Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Jamblich, Xenophon und Chariton haben in der ältesten Manier geschrieben.

Das Interesse beruht auf der Trennung zweyer bereits vermählter Gatten, und ihrer Wiedervereinigung, nachdem sie von den Verfolgungen mächtiger Nebenbuhler viel gelitten haben. Die Charaktere der Liebenden sind heftig, vordringend, thätig geschildert, und wirken wenigstens eben so viel als die äußern Umstände auf ihr Schicksal ein. Die Begebenheiten haben viel von den wunderbaren Begebenheiten der Mährchen des Lucians und Apulejus an sich, und der Styl nähert sich dem der Geschichte.

Man kann die Liebesgeschichte in dieser Manier wunderbare Geschichten der Standhaftigkelt und Treue zweyer Gatten nennen, etwa wie Menelaus und Helena beym Euripides erscheinen. Trauerspiele, und wie ich noch mehr vermuthe, Pantomimen, haben bey der Bearbeitung zum Grunde gelegen. Schon das Mährchen der Psyche zeigt etwas von dem angegebenen Charakter, und hat wahrscheinlich einer ähnlichen Veranlassung sein Entstehen zu verdanken.

Die zweyte, mittlere Manier finde ich im Achilles Tatius, und Longus.

Hier beruht das Interesse darauf, zwey nicht verheirathete Personen zur engsten Vereinigung in der Ehe zu bringen. Das Ziel der Intrigue ist die Lösung des jungfräulichen Gürtels unter Sanktion der Gesetze. Die Schwierigkeiten liegen aber nicht in der Schamhaftigkeit der Geliebten, sondern in äußern Umständen, in Unerfahrenheit, in der Furcht vor den Folgen. Der Charakter des Liebhabers und der Geliebten, beyde zeigen sich so träumend, leidend

Jamblich, Xenophon und Chariton haben in der ältesten Manier geschrieben.

Das Interesse beruht auf der Trennung zweyer bereits vermählter Gatten, und ihrer Wiedervereinigung, nachdem sie von den Verfolgungen mächtiger Nebenbuhler viel gelitten haben. Die Charaktere der Liebenden sind heftig, vordringend, thätig geschildert, und wirken wenigstens eben so viel als die äußern Umstände auf ihr Schicksal ein. Die Begebenheiten haben viel von den wunderbaren Begebenheiten der Mährchen des Lucians und Apulejus an sich, und der Styl nähert sich dem der Geschichte.

Man kann die Liebesgeschichte in dieser Manier wunderbare Geschichten der Standhaftigkelt und Treue zweyer Gatten nennen, etwa wie Menelaus und Helena beym Euripides erscheinen. Trauerspiele, und wie ich noch mehr vermuthe, Pantomimen, haben bey der Bearbeitung zum Grunde gelegen. Schon das Mährchen der Psyche zeigt etwas von dem angegebenen Charakter, und hat wahrscheinlich einer ähnlichen Veranlassung sein Entstehen zu verdanken.

Die zweyte, mittlere Manier finde ich im Achilles Tatius, und Longus.

Hier beruht das Interesse darauf, zwey nicht verheirathete Personen zur engsten Vereinigung in der Ehe zu bringen. Das Ziel der Intrigue ist die Lösung des jungfräulichen Gürtels unter Sanktion der Gesetze. Die Schwierigkeiten liegen aber nicht in der Schamhaftigkeit der Geliebten, sondern in äußern Umständen, in Unerfahrenheit, in der Furcht vor den Folgen. Der Charakter des Liebhabers und der Geliebten, beyde zeigen sich so träumend, leidend

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0378" n="378"/>
          <p>Jamblich, Xenophon und Chariton haben in der ältesten Manier geschrieben.</p>
          <p>Das Interesse beruht auf der Trennung zweyer bereits vermählter Gatten, und ihrer Wiedervereinigung, nachdem sie von den Verfolgungen mächtiger Nebenbuhler viel gelitten haben. Die Charaktere der Liebenden sind heftig, vordringend, thätig geschildert, und wirken wenigstens eben so viel als die äußern Umstände auf ihr Schicksal ein. Die Begebenheiten haben viel von den wunderbaren Begebenheiten der Mährchen des Lucians und Apulejus an sich, und der Styl nähert sich dem der Geschichte.</p>
          <p>Man kann die Liebesgeschichte in dieser Manier wunderbare Geschichten der Standhaftigkelt und Treue zweyer Gatten nennen, etwa wie Menelaus und Helena beym Euripides erscheinen. Trauerspiele, und wie ich noch mehr vermuthe, Pantomimen, haben bey der Bearbeitung zum Grunde gelegen. Schon das Mährchen der Psyche zeigt etwas von dem angegebenen Charakter, und hat wahrscheinlich einer ähnlichen Veranlassung sein Entstehen zu verdanken.</p>
          <p>Die zweyte, mittlere Manier finde ich im Achilles Tatius, und Longus.</p>
          <p>Hier beruht das Interesse darauf, zwey nicht verheirathete Personen zur engsten Vereinigung in der Ehe zu bringen. Das Ziel der Intrigue ist die Lösung des jungfräulichen Gürtels unter Sanktion der Gesetze. Die Schwierigkeiten liegen aber nicht in der Schamhaftigkeit der Geliebten, sondern in äußern Umständen, in Unerfahrenheit, in der Furcht vor den Folgen. Der Charakter des Liebhabers und der Geliebten, beyde <choice><sic>zeigen,</sic><corr>zeigen</corr></choice> sich so träumend, leidend
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[378/0378] Jamblich, Xenophon und Chariton haben in der ältesten Manier geschrieben. Das Interesse beruht auf der Trennung zweyer bereits vermählter Gatten, und ihrer Wiedervereinigung, nachdem sie von den Verfolgungen mächtiger Nebenbuhler viel gelitten haben. Die Charaktere der Liebenden sind heftig, vordringend, thätig geschildert, und wirken wenigstens eben so viel als die äußern Umstände auf ihr Schicksal ein. Die Begebenheiten haben viel von den wunderbaren Begebenheiten der Mährchen des Lucians und Apulejus an sich, und der Styl nähert sich dem der Geschichte. Man kann die Liebesgeschichte in dieser Manier wunderbare Geschichten der Standhaftigkelt und Treue zweyer Gatten nennen, etwa wie Menelaus und Helena beym Euripides erscheinen. Trauerspiele, und wie ich noch mehr vermuthe, Pantomimen, haben bey der Bearbeitung zum Grunde gelegen. Schon das Mährchen der Psyche zeigt etwas von dem angegebenen Charakter, und hat wahrscheinlich einer ähnlichen Veranlassung sein Entstehen zu verdanken. Die zweyte, mittlere Manier finde ich im Achilles Tatius, und Longus. Hier beruht das Interesse darauf, zwey nicht verheirathete Personen zur engsten Vereinigung in der Ehe zu bringen. Das Ziel der Intrigue ist die Lösung des jungfräulichen Gürtels unter Sanktion der Gesetze. Die Schwierigkeiten liegen aber nicht in der Schamhaftigkeit der Geliebten, sondern in äußern Umständen, in Unerfahrenheit, in der Furcht vor den Folgen. Der Charakter des Liebhabers und der Geliebten, beyde zeigen sich so träumend, leidend

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/378
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/378>, abgerufen am 22.11.2024.