Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

ein interessantes Schauspiel gewähren; daß aber diejenigen, welche die Gottheit der keuschen Liebe erfüllt, etwas Zärtlicheres in ihren Augen, eine sanftere Stimme, und eine reitzendere Bewegung in ihren Geberden zeigen. Dieses war der Ausdruck der Liebe des Kallias, der keinem der Gäste, die in den Geheimnissen dieses Gottes eingeweiht waren, entgehen konnte. Die Wirkung, welche dieß Alles auf die Gäste machte, war so stark, daß sie schweigend saßen, nicht anders, als ob die Anwesenheit eines höhern Wesens ihnen diese stille Ehrfurcht geboten hätte. Nicht einmahl der Witz eines privilegierten Spaßmachers konnte sie in dieser Andacht stöhren.

Gegen das Ende der Mahlzeit wird jedoch diese feyerliche Stimmung durch einen Syracusaner unterbrochen, der in Begleitung eines Paars artiger Mädchen und eines schönen Knaben künstliche Sprünge und Tänze, unter Begleitung einer Flöte und einer Zither, von dieser Jugend aufführen läßt. Die Gechicklichkeit, mit der sie sich dabey benahm, gab dem Sokrates Gelegenheit, von der Nothwendigkeit zu reden, den Körper auszubilden, und die Bemerkung zu machen, daß auch Weiber Anlagen besitzen, die der Ausbildung fähig und werth sind. Seiner Meinung nach fehlt es ihnen nur an überlegender Klugheit und Stärke. Er setzt hinzu, daß die Bewegung der Gestalt vortheilhafter sey, als die Ruhe. Alles in offenbarer Beziehung auf die Würdigung des wahren Werths der Schönheit! Denn nach dem Xenophon sah Sokrates den Körper als den Agenten der Seele und ihrer thätigen Tugenden, Tapferkeit und Führung der Geschäfte, an. War der Körper in dieser Rücksicht

ein interessantes Schauspiel gewähren; daß aber diejenigen, welche die Gottheit der keuschen Liebe erfüllt, etwas Zärtlicheres in ihren Augen, eine sanftere Stimme, und eine reitzendere Bewegung in ihren Geberden zeigen. Dieses war der Ausdruck der Liebe des Kallias, der keinem der Gäste, die in den Geheimnissen dieses Gottes eingeweiht waren, entgehen konnte. Die Wirkung, welche dieß Alles auf die Gäste machte, war so stark, daß sie schweigend saßen, nicht anders, als ob die Anwesenheit eines höhern Wesens ihnen diese stille Ehrfurcht geboten hätte. Nicht einmahl der Witz eines privilegierten Spaßmachers konnte sie in dieser Andacht stöhren.

Gegen das Ende der Mahlzeit wird jedoch diese feyerliche Stimmung durch einen Syracusaner unterbrochen, der in Begleitung eines Paars artiger Mädchen und eines schönen Knaben künstliche Sprünge und Tänze, unter Begleitung einer Flöte und einer Zither, von dieser Jugend aufführen läßt. Die Gechicklichkeit, mit der sie sich dabey benahm, gab dem Sokrates Gelegenheit, von der Nothwendigkeit zu reden, den Körper auszubilden, und die Bemerkung zu machen, daß auch Weiber Anlagen besitzen, die der Ausbildung fähig und werth sind. Seiner Meinung nach fehlt es ihnen nur an überlegender Klugheit und Stärke. Er setzt hinzu, daß die Bewegung der Gestalt vortheilhafter sey, als die Ruhe. Alles in offenbarer Beziehung auf die Würdigung des wahren Werths der Schönheit! Denn nach dem Xenophon sah Sokrates den Körper als den Agenten der Seele und ihrer thätigen Tugenden, Tapferkeit und Führung der Geschäfte, an. War der Körper in dieser Rücksicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0156" n="156"/>
ein interessantes Schauspiel gewähren; daß aber diejenigen, welche die Gottheit der keuschen Liebe erfüllt, etwas Zärtlicheres in ihren Augen, eine sanftere Stimme, und eine reitzendere Bewegung in ihren Geberden zeigen. Dieses war der Ausdruck der Liebe des Kallias, der keinem der Gäste, die in den Geheimnissen dieses Gottes eingeweiht waren, entgehen konnte. Die Wirkung, welche dieß Alles auf die Gäste machte, war so stark, daß sie schweigend saßen, nicht anders, als ob die Anwesenheit eines höhern Wesens ihnen diese stille Ehrfurcht geboten hätte. Nicht einmahl der Witz eines privilegierten Spaßmachers konnte sie in dieser Andacht stöhren.</p>
          <p>Gegen das Ende der Mahlzeit wird jedoch diese feyerliche Stimmung durch einen Syracusaner unterbrochen, der in Begleitung eines Paars artiger Mädchen und eines schönen Knaben künstliche Sprünge und Tänze, unter Begleitung einer Flöte und einer Zither, von dieser Jugend aufführen läßt. Die Gechicklichkeit, mit der sie sich dabey benahm, gab dem Sokrates Gelegenheit, von der Nothwendigkeit zu reden, den Körper auszubilden, und die Bemerkung zu machen, daß auch Weiber Anlagen besitzen, die der Ausbildung fähig und werth sind. Seiner Meinung nach fehlt es ihnen nur an überlegender Klugheit und Stärke. Er setzt hinzu, daß die Bewegung der Gestalt vortheilhafter sey, als die Ruhe. Alles in offenbarer Beziehung auf die Würdigung des wahren Werths der Schönheit! Denn nach dem Xenophon sah Sokrates den Körper als den Agenten der Seele und ihrer thätigen Tugenden, Tapferkeit und Führung der Geschäfte, an. War der Körper in dieser Rücksicht
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0156] ein interessantes Schauspiel gewähren; daß aber diejenigen, welche die Gottheit der keuschen Liebe erfüllt, etwas Zärtlicheres in ihren Augen, eine sanftere Stimme, und eine reitzendere Bewegung in ihren Geberden zeigen. Dieses war der Ausdruck der Liebe des Kallias, der keinem der Gäste, die in den Geheimnissen dieses Gottes eingeweiht waren, entgehen konnte. Die Wirkung, welche dieß Alles auf die Gäste machte, war so stark, daß sie schweigend saßen, nicht anders, als ob die Anwesenheit eines höhern Wesens ihnen diese stille Ehrfurcht geboten hätte. Nicht einmahl der Witz eines privilegierten Spaßmachers konnte sie in dieser Andacht stöhren. Gegen das Ende der Mahlzeit wird jedoch diese feyerliche Stimmung durch einen Syracusaner unterbrochen, der in Begleitung eines Paars artiger Mädchen und eines schönen Knaben künstliche Sprünge und Tänze, unter Begleitung einer Flöte und einer Zither, von dieser Jugend aufführen läßt. Die Gechicklichkeit, mit der sie sich dabey benahm, gab dem Sokrates Gelegenheit, von der Nothwendigkeit zu reden, den Körper auszubilden, und die Bemerkung zu machen, daß auch Weiber Anlagen besitzen, die der Ausbildung fähig und werth sind. Seiner Meinung nach fehlt es ihnen nur an überlegender Klugheit und Stärke. Er setzt hinzu, daß die Bewegung der Gestalt vortheilhafter sey, als die Ruhe. Alles in offenbarer Beziehung auf die Würdigung des wahren Werths der Schönheit! Denn nach dem Xenophon sah Sokrates den Körper als den Agenten der Seele und ihrer thätigen Tugenden, Tapferkeit und Führung der Geschäfte, an. War der Körper in dieser Rücksicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/156
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/156>, abgerufen am 23.11.2024.