Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.sie in die Inseln der Seligen. Aber groß war auch, was er that. Er hatte die Wahl, den Hektor zu tödten, und zu sterben, oder ihn zu verschonen und beym väterlichen Heerde ein hohes Alter zu erreichen. Sein Heldenherz erwählte das Erstere. Um seinen Liebhaber, Patroklus, zu rächen, wollte er nicht bloß für ihn sterben, sondern, da er ihn nicht mehr retten konnte, als sein Rächer ihm folgen. Darum haben auch die Götter, über eine solche Treue gegen den Liebenden entzückt, ihn so auszeichnend geehrt. Und in der That ist auch den Göttern nichts so achtungswürdig, als ein solcher Heldenmuth in der Liebe. Noch mehr aber trifft ihre Bewunderung, ihr Beyfall, ihre Belohnung, die Zärtlichkeit des Geliebten gegen den Liebhaber, als die des Liebhabers gegen den Geliebten. Denn jener hat an sich schon mehr Göttliches, weil er begeistert ist. Deßwegen haben sie auch den Achilles ganz anders belohnt als die Alceste, und ihn auf die Inseln der Seligen versetzt!" - In dieser Rede des Phädrus werden die vortheilhaften Wirkungen gepriesen, welche die Leidenschaft der Liebe, sie mag an sich edel und anständig seyn, oder nicht, für den Menschen und den Staat haben kann. Sie erhöht seine Kräfte und seinen Muth: sie lehrt ihn den Tod verachten: sie flößt ihm die Begeisterung ein, auf welche die Griechen als Beförderin der Bürgertugend so großen Werth legten. So finden wir bey mehrern unkultivierten Völkern, besonders im Mittelalter, die Frauenliebe veredelt, bey denen die Schöne nicht bloß der Preis, sondern auch der Antrieb zur Tapferkeit war. Daß hier nicht ausschließend von der Liebe zur Seele die Rede sey, beweisen die Stellen, worin der Freund sie in die Inseln der Seligen. Aber groß war auch, was er that. Er hatte die Wahl, den Hektor zu tödten, und zu sterben, oder ihn zu verschonen und beym väterlichen Heerde ein hohes Alter zu erreichen. Sein Heldenherz erwählte das Erstere. Um seinen Liebhaber, Patroklus, zu rächen, wollte er nicht bloß für ihn sterben, sondern, da er ihn nicht mehr retten konnte, als sein Rächer ihm folgen. Darum haben auch die Götter, über eine solche Treue gegen den Liebenden entzückt, ihn so auszeichnend geehrt. Und in der That ist auch den Göttern nichts so achtungswürdig, als ein solcher Heldenmuth in der Liebe. Noch mehr aber trifft ihre Bewunderung, ihr Beyfall, ihre Belohnung, die Zärtlichkeit des Geliebten gegen den Liebhaber, als die des Liebhabers gegen den Geliebten. Denn jener hat an sich schon mehr Göttliches, weil er begeistert ist. Deßwegen haben sie auch den Achilles ganz anders belohnt als die Alceste, und ihn auf die Inseln der Seligen versetzt!“ – In dieser Rede des Phädrus werden die vortheilhaften Wirkungen gepriesen, welche die Leidenschaft der Liebe, sie mag an sich edel und anständig seyn, oder nicht, für den Menschen und den Staat haben kann. Sie erhöht seine Kräfte und seinen Muth: sie lehrt ihn den Tod verachten: sie flößt ihm die Begeisterung ein, auf welche die Griechen als Beförderin der Bürgertugend so großen Werth legten. So finden wir bey mehrern unkultivierten Völkern, besonders im Mittelalter, die Frauenliebe veredelt, bey denen die Schöne nicht bloß der Preis, sondern auch der Antrieb zur Tapferkeit war. Daß hier nicht ausschließend von der Liebe zur Seele die Rede sey, beweisen die Stellen, worin der Freund <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0190" n="190"/> sie in die Inseln der Seligen. Aber groß war auch, was er that. Er hatte die Wahl, den Hektor zu tödten, und zu sterben, oder ihn zu verschonen und beym väterlichen Heerde ein hohes Alter zu erreichen. Sein Heldenherz erwählte das Erstere. Um seinen Liebhaber, Patroklus, zu rächen, wollte er nicht bloß für ihn sterben, sondern, da er ihn nicht mehr retten konnte, als sein Rächer ihm folgen. Darum haben auch die Götter, über eine solche Treue gegen den Liebenden entzückt, ihn so auszeichnend geehrt. Und in der That ist auch den Göttern nichts so achtungswürdig, als ein solcher Heldenmuth in der Liebe. Noch mehr aber trifft ihre Bewunderung, ihr Beyfall, ihre Belohnung, die Zärtlichkeit des Geliebten gegen den Liebhaber, als die des Liebhabers gegen den Geliebten. Denn jener hat an sich schon mehr Göttliches, <hi rendition="#g">weil er begeistert ist</hi>. Deßwegen haben sie auch den Achilles ganz anders belohnt als die Alceste, und ihn auf die Inseln der Seligen versetzt!“ –</p> <p>In dieser Rede des Phädrus werden die vortheilhaften Wirkungen gepriesen, welche die Leidenschaft der Liebe, sie mag an sich edel und anständig seyn, oder nicht, für den Menschen und den Staat haben kann. Sie erhöht seine Kräfte und seinen Muth: sie lehrt ihn den Tod verachten: sie flößt ihm die Begeisterung ein, auf welche die Griechen als Beförderin der Bürgertugend so großen Werth legten. So finden wir bey mehrern unkultivierten Völkern, besonders im Mittelalter, die Frauenliebe veredelt, bey denen die Schöne nicht bloß der Preis, sondern auch der Antrieb zur Tapferkeit war. Daß hier nicht ausschließend von der Liebe zur Seele die Rede sey, beweisen die Stellen, worin der Freund </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [190/0190]
sie in die Inseln der Seligen. Aber groß war auch, was er that. Er hatte die Wahl, den Hektor zu tödten, und zu sterben, oder ihn zu verschonen und beym väterlichen Heerde ein hohes Alter zu erreichen. Sein Heldenherz erwählte das Erstere. Um seinen Liebhaber, Patroklus, zu rächen, wollte er nicht bloß für ihn sterben, sondern, da er ihn nicht mehr retten konnte, als sein Rächer ihm folgen. Darum haben auch die Götter, über eine solche Treue gegen den Liebenden entzückt, ihn so auszeichnend geehrt. Und in der That ist auch den Göttern nichts so achtungswürdig, als ein solcher Heldenmuth in der Liebe. Noch mehr aber trifft ihre Bewunderung, ihr Beyfall, ihre Belohnung, die Zärtlichkeit des Geliebten gegen den Liebhaber, als die des Liebhabers gegen den Geliebten. Denn jener hat an sich schon mehr Göttliches, weil er begeistert ist. Deßwegen haben sie auch den Achilles ganz anders belohnt als die Alceste, und ihn auf die Inseln der Seligen versetzt!“ –
In dieser Rede des Phädrus werden die vortheilhaften Wirkungen gepriesen, welche die Leidenschaft der Liebe, sie mag an sich edel und anständig seyn, oder nicht, für den Menschen und den Staat haben kann. Sie erhöht seine Kräfte und seinen Muth: sie lehrt ihn den Tod verachten: sie flößt ihm die Begeisterung ein, auf welche die Griechen als Beförderin der Bürgertugend so großen Werth legten. So finden wir bey mehrern unkultivierten Völkern, besonders im Mittelalter, die Frauenliebe veredelt, bey denen die Schöne nicht bloß der Preis, sondern auch der Antrieb zur Tapferkeit war. Daß hier nicht ausschließend von der Liebe zur Seele die Rede sey, beweisen die Stellen, worin der Freund
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