Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.einer kosmopolitischen Vortrefflichkeit entwirft, schwebt ihm das Bild des atheniensischen Bürgers immer vor Augen, und natürlich mußte das Weib, das nicht Staatsbürgerin war, und es seiner ganzen Erziehung und Lage nach nicht seyn konnte, in seiner Achtung verlieren. Aber eine völlig falsche Ansicht ist es, wenn man dem Plato Schuld giebt, er habe die Weiber durchaus wie unsittliche und ganz verdorbene Sklavinnen der Männer verachtet. Inzwischen konnte Plato, da er kein Wohlverhältniß an Eigenschaften und Lagen zwischen beyden Geschlechtern antraf, auch keine Zärtlichkeit oder Freundschaft zwischen ihnen annehmen. Das was er Liebe des Mannes zum Weibe nannte, war leidenschaftliche Begierde nach dem Besitz der Person. Er schätzte an der Gattin die Aufopferung, mit der sie das Wohl des Mannes ihrem eigenen vorzog; aber er fand darin nicht den uneigennützigen, auf höheren Trieben beruhenden Seelenadel, den er dem Bürger beylegte, der sich für den Geliebten oder für das Vaterland hingab. Denn bey der Treue des Weibes lag nach seinen Begriffen Sinnlichkeit unter, da hingegen bey der Männer- und Vaterlandsliebe hauptsächlich Begeisterung wirkte. So dachte Plato über die Gattenliebe, in Beziehung auf die wirkliche Lage der beyden Geschlechter gegen einander. In seinen idealischen Staaten hob er die Frau zum Range des Mannes durch Erziehung und Bestimmung hinauf, und hier hätte er denn allerdings Zärtlichkeit und liebende Leidenschaft zwischen ihnen voraussetzen und schätzen können. Allein da solche particuläre Vereinigungen der Gemeinschaft unter allen Staatsbürgern und ihrer einzigen Rücksicht auf das allgemeine Beste einer kosmopolitischen Vortrefflichkeit entwirft, schwebt ihm das Bild des atheniensischen Bürgers immer vor Augen, und natürlich mußte das Weib, das nicht Staatsbürgerin war, und es seiner ganzen Erziehung und Lage nach nicht seyn konnte, in seiner Achtung verlieren. Aber eine völlig falsche Ansicht ist es, wenn man dem Plato Schuld giebt, er habe die Weiber durchaus wie unsittliche und ganz verdorbene Sklavinnen der Männer verachtet. Inzwischen konnte Plato, da er kein Wohlverhältniß an Eigenschaften und Lagen zwischen beyden Geschlechtern antraf, auch keine Zärtlichkeit oder Freundschaft zwischen ihnen annehmen. Das was er Liebe des Mannes zum Weibe nannte, war leidenschaftliche Begierde nach dem Besitz der Person. Er schätzte an der Gattin die Aufopferung, mit der sie das Wohl des Mannes ihrem eigenen vorzog; aber er fand darin nicht den uneigennützigen, auf höheren Trieben beruhenden Seelenadel, den er dem Bürger beylegte, der sich für den Geliebten oder für das Vaterland hingab. Denn bey der Treue des Weibes lag nach seinen Begriffen Sinnlichkeit unter, da hingegen bey der Männer- und Vaterlandsliebe hauptsächlich Begeisterung wirkte. So dachte Plato über die Gattenliebe, in Beziehung auf die wirkliche Lage der beyden Geschlechter gegen einander. In seinen idealischen Staaten hob er die Frau zum Range des Mannes durch Erziehung und Bestimmung hinauf, und hier hätte er denn allerdings Zärtlichkeit und liebende Leidenschaft zwischen ihnen voraussetzen und schätzen können. 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Er schätzte an der Gattin die Aufopferung, mit der sie das Wohl des Mannes ihrem eigenen vorzog; aber er fand darin nicht den uneigennützigen, auf höheren Trieben beruhenden Seelenadel, den er dem Bürger beylegte, der sich für den Geliebten oder für das Vaterland hingab. Denn bey der Treue des Weibes lag nach seinen Begriffen Sinnlichkeit unter, da hingegen bey der Männer- und Vaterlandsliebe hauptsächlich Begeisterung wirkte.</p> <p>So dachte Plato über die Gattenliebe, in Beziehung auf die wirkliche Lage der beyden Geschlechter gegen einander. In seinen idealischen Staaten hob er die Frau zum Range des Mannes durch Erziehung und Bestimmung hinauf, und hier hätte er denn allerdings Zärtlichkeit und liebende Leidenschaft zwischen ihnen voraussetzen und schätzen können. Allein da solche particuläre Vereinigungen der Gemeinschaft unter allen Staatsbürgern und ihrer einzigen Rücksicht auf das allgemeine Beste </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [124/0124]
einer kosmopolitischen Vortrefflichkeit entwirft, schwebt ihm das Bild des atheniensischen Bürgers immer vor Augen, und natürlich mußte das Weib, das nicht Staatsbürgerin war, und es seiner ganzen Erziehung und Lage nach nicht seyn konnte, in seiner Achtung verlieren. Aber eine völlig falsche Ansicht ist es, wenn man dem Plato Schuld giebt, er habe die Weiber durchaus wie unsittliche und ganz verdorbene Sklavinnen der Männer verachtet.
Inzwischen konnte Plato, da er kein Wohlverhältniß an Eigenschaften und Lagen zwischen beyden Geschlechtern antraf, auch keine Zärtlichkeit oder Freundschaft zwischen ihnen annehmen. Das was er Liebe des Mannes zum Weibe nannte, war leidenschaftliche Begierde nach dem Besitz der Person. Er schätzte an der Gattin die Aufopferung, mit der sie das Wohl des Mannes ihrem eigenen vorzog; aber er fand darin nicht den uneigennützigen, auf höheren Trieben beruhenden Seelenadel, den er dem Bürger beylegte, der sich für den Geliebten oder für das Vaterland hingab. Denn bey der Treue des Weibes lag nach seinen Begriffen Sinnlichkeit unter, da hingegen bey der Männer- und Vaterlandsliebe hauptsächlich Begeisterung wirkte.
So dachte Plato über die Gattenliebe, in Beziehung auf die wirkliche Lage der beyden Geschlechter gegen einander. In seinen idealischen Staaten hob er die Frau zum Range des Mannes durch Erziehung und Bestimmung hinauf, und hier hätte er denn allerdings Zärtlichkeit und liebende Leidenschaft zwischen ihnen voraussetzen und schätzen können. Allein da solche particuläre Vereinigungen der Gemeinschaft unter allen Staatsbürgern und ihrer einzigen Rücksicht auf das allgemeine Beste
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Zitationshilfe: | Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/124>, abgerufen am 27.07.2024. |