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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

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ihren bisherigen Pflegvater und Wohlthäter, den Priester des Apollo, ohne das geringste Merkmahl der Traurigkeit und der Dankbarkeit zu zeigen. Nach unzähligen Gefahren, welche die Unschuld der Chariklea von Land- und Seeräubern drohen, und denen sie theils durch List, theils durch den Gebrauch der Waffen entgeht: nach dem keuschesten Umgange mit ihrem Entführer, dem sie zwar Küsse und Umarmungen, aber weiter nichts erlaubt, und dessen Begierden sie immer durch die Erinnerung an seinen Schwur zu zügeln weiß, kommen beyde nach Memphis, wo ihnen denn erst die Hauptprüfungen ihrer Standhaftigkeit vorbehalten sind. Arsace, die Gattin des Orondates, Beherrschers von Aegypten, ein stolzes und wollüstiges Weib, verliebt sich in Theagenes. Sie läßt nichts unversucht, um ihn zu gewinnen. Aber nicht Wohlthaten, nicht Ehrenbezeugungen, nicht Gefängniß, und Marter, ja! nicht einmahl die Furcht seine Chariklea zu verlieren, und diese bald einer verhaßten Heirath, bald dem Scheiterhaufen überliefert zu sehen, können ihn in seiner Treue wankend machen. Endlich entkommen beyde Liebenden der Gewalt der grausamen Arsace, aber das Schicksal ist noch nicht müde, sie zu verfolgen. Sie fallen in die Hände des Hydaspes, des Königs der Aethiopier, und Vaters der Chariklea, und werden, da sie sich Beyde für Geschwister ausgeben, zu Menschenopfern für die Sonne und den Mond bestimmt.

Aber um dazu würdig gefunden zu werden, müssen sie Beyde die Probe ihrer jungfräulichen Lauterkeit bestehen, und zu dem Ende durchs Feuer wandern. Es versteht sich von selbst, daß dieser Vorzug

ihren bisherigen Pflegvater und Wohlthäter, den Priester des Apollo, ohne das geringste Merkmahl der Traurigkeit und der Dankbarkeit zu zeigen. Nach unzähligen Gefahren, welche die Unschuld der Chariklea von Land- und Seeräubern drohen, und denen sie theils durch List, theils durch den Gebrauch der Waffen entgeht: nach dem keuschesten Umgange mit ihrem Entführer, dem sie zwar Küsse und Umarmungen, aber weiter nichts erlaubt, und dessen Begierden sie immer durch die Erinnerung an seinen Schwur zu zügeln weiß, kommen beyde nach Memphis, wo ihnen denn erst die Hauptprüfungen ihrer Standhaftigkeit vorbehalten sind. Arsace, die Gattin des Orondates, Beherrschers von Aegypten, ein stolzes und wollüstiges Weib, verliebt sich in Theagenes. Sie läßt nichts unversucht, um ihn zu gewinnen. Aber nicht Wohlthaten, nicht Ehrenbezeugungen, nicht Gefängniß, und Marter, ja! nicht einmahl die Furcht seine Chariklea zu verlieren, und diese bald einer verhaßten Heirath, bald dem Scheiterhaufen überliefert zu sehen, können ihn in seiner Treue wankend machen. Endlich entkommen beyde Liebenden der Gewalt der grausamen Arsace, aber das Schicksal ist noch nicht müde, sie zu verfolgen. Sie fallen in die Hände des Hydaspes, des Königs der Aethiopier, und Vaters der Chariklea, und werden, da sie sich Beyde für Geschwister ausgeben, zu Menschenopfern für die Sonne und den Mond bestimmt.

Aber um dazu würdig gefunden zu werden, müssen sie Beyde die Probe ihrer jungfräulichen Lauterkeit bestehen, und zu dem Ende durchs Feuer wandern. Es versteht sich von selbst, daß dieser Vorzug

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[410/0410] ihren bisherigen Pflegvater und Wohlthäter, den Priester des Apollo, ohne das geringste Merkmahl der Traurigkeit und der Dankbarkeit zu zeigen. Nach unzähligen Gefahren, welche die Unschuld der Chariklea von Land- und Seeräubern drohen, und denen sie theils durch List, theils durch den Gebrauch der Waffen entgeht: nach dem keuschesten Umgange mit ihrem Entführer, dem sie zwar Küsse und Umarmungen, aber weiter nichts erlaubt, und dessen Begierden sie immer durch die Erinnerung an seinen Schwur zu zügeln weiß, kommen beyde nach Memphis, wo ihnen denn erst die Hauptprüfungen ihrer Standhaftigkeit vorbehalten sind. Arsace, die Gattin des Orondates, Beherrschers von Aegypten, ein stolzes und wollüstiges Weib, verliebt sich in Theagenes. Sie läßt nichts unversucht, um ihn zu gewinnen. Aber nicht Wohlthaten, nicht Ehrenbezeugungen, nicht Gefängniß, und Marter, ja! nicht einmahl die Furcht seine Chariklea zu verlieren, und diese bald einer verhaßten Heirath, bald dem Scheiterhaufen überliefert zu sehen, können ihn in seiner Treue wankend machen. Endlich entkommen beyde Liebenden der Gewalt der grausamen Arsace, aber das Schicksal ist noch nicht müde, sie zu verfolgen. Sie fallen in die Hände des Hydaspes, des Königs der Aethiopier, und Vaters der Chariklea, und werden, da sie sich Beyde für Geschwister ausgeben, zu Menschenopfern für die Sonne und den Mond bestimmt. Aber um dazu würdig gefunden zu werden, müssen sie Beyde die Probe ihrer jungfräulichen Lauterkeit bestehen, und zu dem Ende durchs Feuer wandern. Es versteht sich von selbst, daß dieser Vorzug

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/410>, abgerufen am 23.11.2024.