Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.keinem Entstehen, keinem Vergehen, keinem Zuwachse und keiner Abnahme unterworfen. Eben darum ist sie auch nicht bloß einem ihrer Theile nach, nicht bloß in einem gewissen Verhältnisse, nicht bloß zu einer gewissen Zeit, nicht bloß an einem gewissen Orte schön: einem andern Theile nach, in einem andern Verhältnisse, zu einer andern Zeit, an einem andern Orte häßlich: folglich auch nicht bloß für den einen Menschen schön, für den andern häßlich. Sie ist kein Objekt einer Anschauung, wie eine Person, eine Hand, oder sonst ein körperlicher Gegenstand; kein Begriff, keine Idee. Sie ist kein Accidenz irgend eines Subjekts, z. B. eines lebenden Geschöpfs, weder auf der Erde noch im Himmel, noch sonst irgendwo; sondern sie ist an und für sich selbst, ohne Wechsel, und ohne Beymischung eines fremdartigen Stoffes; nur sich selbst gleich. Alles, was schön ist, ist es nur dadurch, daß es ein Theil von ihr ist; sie selbst aber leidet weder einen Zuwachs, noch eine Abnahme, noch eine andere Veränderung, jene mögen entstehen oder vergehen. Wer also, durch die Liebe für seinen Liebling richtig geleitet, sich von der Neigung zu diesem allmählig zum Anschauen dieser ewigen Schönheit erhoben hat, der hat den Grad der Vollendung beynahe erreicht. Seine Liebe richtig leiten, oder von einem andern richtig leiten lassen, heißt daher auch nichts anders, als seine Neigung für ein schönes Individuum als den Anfang gebrauchen, von welchem man, bloß um der Urschönheit, als des Endzwecks, willen, seine Betrachtung der Schönheit, von einem Gegenstande zum andern fortschreitend, erweitert, und an diesen schönen Gegenständen, gleichsam wie auf Stufen, von einem schönen Körper zu mehreren, von andern keinem Entstehen, keinem Vergehen, keinem Zuwachse und keiner Abnahme unterworfen. Eben darum ist sie auch nicht bloß einem ihrer Theile nach, nicht bloß in einem gewissen Verhältnisse, nicht bloß zu einer gewissen Zeit, nicht bloß an einem gewissen Orte schön: einem andern Theile nach, in einem andern Verhältnisse, zu einer andern Zeit, an einem andern Orte häßlich: folglich auch nicht bloß für den einen Menschen schön, für den andern häßlich. Sie ist kein Objekt einer Anschauung, wie eine Person, eine Hand, oder sonst ein körperlicher Gegenstand; kein Begriff, keine Idee. Sie ist kein Accidenz irgend eines Subjekts, z. B. eines lebenden Geschöpfs, weder auf der Erde noch im Himmel, noch sonst irgendwo; sondern sie ist an und für sich selbst, ohne Wechsel, und ohne Beymischung eines fremdartigen Stoffes; nur sich selbst gleich. Alles, was schön ist, ist es nur dadurch, daß es ein Theil von ihr ist; sie selbst aber leidet weder einen Zuwachs, noch eine Abnahme, noch eine andere Veränderung, jene mögen entstehen oder vergehen. Wer also, durch die Liebe für seinen Liebling richtig geleitet, sich von der Neigung zu diesem allmählig zum Anschauen dieser ewigen Schönheit erhoben hat, der hat den Grad der Vollendung beynahe erreicht. Seine Liebe richtig leiten, oder von einem andern richtig leiten lassen, heißt daher auch nichts anders, als seine Neigung für ein schönes Individuum als den Anfang gebrauchen, von welchem man, bloß um der Urschönheit, als des Endzwecks, willen, seine Betrachtung der Schönheit, von einem Gegenstande zum andern fortschreitend, erweitert, und an diesen schönen Gegenständen, gleichsam wie auf Stufen, von einem schönen Körper zu mehreren, von andern <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0218" n="218"/> keinem Entstehen, keinem Vergehen, keinem Zuwachse und keiner Abnahme unterworfen. Eben darum ist sie auch nicht bloß einem ihrer Theile nach, nicht bloß in einem gewissen Verhältnisse, nicht bloß zu einer gewissen Zeit, nicht bloß an einem gewissen Orte schön: einem andern Theile nach, in einem andern Verhältnisse, zu einer andern Zeit, an einem andern Orte häßlich: folglich auch nicht bloß für den einen Menschen schön, für den andern häßlich. Sie ist kein Objekt einer Anschauung, wie eine Person, eine Hand, oder sonst ein körperlicher Gegenstand; kein Begriff, keine Idee. Sie ist kein Accidenz irgend eines Subjekts, z. B. eines lebenden Geschöpfs, weder auf der Erde noch im Himmel, noch sonst irgendwo; sondern sie ist an und für sich selbst, ohne Wechsel, und ohne Beymischung eines fremdartigen Stoffes; nur sich selbst gleich. Alles, was schön ist, ist es nur dadurch, daß es ein Theil von ihr ist; sie selbst aber leidet weder einen Zuwachs, noch eine Abnahme, noch eine andere Veränderung, jene mögen entstehen oder vergehen. Wer also, durch die Liebe für seinen Liebling richtig geleitet, sich von der Neigung zu diesem allmählig zum Anschauen dieser ewigen Schönheit erhoben hat, der hat den Grad der Vollendung beynahe erreicht. Seine Liebe richtig leiten, oder von einem andern richtig leiten lassen, heißt daher auch nichts anders, als seine Neigung für ein schönes Individuum als den Anfang gebrauchen, von welchem man, bloß um der Urschönheit, als des Endzwecks, willen, seine Betrachtung der Schönheit, von einem Gegenstande zum andern fortschreitend, erweitert, und an diesen schönen Gegenständen, gleichsam wie auf Stufen, von einem schönen Körper zu mehreren, von andern </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [218/0218]
keinem Entstehen, keinem Vergehen, keinem Zuwachse und keiner Abnahme unterworfen. Eben darum ist sie auch nicht bloß einem ihrer Theile nach, nicht bloß in einem gewissen Verhältnisse, nicht bloß zu einer gewissen Zeit, nicht bloß an einem gewissen Orte schön: einem andern Theile nach, in einem andern Verhältnisse, zu einer andern Zeit, an einem andern Orte häßlich: folglich auch nicht bloß für den einen Menschen schön, für den andern häßlich. Sie ist kein Objekt einer Anschauung, wie eine Person, eine Hand, oder sonst ein körperlicher Gegenstand; kein Begriff, keine Idee. Sie ist kein Accidenz irgend eines Subjekts, z. B. eines lebenden Geschöpfs, weder auf der Erde noch im Himmel, noch sonst irgendwo; sondern sie ist an und für sich selbst, ohne Wechsel, und ohne Beymischung eines fremdartigen Stoffes; nur sich selbst gleich. Alles, was schön ist, ist es nur dadurch, daß es ein Theil von ihr ist; sie selbst aber leidet weder einen Zuwachs, noch eine Abnahme, noch eine andere Veränderung, jene mögen entstehen oder vergehen. Wer also, durch die Liebe für seinen Liebling richtig geleitet, sich von der Neigung zu diesem allmählig zum Anschauen dieser ewigen Schönheit erhoben hat, der hat den Grad der Vollendung beynahe erreicht. Seine Liebe richtig leiten, oder von einem andern richtig leiten lassen, heißt daher auch nichts anders, als seine Neigung für ein schönes Individuum als den Anfang gebrauchen, von welchem man, bloß um der Urschönheit, als des Endzwecks, willen, seine Betrachtung der Schönheit, von einem Gegenstande zum andern fortschreitend, erweitert, und an diesen schönen Gegenständen, gleichsam wie auf Stufen, von einem schönen Körper zu mehreren, von andern
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Zitationshilfe: | Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/218>, abgerufen am 16.07.2024. |