Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.Mädchens Augen halten des Geliebten Blick, sein Herz hält die Warnung der jungfräulichen Züchtigkeit nicht aus. O Liebe! du bist erfindsam! Das Mädchen kehrt sich von ihm, aber es fängt sein Bild in einem Spiegel auf, schaut es an, - drückt einen Kuß auf den Abglanz, und entflieht. Welch eine Form der höchsten Feinheit zur Einkleidung der Liebe! Nein! So etwas lehrt nur sie! Vergleicht mit dieser Geschichte das lüsterne Mädchen beym Virgil, das den Schäfer mit zugeworfenen Aepfeln neckt, und sich dann, nicht ohne gehörige Vorsicht, vorher gesehen zu werden, hinter Gesträuchen verbirgt. - Auch hier ist ein feiner, reitzender Ausdruck. Aber gehört er der Liebe? Nein! Er gehört der Geschlechtssympathie! Neuntes Kapitel. Veredlung des Charakters überhaupt ist darum noch nicht Veredlung der Liebe. Der Mensch kann in seinen Verhältnissen gegen die Liebe edel erscheinen, aber seine Liebe ist darum nicht edel. Oft zeigt er sich gerade dadurch edel, daß er seiner Pflicht seine Liebe zum Opfer bringt. Interessanter Streit der Liebe mit der Pflicht! Wie oft wirst du gekämpft! Seht jene Gattin an, das unglückliche Schlachtopfer menschlicher Conventionen, gebunden an einen Gemahl, der, unwerth ihrer Liebe, Bitterkeit auf jeden Genuß ihres Lebens ausschüttet! Eine sichere Flucht kann sie retten, kann sie auf ewig mit Mädchens Augen halten des Geliebten Blick, sein Herz hält die Warnung der jungfräulichen Züchtigkeit nicht aus. O Liebe! du bist erfindsam! Das Mädchen kehrt sich von ihm, aber es fängt sein Bild in einem Spiegel auf, schaut es an, – drückt einen Kuß auf den Abglanz, und entflieht. Welch eine Form der höchsten Feinheit zur Einkleidung der Liebe! Nein! So etwas lehrt nur sie! Vergleicht mit dieser Geschichte das lüsterne Mädchen beym Virgil, das den Schäfer mit zugeworfenen Aepfeln neckt, und sich dann, nicht ohne gehörige Vorsicht, vorher gesehen zu werden, hinter Gesträuchen verbirgt. – Auch hier ist ein feiner, reitzender Ausdruck. Aber gehört er der Liebe? Nein! Er gehört der Geschlechtssympathie! Neuntes Kapitel. Veredlung des Charakters überhaupt ist darum noch nicht Veredlung der Liebe. Der Mensch kann in seinen Verhältnissen gegen die Liebe edel erscheinen, aber seine Liebe ist darum nicht edel. Oft zeigt er sich gerade dadurch edel, daß er seiner Pflicht seine Liebe zum Opfer bringt. Interessanter Streit der Liebe mit der Pflicht! Wie oft wirst du gekämpft! Seht jene Gattin an, das unglückliche Schlachtopfer menschlicher Conventionen, gebunden an einen Gemahl, der, unwerth ihrer Liebe, Bitterkeit auf jeden Genuß ihres Lebens ausschüttet! Eine sichere Flucht kann sie retten, kann sie auf ewig mit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0061" n="61"/> Mädchens Augen halten des Geliebten Blick, sein Herz hält die Warnung der jungfräulichen Züchtigkeit nicht aus. O Liebe! du bist erfindsam! Das Mädchen kehrt sich von ihm, aber es fängt sein Bild in einem Spiegel auf, schaut es an, – drückt einen Kuß auf den Abglanz, und entflieht.</p> <p>Welch eine Form der höchsten Feinheit zur Einkleidung der Liebe! Nein! So etwas lehrt nur sie!</p> <p>Vergleicht mit dieser Geschichte das lüsterne Mädchen beym Virgil, das den Schäfer mit zugeworfenen Aepfeln neckt, und sich dann, nicht ohne gehörige Vorsicht, vorher gesehen zu werden, hinter Gesträuchen verbirgt. – Auch hier ist ein feiner, reitzender Ausdruck. Aber gehört er der Liebe? Nein! Er gehört der Geschlechtssympathie!</p> </div> <div n="2"> <head>Neuntes Kapitel.<lb/></head> <argument> <p>Veredlung des Charakters überhaupt ist darum noch nicht Veredlung der Liebe.<lb/></p> </argument> <p>Der Mensch kann in seinen Verhältnissen gegen die Liebe edel erscheinen, aber seine Liebe ist darum nicht edel. Oft zeigt er sich gerade dadurch edel, daß er seiner Pflicht seine Liebe zum Opfer bringt.</p> <p>Interessanter Streit der Liebe mit der Pflicht! Wie oft wirst du gekämpft! Seht jene Gattin an, das unglückliche Schlachtopfer menschlicher Conventionen, gebunden an einen Gemahl, der, unwerth ihrer Liebe, Bitterkeit auf jeden Genuß ihres Lebens ausschüttet! Eine sichere Flucht kann sie retten, kann sie auf ewig mit </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [61/0061]
Mädchens Augen halten des Geliebten Blick, sein Herz hält die Warnung der jungfräulichen Züchtigkeit nicht aus. O Liebe! du bist erfindsam! Das Mädchen kehrt sich von ihm, aber es fängt sein Bild in einem Spiegel auf, schaut es an, – drückt einen Kuß auf den Abglanz, und entflieht.
Welch eine Form der höchsten Feinheit zur Einkleidung der Liebe! Nein! So etwas lehrt nur sie!
Vergleicht mit dieser Geschichte das lüsterne Mädchen beym Virgil, das den Schäfer mit zugeworfenen Aepfeln neckt, und sich dann, nicht ohne gehörige Vorsicht, vorher gesehen zu werden, hinter Gesträuchen verbirgt. – Auch hier ist ein feiner, reitzender Ausdruck. Aber gehört er der Liebe? Nein! Er gehört der Geschlechtssympathie!
Neuntes Kapitel.
Veredlung des Charakters überhaupt ist darum noch nicht Veredlung der Liebe.
Der Mensch kann in seinen Verhältnissen gegen die Liebe edel erscheinen, aber seine Liebe ist darum nicht edel. Oft zeigt er sich gerade dadurch edel, daß er seiner Pflicht seine Liebe zum Opfer bringt.
Interessanter Streit der Liebe mit der Pflicht! Wie oft wirst du gekämpft! Seht jene Gattin an, das unglückliche Schlachtopfer menschlicher Conventionen, gebunden an einen Gemahl, der, unwerth ihrer Liebe, Bitterkeit auf jeden Genuß ihres Lebens ausschüttet! Eine sichere Flucht kann sie retten, kann sie auf ewig mit
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