Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

war unwahr und unzweckmäßig: Unwahr, weil das vernünftige Wesen im Menschen, schon für sich betrachtet, nicht bloß zur unthätigen Beschauung Gottes, sondern zum Handeln aus Achtung und Liebe für sich selbst und andere Menschen innerlich eingerichtet ist: Unzweckmäßig, weil die Aeußerung des vernünftigen Wesens im Menschen durch bloßes Nachstreben nach der Vereinigung mit dem Uebersinnlichen im Widerspruche mit allen übrigen Verhältnissen steht, in welche der Mensch zu der sinnlichen Welt gesetzt ist. Mithin war die Handlung Josaphats in bestimmterer Bedeutung unmoralisch.

Endlich heißt moralisch in der bestimmtesten Bedeutung dasjenige, was man von allen Menschen, die mit dem Bewußtseyn ihrer höheren, über die Sinnlichkeit hinaus reichenden Bestimmung, und mit der Fähigkeit, Wahrheit und Zweckmäßigkeit zu erkennen, versehen sind, in Rücksicht ihres Verhaltens gegen das Reich vernünftiger Wesen fordern kann: dasjenige, was unter den Vorschriften der Moral für alle vernünftige Wesen, als solche, ohne Rücksicht auf besondere Anlagen und Bildung allgemeingültig ist.

Dieß Moralische ist wieder verschieden von dem Moralischen in den beyden ersten angegebenen Bedeutungen. Wir können von allen Menschen fordern, daß sie andern Menschen nicht schaden, und sie nicht hindern sollen, ihr Daseyn als vernünftige Wesen zu genießen, und sich ihrer Bestimmung als solche zu nähern. Aber nur von sehr wenigen kann man fordern, daß sie mit Aufopferung ihres eigenen Wohls das Wohl anderer um ihrer selbst willen befördern sollen.

Nach diesen drey Bedeutungen des Moralischen nimmt nun auch der Moralist, oder der Lehrer im Moralischen,

war unwahr und unzweckmäßig: Unwahr, weil das vernünftige Wesen im Menschen, schon für sich betrachtet, nicht bloß zur unthätigen Beschauung Gottes, sondern zum Handeln aus Achtung und Liebe für sich selbst und andere Menschen innerlich eingerichtet ist: Unzweckmäßig, weil die Aeußerung des vernünftigen Wesens im Menschen durch bloßes Nachstreben nach der Vereinigung mit dem Uebersinnlichen im Widerspruche mit allen übrigen Verhältnissen steht, in welche der Mensch zu der sinnlichen Welt gesetzt ist. Mithin war die Handlung Josaphats in bestimmterer Bedeutung unmoralisch.

Endlich heißt moralisch in der bestimmtesten Bedeutung dasjenige, was man von allen Menschen, die mit dem Bewußtseyn ihrer höheren, über die Sinnlichkeit hinaus reichenden Bestimmung, und mit der Fähigkeit, Wahrheit und Zweckmäßigkeit zu erkennen, versehen sind, in Rücksicht ihres Verhaltens gegen das Reich vernünftiger Wesen fordern kann: dasjenige, was unter den Vorschriften der Moral für alle vernünftige Wesen, als solche, ohne Rücksicht auf besondere Anlagen und Bildung allgemeingültig ist.

Dieß Moralische ist wieder verschieden von dem Moralischen in den beyden ersten angegebenen Bedeutungen. Wir können von allen Menschen fordern, daß sie andern Menschen nicht schaden, und sie nicht hindern sollen, ihr Daseyn als vernünftige Wesen zu genießen, und sich ihrer Bestimmung als solche zu nähern. Aber nur von sehr wenigen kann man fordern, daß sie mit Aufopferung ihres eigenen Wohls das Wohl anderer um ihrer selbst willen befördern sollen.

Nach diesen drey Bedeutungen des Moralischen nimmt nun auch der Moralist, oder der Lehrer im Moralischen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0069" n="69"/>
war unwahr und unzweckmäßig: Unwahr, weil das vernünftige Wesen im Menschen, schon für sich betrachtet, nicht bloß zur unthätigen Beschauung Gottes, sondern zum Handeln aus Achtung und Liebe für sich selbst und andere Menschen innerlich eingerichtet ist: Unzweckmäßig, weil die Aeußerung des vernünftigen Wesens im Menschen durch bloßes Nachstreben nach der Vereinigung mit dem Uebersinnlichen im Widerspruche mit allen übrigen Verhältnissen steht, in welche der Mensch zu der sinnlichen Welt gesetzt ist. Mithin war die Handlung Josaphats in bestimmterer Bedeutung unmoralisch.</p>
          <p>Endlich heißt <hi rendition="#g">moralisch</hi> in der bestimmtesten Bedeutung dasjenige, was man von allen Menschen, die mit dem Bewußtseyn ihrer höheren, über die Sinnlichkeit hinaus reichenden Bestimmung, und mit der Fähigkeit, Wahrheit und Zweckmäßigkeit zu erkennen, versehen sind, in Rücksicht ihres Verhaltens gegen das Reich vernünftiger Wesen fordern kann: dasjenige, was unter den Vorschriften der Moral für alle vernünftige Wesen, als solche, ohne Rücksicht auf besondere Anlagen und Bildung allgemeingültig ist.</p>
          <p>Dieß <hi rendition="#g">Moralische</hi> ist wieder verschieden von dem <hi rendition="#g">Moralischen</hi> in den beyden ersten angegebenen Bedeutungen. Wir können von allen Menschen fordern, daß sie andern Menschen nicht schaden, und sie nicht hindern sollen, ihr Daseyn als vernünftige Wesen zu genießen, und sich ihrer Bestimmung als solche zu nähern. Aber nur von sehr wenigen kann man fordern, daß sie mit Aufopferung ihres eigenen Wohls das Wohl anderer um ihrer selbst willen befördern sollen.</p>
          <p>Nach diesen drey Bedeutungen des Moralischen nimmt nun auch der Moralist, oder der Lehrer im Moralischen,
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[69/0069] war unwahr und unzweckmäßig: Unwahr, weil das vernünftige Wesen im Menschen, schon für sich betrachtet, nicht bloß zur unthätigen Beschauung Gottes, sondern zum Handeln aus Achtung und Liebe für sich selbst und andere Menschen innerlich eingerichtet ist: Unzweckmäßig, weil die Aeußerung des vernünftigen Wesens im Menschen durch bloßes Nachstreben nach der Vereinigung mit dem Uebersinnlichen im Widerspruche mit allen übrigen Verhältnissen steht, in welche der Mensch zu der sinnlichen Welt gesetzt ist. Mithin war die Handlung Josaphats in bestimmterer Bedeutung unmoralisch. Endlich heißt moralisch in der bestimmtesten Bedeutung dasjenige, was man von allen Menschen, die mit dem Bewußtseyn ihrer höheren, über die Sinnlichkeit hinaus reichenden Bestimmung, und mit der Fähigkeit, Wahrheit und Zweckmäßigkeit zu erkennen, versehen sind, in Rücksicht ihres Verhaltens gegen das Reich vernünftiger Wesen fordern kann: dasjenige, was unter den Vorschriften der Moral für alle vernünftige Wesen, als solche, ohne Rücksicht auf besondere Anlagen und Bildung allgemeingültig ist. Dieß Moralische ist wieder verschieden von dem Moralischen in den beyden ersten angegebenen Bedeutungen. Wir können von allen Menschen fordern, daß sie andern Menschen nicht schaden, und sie nicht hindern sollen, ihr Daseyn als vernünftige Wesen zu genießen, und sich ihrer Bestimmung als solche zu nähern. Aber nur von sehr wenigen kann man fordern, daß sie mit Aufopferung ihres eigenen Wohls das Wohl anderer um ihrer selbst willen befördern sollen. Nach diesen drey Bedeutungen des Moralischen nimmt nun auch der Moralist, oder der Lehrer im Moralischen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/69
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/69>, abgerufen am 25.11.2024.