. Die Beobachtung des Anstandes wird unter den beyden Liebenden so weit getrieben, daß Heliodor uns immer anzeigt, Theagenes und Chariklea hätten des Nachts verschiedene Zimmer eingenommen. Der Ausdruck ihrer wechselseitigen Gefühle hat immer etwas Ernstes und Feyerliches. Völlig herrschend ist die Idee, daß gegenseitige Aufopferung der beyden Liebenden für einander das Wesen der Liebe ausmache. Kurz, die Liebe erscheint hier in ihrer wahren Gestalt, und zugleich auf einer hohen Stufe sittlicher Veredlung. Bey allem dem hat sie keinen begeisterten, unternehmenden, rüstigen Charakter. Es ist ein schmelzender Enthusiasmus, der die Liebenden zu einander hinzieht. Sie widerstehen dem Schicksal, aber sie wissen es nicht zu lenken. Dieß geht der Komposition unsers Heliodor noch ab, um ihr den Charakter einer vollständigen Liebesepopoe zu sichern. Uebrigens ist in der Form dem Heldengedichte nachgeahmt. Der Leser wird gleich in die Mitte der Handlung hineingesetzt. Der Styl ist zwar nicht frey von dem Schwulste der Rhetoren, aber doch minder üppig, als der des Achilles Tatius. Der Ausdruck der Liebe ist nur selten ganz wahr, und fällt sogar hin und wieder ins Läppische. So ruft Chariklea einmahl aus: „Dieß Opfer Theagenes bring’ ich dir!“ – und hierbey raufte sie sich die Haare aus, und warf sie aufs Bett. „Diese Libation gieße ich aus den Augen, die dir so theuer sind!“ – und hierbey <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0414" n="414"/> Chariklea durch Erinnerung an seinen Schwur in Ordnung. Er läßt sich aber leicht zurecht weisen, da er der Liebe zwar unterthan, aber über seine Sinne Herr ist.</p> <p>Die Beobachtung des Anstandes wird unter den beyden Liebenden so weit getrieben, daß Heliodor uns immer anzeigt, Theagenes und Chariklea hätten des Nachts verschiedene Zimmer eingenommen.</p> <p>Der Ausdruck ihrer wechselseitigen Gefühle hat immer etwas Ernstes und Feyerliches. 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So ruft Chariklea einmahl aus: „Dieß Opfer Theagenes bring’ ich dir!“ – und hierbey raufte sie sich die Haare aus, und warf sie aufs Bett. „Diese Libation gieße ich aus den Augen, die dir so theuer sind!“ – und hierbey </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [414/0414]
Chariklea durch Erinnerung an seinen Schwur in Ordnung. Er läßt sich aber leicht zurecht weisen, da er der Liebe zwar unterthan, aber über seine Sinne Herr ist.
Die Beobachtung des Anstandes wird unter den beyden Liebenden so weit getrieben, daß Heliodor uns immer anzeigt, Theagenes und Chariklea hätten des Nachts verschiedene Zimmer eingenommen.
Der Ausdruck ihrer wechselseitigen Gefühle hat immer etwas Ernstes und Feyerliches. Völlig herrschend ist die Idee, daß gegenseitige Aufopferung der beyden Liebenden für einander das Wesen der Liebe ausmache. Kurz, die Liebe erscheint hier in ihrer wahren Gestalt, und zugleich auf einer hohen Stufe sittlicher Veredlung.
Bey allem dem hat sie keinen begeisterten, unternehmenden, rüstigen Charakter. Es ist ein schmelzender Enthusiasmus, der die Liebenden zu einander hinzieht. Sie widerstehen dem Schicksal, aber sie wissen es nicht zu lenken.
Dieß geht der Komposition unsers Heliodor noch ab, um ihr den Charakter einer vollständigen Liebesepopoe zu sichern. Uebrigens ist in der Form dem Heldengedichte nachgeahmt. Der Leser wird gleich in die Mitte der Handlung hineingesetzt. Der Styl ist zwar nicht frey von dem Schwulste der Rhetoren, aber doch minder üppig, als der des Achilles Tatius.
Der Ausdruck der Liebe ist nur selten ganz wahr, und fällt sogar hin und wieder ins Läppische. So ruft Chariklea einmahl aus: „Dieß Opfer Theagenes bring’ ich dir!“ – und hierbey raufte sie sich die Haare aus, und warf sie aufs Bett. „Diese Libation gieße ich aus den Augen, die dir so theuer sind!“ – und hierbey
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