Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.Freundschaft ließen jedoch die strengsten Sittenlehrer zwischen beyden Geschlechtern zu, und wirklich konnte in dieser Zeit ihr wahrer Begriff auf diese Verhältnisse passen. Denn hier trafen Mann und Weib in dem Genuß einerley Lieblingsneigung, nehmlich der nach dem Unsinnlichen, zusammen. Und so war der heilige Hieronymus der Freund der Marcelle, Eustochium und Pauline. Aber in Leidenschaft durfte diese Freundschaft nicht ausarten! Keine Spur von jenem Vergleiche zwischen der Natur und den Forderungen einer eingebildeten Vollkommenheit, der den geistigen Genuß körperlicher Schönheit gestattet! Nichts von jener Vorbereitung zu der exstatischen Liebe zu Gott, auf der Stufe der Begeisterung für sein Ebenbild in dem reitzenden Weibe! Nein! alle Liebe zur Kreatur war ein Raub an der Liebe Gottes und des Himmels begangen. Jede andre Leidemschaft war nach der Meinung derjenigen, die einem höhern Grade von Vollkommenheit nachstrebten, eine Geburt sträflicher Sinnlichkeit, und ein Werk des Teufels! Doch zu diesem Grade konnten nur wenige gelangen; und der größte Haufe gab sich, im völligen Gefühl der Unzulänglichkeit seiner Kräfte, nicht einmahl die Mühe, darnach zu ringen. Auch nahm man nach dem gangbaren Sittensysteme eine gemeine und eine höhere Tugend an, von denen die erste innerhalb der Regionen der Sinnlichkeit stehen blieb. Für Menschen, welche sich mit dieser begnügten, behielt die leidenschaftliche Liebe zum Weibe noch ferner ihre Reitze. Aber sie gewann unstreitig durch die Bemühung ihr manche Züge zu leihen, welche dem Ideale Freundschaft ließen jedoch die strengsten Sittenlehrer zwischen beyden Geschlechtern zu, und wirklich konnte in dieser Zeit ihr wahrer Begriff auf diese Verhältnisse passen. Denn hier trafen Mann und Weib in dem Genuß einerley Lieblingsneigung, nehmlich der nach dem Unsinnlichen, zusammen. Und so war der heilige Hieronymus der Freund der Marcelle, Eustochium und Pauline. Aber in Leidenschaft durfte diese Freundschaft nicht ausarten! Keine Spur von jenem Vergleiche zwischen der Natur und den Forderungen einer eingebildeten Vollkommenheit, der den geistigen Genuß körperlicher Schönheit gestattet! Nichts von jener Vorbereitung zu der exstatischen Liebe zu Gott, auf der Stufe der Begeisterung für sein Ebenbild in dem reitzenden Weibe! Nein! alle Liebe zur Kreatur war ein Raub an der Liebe Gottes und des Himmels begangen. Jede andre Leidemschaft war nach der Meinung derjenigen, die einem höhern Grade von Vollkommenheit nachstrebten, eine Geburt sträflicher Sinnlichkeit, und ein Werk des Teufels! Doch zu diesem Grade konnten nur wenige gelangen; und der größte Haufe gab sich, im völligen Gefühl der Unzulänglichkeit seiner Kräfte, nicht einmahl die Mühe, darnach zu ringen. Auch nahm man nach dem gangbaren Sittensysteme eine gemeine und eine höhere Tugend an, von denen die erste innerhalb der Regionen der Sinnlichkeit stehen blieb. Für Menschen, welche sich mit dieser begnügten, behielt die leidenschaftliche Liebe zum Weibe noch ferner ihre Reitze. Aber sie gewann unstreitig durch die Bemühung ihr manche Züge zu leihen, welche dem Ideale <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0351" n="351"/> <p>Freundschaft ließen jedoch die strengsten Sittenlehrer zwischen beyden Geschlechtern zu, und wirklich konnte in dieser Zeit ihr wahrer Begriff auf diese Verhältnisse passen. Denn hier trafen Mann und Weib in dem Genuß einerley Lieblingsneigung, nehmlich der nach dem Unsinnlichen, zusammen. 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Freundschaft ließen jedoch die strengsten Sittenlehrer zwischen beyden Geschlechtern zu, und wirklich konnte in dieser Zeit ihr wahrer Begriff auf diese Verhältnisse passen. Denn hier trafen Mann und Weib in dem Genuß einerley Lieblingsneigung, nehmlich der nach dem Unsinnlichen, zusammen. Und so war der heilige Hieronymus der Freund der Marcelle, Eustochium und Pauline.
Aber in Leidenschaft durfte diese Freundschaft nicht ausarten! Keine Spur von jenem Vergleiche zwischen der Natur und den Forderungen einer eingebildeten Vollkommenheit, der den geistigen Genuß körperlicher Schönheit gestattet! Nichts von jener Vorbereitung zu der exstatischen Liebe zu Gott, auf der Stufe der Begeisterung für sein Ebenbild in dem reitzenden Weibe! Nein! alle Liebe zur Kreatur war ein Raub an der Liebe Gottes und des Himmels begangen. Jede andre Leidemschaft war nach der Meinung derjenigen, die einem höhern Grade von Vollkommenheit nachstrebten, eine Geburt sträflicher Sinnlichkeit, und ein Werk des Teufels!
Doch zu diesem Grade konnten nur wenige gelangen; und der größte Haufe gab sich, im völligen Gefühl der Unzulänglichkeit seiner Kräfte, nicht einmahl die Mühe, darnach zu ringen. Auch nahm man nach dem gangbaren Sittensysteme eine gemeine und eine höhere Tugend an, von denen die erste innerhalb der Regionen der Sinnlichkeit stehen blieb.
Für Menschen, welche sich mit dieser begnügten, behielt die leidenschaftliche Liebe zum Weibe noch ferner ihre Reitze. Aber sie gewann unstreitig durch die Bemühung ihr manche Züge zu leihen, welche dem Ideale
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Zitationshilfe: | Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/351>, abgerufen am 16.02.2025. |