Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.Familien zur Ausbreitung derselben beygetragen. Der Verfall des Geschmacks in allen Künsten ist gleichfalls bey dieser Stimmung mit in Anschlag zu bringen. Der gute Geschmack verhindert die schiefe Richtung der Beurtheilungskraft, und hindert den Fortgang metaphysischer Grübeleyen, welche die sinnliche Welt bey Seite setzen. Er befördert menschliche Empfindungen, kettet an den Genuß des Lebens, und erhält die Verbindung unsers höhern Wesens mit dem niedern. Inzwischen bot sich der Mensch, der vom öffentlichen Leben abgezogen, in seinem Privatleben zum Genuß einer verfeinerten Sinnlichkeit unfähig geworden, und überher vom orientalischen Aberglauben umnebelt war, den Eindrücken der neuplatonischen Philosophie und des Christenthums gern und willig entgegen. Indem er einen Halt in dem Reiche des Uebersinnlichen suchte, blieb er entweder bey der Volksreligion stehen, und suchte diese den Bedürfnissen seines reiferen Verstandes anzupassen: oder er suchte in einer fremden Lehre den Trost auf, den ihm die Lehre seiner Väter versagte. Dem ersten gefiel die neuplatonische Philosophie: dem andern die Religion der Christen. Jene fand zuerst bey den Vornehmern Eingang: diese bey dem Pöbel: beyde kamen in gewissen Hauptgrundsätzen überein, und boten sich am Ende, nach einigen Streitigkeiten, die mit aller Wuth der Sektenkriege geführt wurden, einander freundlich die Hände. Der Neuplatoniker versteckte die Ungereimtheit des Volksaberglaubens unter dem Schleyer der Allegorie, Familien zur Ausbreitung derselben beygetragen. Der Verfall des Geschmacks in allen Künsten ist gleichfalls bey dieser Stimmung mit in Anschlag zu bringen. Der gute Geschmack verhindert die schiefe Richtung der Beurtheilungskraft, und hindert den Fortgang metaphysischer Grübeleyen, welche die sinnliche Welt bey Seite setzen. Er befördert menschliche Empfindungen, kettet an den Genuß des Lebens, und erhält die Verbindung unsers höhern Wesens mit dem niedern. Inzwischen bot sich der Mensch, der vom öffentlichen Leben abgezogen, in seinem Privatleben zum Genuß einer verfeinerten Sinnlichkeit unfähig geworden, und überher vom orientalischen Aberglauben umnebelt war, den Eindrücken der neuplatonischen Philosophie und des Christenthums gern und willig entgegen. Indem er einen Halt in dem Reiche des Uebersinnlichen suchte, blieb er entweder bey der Volksreligion stehen, und suchte diese den Bedürfnissen seines reiferen Verstandes anzupassen: oder er suchte in einer fremden Lehre den Trost auf, den ihm die Lehre seiner Väter versagte. Dem ersten gefiel die neuplatonische Philosophie: dem andern die Religion der Christen. Jene fand zuerst bey den Vornehmern Eingang: diese bey dem Pöbel: beyde kamen in gewissen Hauptgrundsätzen überein, und boten sich am Ende, nach einigen Streitigkeiten, die mit aller Wuth der Sektenkriege geführt wurden, einander freundlich die Hände. Der Neuplatoniker versteckte die Ungereimtheit des Volksaberglaubens unter dem Schleyer der Allegorie, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0345" n="345"/> Familien zur Ausbreitung derselben beygetragen. Der Verfall des Geschmacks in allen Künsten ist gleichfalls bey dieser Stimmung mit in Anschlag zu bringen. Der gute Geschmack verhindert die schiefe Richtung der Beurtheilungskraft, und hindert den Fortgang metaphysischer Grübeleyen, welche die sinnliche Welt bey Seite setzen. Er befördert menschliche Empfindungen, kettet an den Genuß des Lebens, und erhält die Verbindung unsers höhern Wesens mit dem niedern.</p> <p>Inzwischen bot sich der Mensch, der vom öffentlichen Leben abgezogen, in seinem Privatleben zum Genuß einer verfeinerten Sinnlichkeit unfähig geworden, und überher vom orientalischen Aberglauben umnebelt war, den Eindrücken der neuplatonischen Philosophie und des Christenthums gern und willig entgegen.</p> <p>Indem er einen Halt in dem Reiche des Uebersinnlichen suchte, blieb er entweder bey der Volksreligion stehen, und suchte diese den Bedürfnissen seines reiferen Verstandes anzupassen: oder er suchte in einer fremden Lehre den Trost auf, den ihm die Lehre seiner Väter versagte. Dem ersten gefiel die neuplatonische Philosophie: dem andern die Religion der Christen. Jene fand zuerst bey den Vornehmern Eingang: diese bey dem Pöbel: beyde kamen in gewissen Hauptgrundsätzen überein, und boten sich am Ende, nach einigen Streitigkeiten, die mit aller Wuth der Sektenkriege geführt wurden, einander freundlich die Hände.</p> <p>Der Neuplatoniker versteckte die Ungereimtheit des Volksaberglaubens unter dem Schleyer der Allegorie, </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [345/0345]
Familien zur Ausbreitung derselben beygetragen. Der Verfall des Geschmacks in allen Künsten ist gleichfalls bey dieser Stimmung mit in Anschlag zu bringen. Der gute Geschmack verhindert die schiefe Richtung der Beurtheilungskraft, und hindert den Fortgang metaphysischer Grübeleyen, welche die sinnliche Welt bey Seite setzen. Er befördert menschliche Empfindungen, kettet an den Genuß des Lebens, und erhält die Verbindung unsers höhern Wesens mit dem niedern.
Inzwischen bot sich der Mensch, der vom öffentlichen Leben abgezogen, in seinem Privatleben zum Genuß einer verfeinerten Sinnlichkeit unfähig geworden, und überher vom orientalischen Aberglauben umnebelt war, den Eindrücken der neuplatonischen Philosophie und des Christenthums gern und willig entgegen.
Indem er einen Halt in dem Reiche des Uebersinnlichen suchte, blieb er entweder bey der Volksreligion stehen, und suchte diese den Bedürfnissen seines reiferen Verstandes anzupassen: oder er suchte in einer fremden Lehre den Trost auf, den ihm die Lehre seiner Väter versagte. Dem ersten gefiel die neuplatonische Philosophie: dem andern die Religion der Christen. Jene fand zuerst bey den Vornehmern Eingang: diese bey dem Pöbel: beyde kamen in gewissen Hauptgrundsätzen überein, und boten sich am Ende, nach einigen Streitigkeiten, die mit aller Wuth der Sektenkriege geführt wurden, einander freundlich die Hände.
Der Neuplatoniker versteckte die Ungereimtheit des Volksaberglaubens unter dem Schleyer der Allegorie,
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Zitationshilfe: | Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/345>, abgerufen am 17.07.2024. |