Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

werden, der einen Drang fühlt, durch das Schöne von seiner geistigen Frucht entbunden zu werden, etwas zu zeugen, das ihn unsterblich mache, und der sich deshalb zuerst an einen Jüngling von schöner Gestalt hängt. Hier hat sich Plato offenbar durch die Bemühung, den Sokrates als einen außerordentlichen, über alle Sinnlichkeit erhabenen Mann darzustellen, verleiten lassen, eine sehr weit hergehohlte Ursache einer sehr nahe liegenden unterzuschieben, und dadurch zu Mißverständnissen Anlaß zu geben.

Inzwischen läßt sich doch Plato in so fern mit sich selbst vereinigen, daß er im Phädrus den jungen Mann auf derjenigen Stufe von Vollkommenheit schildert, die Sokrates von seinen Schülern fordern zu können glaubte: daß er hingegen in seinem Gastmahle den reifen, vollendeten Mann auf der höchsten Stufe der Vollkommenheit darstellt. Jener ist nicht frey von den Anfällen der Sinnlichkeit, aber er weiß sie zu unterjochen: dieser braucht nicht weiter dagegen anzukämpfen: er sieht in der schönen Gestalt weiter nichts, als was wirklich darin liegt, ein schwaches Abbild der Urschönheit, das noch dazu mit demjenigen, welches ihm die Schönheit des Geistes darbietet, gar nicht verglichen werden kann.

Plato in seinem Phädrus und Gastmahle ist von dem Plato in seinen Büchern von den Gesetzen und von der Republik noch verschieden.

In dem Buche von den Gesetzen 21) nimmt er eine dreyfache Liebe an: Freundschaft, Begierde, und eigentliche Liebe. Freundschaft setzt gleiche Vorzüge des Charakters, und gleiche Verhältnisse zum Voraus.

21) Libr. VIII. p. 836 - 842.

werden, der einen Drang fühlt, durch das Schöne von seiner geistigen Frucht entbunden zu werden, etwas zu zeugen, das ihn unsterblich mache, und der sich deshalb zuerst an einen Jüngling von schöner Gestalt hängt. Hier hat sich Plato offenbar durch die Bemühung, den Sokrates als einen außerordentlichen, über alle Sinnlichkeit erhabenen Mann darzustellen, verleiten lassen, eine sehr weit hergehohlte Ursache einer sehr nahe liegenden unterzuschieben, und dadurch zu Mißverständnissen Anlaß zu geben.

Inzwischen läßt sich doch Plato in so fern mit sich selbst vereinigen, daß er im Phädrus den jungen Mann auf derjenigen Stufe von Vollkommenheit schildert, die Sokrates von seinen Schülern fordern zu können glaubte: daß er hingegen in seinem Gastmahle den reifen, vollendeten Mann auf der höchsten Stufe der Vollkommenheit darstellt. Jener ist nicht frey von den Anfällen der Sinnlichkeit, aber er weiß sie zu unterjochen: dieser braucht nicht weiter dagegen anzukämpfen: er sieht in der schönen Gestalt weiter nichts, als was wirklich darin liegt, ein schwaches Abbild der Urschönheit, das noch dazu mit demjenigen, welches ihm die Schönheit des Geistes darbietet, gar nicht verglichen werden kann.

Plato in seinem Phädrus und Gastmahle ist von dem Plato in seinen Büchern von den Gesetzen und von der Republik noch verschieden.

In dem Buche von den Gesetzen 21) nimmt er eine dreyfache Liebe an: Freundschaft, Begierde, und eigentliche Liebe. Freundschaft setzt gleiche Vorzüge des Charakters, und gleiche Verhältnisse zum Voraus.

21) Libr. VIII. p. 836 – 842.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0224" n="224"/>
werden, der einen Drang fühlt, durch das Schöne von seiner geistigen Frucht entbunden zu werden, etwas zu zeugen, das ihn unsterblich mache, und der sich deshalb zuerst an einen Jüngling von schöner Gestalt hängt. Hier hat sich Plato offenbar durch die Bemühung, den Sokrates als einen außerordentlichen, über alle Sinnlichkeit erhabenen Mann darzustellen, verleiten lassen, eine sehr weit hergehohlte Ursache einer sehr nahe liegenden unterzuschieben, und dadurch zu Mißverständnissen Anlaß zu geben.</p>
          <p>Inzwischen läßt sich doch Plato in so fern mit sich selbst vereinigen, daß er im Phädrus den jungen Mann auf derjenigen Stufe von Vollkommenheit schildert, die Sokrates von seinen Schülern fordern zu können glaubte: daß er hingegen in seinem Gastmahle den reifen, vollendeten Mann auf der höchsten Stufe der Vollkommenheit darstellt. Jener ist nicht frey von den Anfällen der Sinnlichkeit, aber er weiß sie zu unterjochen: dieser braucht nicht weiter dagegen anzukämpfen: er sieht in der schönen Gestalt weiter nichts, als was wirklich darin liegt, ein schwaches Abbild der Urschönheit, das noch dazu mit demjenigen, welches ihm die Schönheit des Geistes darbietet, gar nicht verglichen werden kann.</p>
          <p>Plato in seinem Phädrus und Gastmahle ist von dem Plato <hi rendition="#g">in seinen Büchern von den Gesetzen und von der Republik</hi> noch verschieden.</p>
          <p><hi rendition="#g">In dem Buche von den Gesetzen</hi><note place="foot" n="21)"><hi rendition="#aq">Libr. VIII. p. 836 &#x2013; 842.</hi></note> nimmt er eine dreyfache Liebe an: Freundschaft, Begierde, und eigentliche Liebe. Freundschaft setzt gleiche Vorzüge des Charakters, und gleiche Verhältnisse zum Voraus.
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[224/0224] werden, der einen Drang fühlt, durch das Schöne von seiner geistigen Frucht entbunden zu werden, etwas zu zeugen, das ihn unsterblich mache, und der sich deshalb zuerst an einen Jüngling von schöner Gestalt hängt. Hier hat sich Plato offenbar durch die Bemühung, den Sokrates als einen außerordentlichen, über alle Sinnlichkeit erhabenen Mann darzustellen, verleiten lassen, eine sehr weit hergehohlte Ursache einer sehr nahe liegenden unterzuschieben, und dadurch zu Mißverständnissen Anlaß zu geben. Inzwischen läßt sich doch Plato in so fern mit sich selbst vereinigen, daß er im Phädrus den jungen Mann auf derjenigen Stufe von Vollkommenheit schildert, die Sokrates von seinen Schülern fordern zu können glaubte: daß er hingegen in seinem Gastmahle den reifen, vollendeten Mann auf der höchsten Stufe der Vollkommenheit darstellt. Jener ist nicht frey von den Anfällen der Sinnlichkeit, aber er weiß sie zu unterjochen: dieser braucht nicht weiter dagegen anzukämpfen: er sieht in der schönen Gestalt weiter nichts, als was wirklich darin liegt, ein schwaches Abbild der Urschönheit, das noch dazu mit demjenigen, welches ihm die Schönheit des Geistes darbietet, gar nicht verglichen werden kann. Plato in seinem Phädrus und Gastmahle ist von dem Plato in seinen Büchern von den Gesetzen und von der Republik noch verschieden. In dem Buche von den Gesetzen 21) nimmt er eine dreyfache Liebe an: Freundschaft, Begierde, und eigentliche Liebe. Freundschaft setzt gleiche Vorzüge des Charakters, und gleiche Verhältnisse zum Voraus. 21) Libr. VIII. p. 836 – 842.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/224
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/224>, abgerufen am 22.11.2024.